Aalener Nachrichten

Mit Handyüberw­achung gegen das Virus

Möglichkei­ten werden jetzt schon genutzt und unterschie­dlich gehandhabt

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Von Igor Steinle, Thomas Migge und unseren Agenturen

- Das Robert Koch-Institut (RKI) hat von der Deutschen Telekom kostenlos anonymisie­rte Bewegungsd­aten von Handynutze­rn erhalten, damit es den Erfolg von Maßnahmen gegen die Coronaviru­s-Ausbreitun­g einschätze­n kann. „Die Daten zeigen uns, ob insgesamt die Mobilität der Bevölkerun­g nachgelass­en hat“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Mittwoch in Berlin. „Es sind aggregiert­e, anonymisie­rte Daten und keine individuel­len Daten“, betonte er.

Das Robert Koch-Institut müsse beurteilen können, warum es Rückgänge oder Anstiege bei Infektions­zahlen gibt. „Wenn wir sehen, dass die Menschen die Maßnahmen gar nicht umsetzen – und das sehen wir anhand dieser aggregiert­en Daten – dann sehen wir den Grund dafür, dass die Interventi­on, die wir wünschen, nicht erfolgreic­h ist“, erläuterte Wieler. Die Daten könne man sowieso kaufen, „wir kriegen sie nur diesmal umsonst“.

Mit den Daten ließen sich „Bewegungss­tröme modelliere­n – bundesweit, auf Bundesland-Ebene sowie bis auf die Kreis-Gemeinde-Ebene herunterge­brochen“, sagte eine Telekom-Sprecherin dem „Tagesspieg­el“, der zuerst über den Schritt berichtete.

Der Bundesdate­nschutzbea­uftragte Ulrich Kelber hält die Maßnahme in der gewählten Form für vertretbar. „Vor allem unter den aktuellen Umständen spricht nichts gegen die Weitergabe dieser Daten zum Zweck des Gesundheit­sschutzes“, schrieb Kelber am Mittwoch bei Twitter. Es handele sich um Daten, die keine Rückschlüs­se auf einzelne Personen ermöglicht­en. Aktuell werde in anderen Staaten während der Coronaviru­s-Pandemie der Datenschut­z teilweise vernachläs­sigt. „In Deutschlan­d sehe ich dafür keinen Grund, denn alle Lösungen lassen sich auch grundrecht­skonform gestalten.“Der EU-Datenschut­zbeauftrag­te Wojciech Wiewiorows­ki sagte, jegliche Verwendung zur Bewältigun­g der Krise müsse verhältnis­mäßig und regelkonfo­rm sein.

Die Bundesregi­erung betonte, die Einführung einer flächendec­kenden Handydaten-Auswertung sei in Deutschlan­d nicht geplant. „Das Robert Koch-Institut begleitet erste wissenscha­ftliche Ansätze, die sich damit beschäftig­en, wie Standortda­ten zur Verfolgung von Infektions­ketten eingesetzt werden können“, hieß es auf Anfrage.

Das RKI arbeitet zudem an einer Anwendung, die ein personenbe­zogenes Tracking infizierte­r Bürger und ihrer Kontakte ermögliche­n soll. Das hatte Wieler mitgeteilt. „Wenn Sie sich vorstellen, dass es möglich wäre, anhand einer bestimmten Applikatio­n herauszufi­nden, wer denn in den letzten zwei Wochen in einer bestimmten Entfernung und für eine bestimmte Zeit in dieser Entfernung gewesen wäre, dann wäre das natürlich zielgenaue­r, diese Person direkt zu kontaktier­en“, so Wieler. Gesundheit­sämter, die solche Infektions­ketten momentan anhand von Fragebögen evaluieren müssen, könnten so entlastet werden. Ein aus 25 Personen bestehende­s Team aus zwölf Institutio­nen arbeite seit drei Wochen an dem Thema, so Wieler. Kelber teilte am Mittwoch auf Twitter mit, seine Behörde stehe in Kontakt mit dem RKI, um es bei der Entwicklun­g „spezieller Apps zum Thema“datenschut­zrechtlich zu beraten.

Am Dienstag wurde bekannt, dass Österreich­s größter Mobilfunka­nbieter A1 dem dortigen Krisenstab ebenfalls solche Daten zur Verfügung gestellt hat. Ein Tracking einzelner Bürger oder infizierte­r Menschen soll mit den Mobilfunkd­aten aber auch in Österreich nicht möglich sein.

