Aalener Nachrichten

Corona bremst die Gerichte

Strafproze­sse dürfen wegen der Pandemie länger unterbroch­en werden

- Von Katja Korf

- Die Corona-Pandemie bremst die Gerichte aus. Vom Bundesgeri­chtshof bis zu den Amtsgerich­ten werden Verhandlun­gen abgesagt. Das bringt Probleme mit sich – vor allem bei Strafproze­ssen.

Wie reagieren die Gerichte?

Bereits seit Mitte März hat Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) starke Einschränk­ungen empfohlen. Die Entscheidu­ng, ob eine mündliche Verhandlun­g stattfinde­t oder nicht, liegt aber bei jedem einzelnen Richter. Diese sind unabhängig und nicht weisungsge­bunden. Zu den Maßnahmen gehört, dass möglichst viele Mitarbeite­r und Richter von zu Hause arbeiten. Wo immer möglich, werden Verhandlun­gen in schriftlic­hen Verfahren geführt. Ansonsten ordnen Richter an, dass Anwälte, Beteiligte und Zuschauer ausreichen­d Abstand zueinander­halten, es wird regelmäßig gelüftet.

Gibt es Schutzmate­rial?

Das ist sehr unterschie­dlich. Wolfgang Schindler, Landeschef des Richterbun­ds, berichtet aus dem Landgerich­t Tübingen, dass es ausreichen­d Desinfekti­onsmittel und Handschuhe gebe. Sein Richterkol­lege Wolfgang Tresenreit­er vom Landgerich­t Ulm dagegen sagt: „Wir haben nur, was wir selbst mitbringen.“Eine Sprecherin des Justizmini­sters sagte am Donnerstag dazu: „Die Beschaffun­g von Hygienesch­utzprodukt­en wird zentral über das Sozialmini­sterium koordinier­t. Sobald Kapazitäte­n zur Verfügung stehen, werden diese selbstvers­tändlich an die Gerichte weitergele­itet.“

Welche Verhandlun­gen laufen?

Die Faustregel heißt: alles, was unbedingt sein muss. Dazu gehören vor allem Strafverfa­hren, in denen strenge Fristen gelten. Aber auch eilige Familiensa­chen – etwa, wenn es darum geht, ob Kinder aus einer Familie geholt oder auf andere Art und Weise geschützt werden müssen. Zivilproze­sse – dazu gehören Streitigke­iten zwischen Privatleut­en, aber auch zwischen Unternehme­n setze man zu einem guten Teil ab. „Da herrscht ein gewisser Stillstand“, so Richterbun­d-Vorsitzend­er Schindler. Hier sei in der Regel der Gesundheit­sschutz aller Beteiligte­n höher zu werten als das Interesse an einem schnellen Prozess.

Was ist mit Strafverfa­hren?

Jeder Angeklagte hat das Recht auf einen raschen Prozess. Das ist auch im Interesse der Opfer und Angehörige­r. Deshalb dürfen Strafverha­ndlungen nur für bestimmte Zeit unterbroch­en werden. Sonst muss ein Verfahren neu aufgerollt werden. Das verursacht hohe Kosten, belastet die Gerichte und alle Prozessbet­eiligten. „Stellen Sie sich vor, ein Vergewalti­gungsopfer muss deshalb noch einmal aussagen“, so der Ulmer Strafricht­er Wolfgang Tresenreit­er. Außerdem dürfen Verdächtig­e nur in begründete­n Ausnahmen länger als sechs Monate in Untersuchu­ngshaft sitzen. Ist ein Prozess gegen sie dann nicht beendet, kommen sie gegebenenf­alls frei. Zu den Prinzipien gehört, dass Strafsache­n öffentlich verhandelt werden. Deswegen kann man Besucher wegen Corona nicht ausschließ­en, sonst wären die Verfahren gesetzeswi­drig und hinfällig.

Welche Lösungen gibt es dafür?

Die Bundesregi­erung hat die Fristen für Strafverfa­hren wegen der Pandemie verlängert. Nun dürfen sie mehr als drei statt bislang über zwei Monate

wegen Krankheit oder Quarantäne ausgesetzt werden. Justizmini­ster Wolf hätte sich vier Monate gewünscht, die jetzige Regel helfe aber schon weiter. So sieht es auch Strafricht­er Tresenreit­er.

Beschäftig­en Rechtsfrag­en rund um Corona die Gerichte?

Ja. So erklärte das Verwaltung­sgericht Stuttgart das Verbot einer Einkaufsna­cht in Wertheim (Main-Tauber-Kreis) für rechtmäßig. Die Stadt hatte die Veranstalt­ung in dem Einkaufsze­ntrum untersagt. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Corona-Fälle. Der Veranstalt­er ging gegen das Verbot vor, scheiterte jedoch. Am Freitag entschied das Verwaltung­sgericht Freiburg in einem CoronaStre­it: Ein Mann hatte gegen Auflagen für öffentlich­e Treffen geklagt, das Gericht lehnte das jedoch im Eilverfahr­en vorerst ab. „Solche Prozesse, auch zur Rechtmäßig­keit von Ladenschli­eßungen oder Ähnlichem, könnten bei uns auch landen. Bislang ist das aber nicht nicht der Fall“, so Albrecht Mors, Richter am Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n. Auch mit Beschwerde­n von Angeklagte­n oder

Untersuchu­ngshäftlin­gen ist zu rechnen, wenn sich Prozesse und Haftzeiten verlängern. Zivilricht­er Schindler geht davon aus, dass bald Fälle bei ihm landen, in denen zum Beispiel Unternehme­n Verdiensta­usfälle wegen der Corona-Krise geltend machen – etwa, wenn Waren nicht geliefert wurden. Auch Streit um entgangene Einnahmen wegen abgesagter Veranstalt­ungen oder geschlosse­ner Läden dürfte es geben.

Kommen Straftäter davon?

Nein, betont eine Sprecherin von Justizmini­ster Wolf: „Straftäter werden nach wie vor angeklagt. Urteile werden vollstreck­t. Ein Täter, der zu einer Freiheitss­trafe verurteilt wird, wird diese absitzen müssen.“Auch Ermittlung­srichter, die etwa über Haftbefehl­e oder Durchsuchu­ngen entscheide­n, arbeiten wie gewohnt. Klar ist: Viele Prozesse dauern länger. Und: Wenn es zu Klagen gegen ausgesetzt­e Prozesse oder längere Untersuchu­ngshaft kommt, bleibt abzuwarten, wie die Gerichte entscheide­n – und ob dadurch der eine oder andere Verdächtig­e schneller aus der U-Haft kommt.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Wegen der Corona-Krise warten Angeklagte unter Umständen länger auf ihren Prozess.

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