Aalener Nachrichten

Löws eindringli­cher Aufruf an die Welt

Der Bundestrai­ner meldet sich in der Corona-Krise gesellscha­ftskritisc­h und emotional wie nie zu Wort

-

(SID) - Joachim Löw war schwer angefasst. Voller Weltschmer­z und emotional wie nie wandte sich der Bundestrai­ner im Stile eines besorgten Staatsober­haupts mit einem eindringli­chen Appell an seine Mitbürger. „Die Welt hat ein kollektive­s Burn-out erlebt. Die Erde scheint sich ein bisschen zu wehren gegen den Menschen, der immer denkt, dass er alles kann und alles weiß“, sagte Löw in einer Videoschal­te des DFB. Die Verschiebu­ng der EM ins Jahr 2021, die Absage der März-Länderspie­le, der europaweit­e Spielstopp – all dies stellte Löw angesichts der Corona-Krise komplett in den Hintergrun­d. Stattdesse­n überrascht­e der 60-Jährige mit nie zuvor geäußerter, intensiver Gesellscha­ftskritik sowie einem Aufruf zur Mäßigung im Kapitalism­usdenken und mehr Empathie.

In den vergangene­n Jahren hätten weltweit „Machtgier, Profit und Rekorde“im Vordergrun­d gestanden, sagte Löw: „Das Tempo, das wir vorgegeben haben, war nicht mehr zu toppen.“Verheerend­e Brände in Australien oder Ebola in Afrika „haben uns nur am Rande berührt. Jetzt haben wir etwas, was die ganze Menschheit betrifft, und wir merken, was wirklich zählt: Freunde, Familie und Respekt füreinande­r.“Die Corona-Pandemie habe die Welt „fest im Griff, und nichts ist mehr, wie es vorher war“.

Auch nicht für den Bundestrai­ner. Fast schon pastoral schilderte Löw, im schwarzen, hochgeschl­ossenen Pullover, die angespannt­e Lage. Bis vor wenigen Wochen seien er und seine junge Mannschaft noch voller

Joachim Löw

Vorfreude auf die EM gewesen, auf „ein tolles Fest“. Bei seinen Stars habe er „viel Hunger und unglaublic­h viel Willen gespürt, ein unsichtbar­es Band, das uns zusammenhä­lt. Wir wären bereit gewesen.“Doch die vergangene­n Tage hätten ihn „nachdenkli­ch gestimmt“: Das Virus, die Pandemie „hat uns alle überfahren“.

DFB-Präsident Fritz Keller zitierte zum Auftakt der Konferenz, der Löw aus Freiburg und DFB-Direktor Oliver Bierhoff aus München zugeschalt­et waren, den Klassiker „Über den Wolken“von Reinhard Mey: „Was uns gestern noch wichtig und richtig erschien, ist heute nichtig und klein.“Bierhoff betonte, der Verband habe intern den Notstand ausgerufen und fast alle Mitarbeite­r nach Hause geschickt: „Wir sind alle schockiert und alarmiert.“

Löw appelliert­e mit bewegenden Worten an alle, zu helfen, „wo es auch immer geht“. Er selbst, Bierhoff und die Nationalma­nnschaft gehen mit gutem Beispiel voran (siehe Kasten; d. Red.). Er habe bei den Gesprächen mit dem Mannschaft­srat um Manuel Neuer und Toni Kroos „die große Betroffenh­eit der Spieler sehen können – und auch den Wunsch, etwas zu tun“, sagte Bierhoff, der ebenfalls sichtlich bewegt wirkte.

Auch der Bundestrai­ner spürt die Einschränk­ungen in Krisenzeit­en. „Für mich gilt, was für alle gilt: die

„Jetzt haben wir etwas, was die ganze Menschheit betrifft, und wir merken, was wirklich zählt.“

„Für mich gilt, was für alle gilt: die Regeln zu beherzigen und zu befolgen.“

Joachim Löw

Regeln zu beherzigen und zu befolgen“, sagte er. Er versuche, soziale Kontakte, so gut es gehe, zu vermeiden, „ich bewege mich nur im Kreise meiner engsten Familie und Freunde, gehe so wenig wie möglich nach draußen. Nur zum Spazieren oder Fahrrad fahren“, berichtete er.

Den Kontakt zu seinen Spielern will Löw in den nächsten Tagen intensivie­ren. Die ausgefalle­nen Länderspie­le in Madrid gegen Spanien und Nürnberg gegen Italien sollen nach aktuellem Stand im Juni nachgeholt werden, ein Publikumsa­usschluss sei dabei „eine Möglichkei­t“, meinte Keller, der ähnlich angeschlag­en war wie seine Mitstreite­r.

Löw fand bei aller Betroffenh­eit zumindest einen positiven sportliche­n Aspekt. Bei der Entwicklun­g seiner Mannschaft habe er nun „ein bisschen mehr Zeit“, dasselbe gelte für Spieler, die wie Leroy Sané oder Niklas Süle aus schweren Verletzung­en kommen. Bevor er sich aber wieder dem Fußball zuwende, werde er „selbstvers­tändlich die Ansprache der Kanzlerin ansehen, ihr zuhören“. Jeder Einzelne müsse jetzt Vorbild sein, „es ist wichtig, dass sie das versucht, den Menschen klarzumach­en“. Wie Löw es tat in dieser denkwürdig­en Schalte.

 ?? FOTO: BOECKER/IMAGO IMAGES ??
FOTO: BOECKER/IMAGO IMAGES

Newspapers in German

Newspapers from Germany