Der perfekte Nährboden für die große Katastrophe
Zehntausende Flüchtlinge leben auf engstem Raum auf den griechischen Inseln – Isolation unmöglich
- Die Krätze ist schon vor einigen Wochen ausgebrochen, das Wasser ist knapp, Hygienemaßnahmen so gut wie unmöglich: Die Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ist schon ohne Corona-Pandemie dramatisch. Kommt jetzt noch das Virus, droht eine humanitäre Katastrophe. Hilfsorganisationen, Kirchen und Verbände schlagen deshalb Alarm und fordern die Evakuierung der Lager.
Würde das Virus in den Lagern ausbrechen, wäre das „die absolute Katastrophe“, sagt Marie von Manteuffel, Migrationsexpertin bei Ärzte ohne Grenzen. „Die Menschen dort leben unter Bedingungen, die den perfekten Nährboden für die ganz schnelle Ausbreitung des Virus bieten: viele Menschen auf viel zu engem Raum. Sie haben keine Möglichkeit, die Hygienemaßnahmen durchzuführen, die erforderlich wären, um die Verbreitung zu verhindern. Es gibt zu wenig Wasser, zu wenig Seife, zu wenig Duschen und, das kommt erschwerend hinzu, dort leben ganz viele Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Das wäre für einen Krankheitsverlauf besonders problematisch.“
Mehr als 40 000 Flüchtlinge – darunter rund 5000 unbegleitete Minderjährige – leben in den Lagern auf den griechischen Inseln. „Die medizinische Situation ist seit Jahren inakzeptabel“, sagt Manteuffel. „Mit dieser neuen Gefahr ist es wirklich unerträglich geworden. Diese Lager müssen aufgelöst und die Menschen an sichere Orte gebracht werden.“
Bestätigte Infizierte innerhalb der Lager gibt es derzeit noch nicht. Es zeichne sich aber ab, dass die Lager zunehmend sich selbst überlassen werden, sagt Manteuffel. „Seit zwei Wochen sind die griechischen und europäischen Asylbehörden nicht mehr vor Ort. Die Menschen sind hier, um als schutzbedürftig anerkannt zu werden. Dass diese Verfahren jetzt zum Erliegen kommen, ist hochproblematisch.“
Und ein Ausbruch des Virus scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Chronisch kranke Patienten und vor allem Kinder müssten deshalb sofort von der Insel geholt werden, fordert Manteuffel. „Das muss jetzt schnell und unbürokratisch passieren. Da ist Gefahr im Verzug.“
Neben Ärzte ohne Grenzen drängen weitere Verbände und Politiker zur Eile. Und auch die Kirche positioniert sich: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, fordert von der EU, die in Aussicht gestellte Übernahme von Kindern schnell umzusetzen. „Den Schutzsuchenden in den Flüchtlingslagern droht eine Katastrophe, sobald die Erkrankung COVID-19 dort ausbricht.“
Das Diakonische Werk Württemberg setzt sich derweil für die Evakuierung der Lager ein. Andernfalls riskiere man eine Tragödie mit vielen Toten, sagte Vorstandsvorsitzender Dieter Kaufmann dem Evangelischen Pressedienst. Die Diakonie stehe mit anderen Trägern und Kommunen bereit, ihre Hilfesysteme und Netzwerke zu aktivieren.
Die EU will zumindest 1600 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Sicherheit bringen. Man hoffe, man könne in den kommenden Wochen mit der Umsiedelung beginnen, heißt es vonseiten der EU-Kommission. Innenminister Horst Seehofer versicherte, dass sich Deutschland an der Aufnahme beteiligen werde.
„Angesichts von 40 000 Menschen, die geschützt werden müssen, und allein 5000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist das ein sehr kleiner Anfang“, kritisierte Kaufmann.