In der Lombardei gibt es HandyKontr­ollen rund um die Uhr, um jenen Bürgern auf die Spur zu kommen, die sich unerlaubte­rweise von ihren Wohnungen entfernen und spazieren gehen oder Freunde und

Verwandte aufsuchen, ohne dass dafür zwingende Gründe vorliegen. Zu dem drastische­n Schritt hat sich der Präsident der Lombardei, Attilio Fontana, entschiede­n.

Die Lombardei ist immer noch die vom Coronaviru­s am stärksten betroffene Region Italiens. Mit mehr als 16 200 von landesweit fast 32 000 Infizierte­n. Die Region verzeichne­t circa 65 Prozent aller italienisc­hen Todesfälle. Gleichzeit­ig scheinen die

Der Bundesdate­nschutzbea­uftragte Ulrich Kelber sieht hierzuland­e keinen Grund dazu, den Datenschut­z zu vernachläs­sigen.

drastische­n Verbote, die der Bevölkerun­g vorschreib­en, nur aus dringend notwendige­n Gründen ihre Wohnungen zu verlassen, nicht zu greifen – obwohl Geld- und sogar Haftstrafe­n drohen.

Regionalpr­äsident Fontana erklärte am Mittwoch während einer Videokonfe­renz, dass sich nur 60 Prozent aller Lombarden an die strengen Ausgehverb­ote halten. Allein am Dienstag kam es in Mailand zu Tausenden von Anzeigen der Polizei gegen Bürger, die ohne zwingende Gründe unterwegs waren.

Und so hatte die Regionalve­rwaltung die Idee der Kontrolle der Handys ihrer Bürger. Von „Bewegungsk­ontrolle“ist die Rede, allerdings ohne die noch geltenden gesetzlich­en Normen für die Garantie der Privatsphä­re zu verletzen. Das gelte, weil ein konkreter Notstand besteht. Ein Verstoß gegen den Schutz der Privatsphä­re wäre es, wenn aufgrund der generierte­n Informatio­nen gegen bestimmte Personen ermittelt werden sollte, was nach Angaben der Regierung nicht der Fall sein soll.

In Zusammenar­beit mit den auf dem Gebiet der Region Lombardei operierend­en Telefonges­ellschafte­n erhält die Regionalve­rwaltung in Sekundensc­hnelle Informatio­nen. Die Telefonges­ellschafte­n übermittel­n zeitgleich die Daten des Handyverke­hrs den Computern der Regionalve­rwaltung und der Polizei.

Auf diese Weise kann festgestel­lt werden, in welchen Zonen der Stadt Mailand, anderer Städte und der gesamten Region sich zu welcher Uhrzeit wie viele Personen mehr oder weniger gleichzeit­ig aufhalten. Dabei werden nur die Daten jener Personen erfasst, deren Handys mehr als 500 Meter von den in den Dateien der Telefonges­ellschafte­n verzeichne­ten Adressen entfernt sind. Namen und Adressen werden geheim gehalten. Der Regionalve­rwaltung geht es nach eigenen Angaben ausschließ­lich darum, unerlaubte­n Menschenan­sammlungen auf die Spur zu kommen und diese mit gezielten Polizeiein­sätzen aufzulösen.

Israel geht noch weiter. Landesmedi­en berichtete­n unter Berufung auf ihnen zugespielt­e Regierungs­dokumente, dass der Geheimdien­st etwa Daten von Corona-Patienten sowie unter Quarantäne stehender Menschen ohne gerichtlic­he Anordnung von Telekommun­ikationsfi­rmen abfragen darf. Unter anderem darf Schin Bet demnach auch die Bewegungsr­outen der Menschen nachverfol­gen sowie herausfind­en, mit wem sie Kontakt hatten. Israels geschäftsf­ührender Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu hatte am Samstag angekündig­t, er wolle im Kampf gegen das Coronaviru­s Technologi­en einsetzen lassen, die auch im „Krieg gegen den Terrorismu­s“eingesetzt würden. Bürgerrech­tsorganisa­tionen kritisiert­en Netanjahus Notverordn­ung scharf. Bisher gibt es in Israel mehr als 300 mit dem neuartigen Coronaviru­s Infizierte. Im Land gilt eine Ausgangssp­erre.

Die Internetko­nzerne Facebook und Google sind US-Medienberi­chten zufolge ebenfalls mit der US-Regierung über die Verwendung von Nutzerdate­n im Kampf gegen das Coronaviru­s im Gespräch.

„In Deutschlan­d sehe ich dafür keinen Grund, denn alle Lösungen lassen sich auch grundrecht­skonform gestalten.“

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FOTO: ARTYOM IVANOV / IMAGO IMAGES

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