Durchhalten
Der Friedrichshafener Autozulieferer ZF erwartet deutliche Umsatzeinbrüche – Mit Blick auf die aktuelle Krise erscheint das schwierige Jahr 2019 gar nicht so schlimm
- Stillstehende Fließbänder bei den Kunden, Märkte, in denen Regierungen nach und nach das öffentliche Leben vollkommen herunterfahren. Angesichts der Schwierigkeiten, vor die das Coronavirus ZF in diesen Tagen stellt, wirken die Probleme, mit denen der Autozulieferer im Jahr 2019 zu kämpfen hatte, fast belanglos. Zollstreitigkeiten, Brexit, einbrechende Konjunktur in China haben den Friedrichshafener Traditionskonzern in den vergangenen Monaten Umsatz, Gewinn und Nerven gekostet. Doch was nun auf das Unternehmen zukommt, ist so unvorhersehbar wie gefährlich.
„Die gegenwärtige Unsicherheit hinsichtlich der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus macht eine Prognose der Geschäftsentwicklung für das Jahr 2020 aus heutiger Sicht nicht möglich“, sagte ZF-Chef WolfHenning Scheider bei der Vorstellung der Jahreszahlen 2019. Und auch die Präsentation der Bilanz hatte die weltweite Pandemie durcheinandergewirbelt. In der Zentrale in Friedrichshafen am Bodensee saßen neben dem Vorstandsvorsitzenden des drittgrößten deutschen Autozulieferers nur dessen Finanzchef Konstantin Sauer, der Personalchef der deutschen Standorte Frank Iwer und einige Mitglieder der Kommunikationsabteilung – digital über Video und Telefon verbunden mit Journalisten und Analysten in aller Welt.
Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen – und ZF hat sich gezwungenermaßen an die Situation der Kunden angepasst. In den Werken des Konzerns sind die Produktion ausgesetzt oder die Arbeitszeiten der Belegschaft reduziert. Um in Deutschland auf Kurzarbeit gehen zu können, hat der Vorstand in der vergangenen Woche eine „gute Rahmenvereinbarung“, wie Scheider sagte, getroffen. „Wir fahren auf Sicht und haben in den nächsten drei Monaten alle Möglichkeiten, Unterlastungen auszusteuern“, erläutert der für die deutschen Werke zuständige Personalchef Frank Iwer. Zudem gehe es darum, sich tagesaktuell in allen Bereichen, kostenmäßig anzupassen, wie Scheider erläuterte. „Wir versuchen Deckungsbeitragsverluste sofort mit Sparprogrammen zu kompensieren.“ZF fühlt sich gerüstet für die nächsten Wochen des
Shutdowns in Europa. „Ein Einbruch um 20 Prozent erschreckt uns nicht“, sagte der ZF-Chef, „wenn die Nachfrage allerdings um 50 Prozent nachlässt, sieht das anders aus.“
Klar ist aber eines: ZF erwartet für 2020 einen deutlichen Rückgang der Umsätze, weil die Nachfrage in allen relevanten Märkten auch nach Ende der Krise „erheblich beeinträchtigt“sein werde. „Entscheidend wird sein, was getan wird, um das Vertrauen der Verbraucher nach der Krise wiederherzustellen“, sagte Scheider, der das milliardenschwere Hilfspaket, das die Bundesregierung in dieser
Woche auf den Weg gebracht hat, ausdrücklich begrüßte. „Die Frage ist, ob die Menschen bereit sein und die finanziellen Mittel haben werden, sich wieder Autos zu kaufen.“
Schon jetzt bereitet sich das Unternehmen darauf vor, dass die Kunden ihre Werke wieder hochfahren. Das bedeute, dass der Konzern mit kleinen Teams in einigen Bereichen die Mindestfunktionen aufrechterhält. In China sind die 40 Werke von ZF bereits seit zwei Wochen wieder in Betrieb mit einer Auslastung von 90 Prozent. Auch deshalb könne ZF nicht alle Standorte komplett runterfahren, weil die deutschen Produktionen sehr viel nach Fernost lieferten. „Wir müssen uns diese Umsatzchancen erhalten“, erklärte Scheider. Die Herausforderung ist, den Warenaustausch mit China „wieder dauerhaft in Gang zu bringen.“
Mit Blick auf die kommenden Jahre geht ZF von einer länger anhaltenden Schwächephase aus, die die Corona-Pandemie aktuell erheblich verstärkt. Dabei sei schon das vergangene Geschäftsjahr schwierig gewesen, sagte Scheider. ZF hatte seine Jahresprognose im vergangenen Sommer nach unten korrigiert und mit gezielten Programmen die Kosten gedrückt. „Mit den getroffenen Maßnahmen haben wir unsere operative Umsatzrendite von 3,5 Prozent im ersten Halbjahr auf 4,1 Prozent für das Gesamtjahr 2019 verbessert und liegen damit im Gesamtjahr am unteren Ende der zur Jahresmitte erwarteten Bandbreite zwischen vier und fünf Prozent“, erklärte ZF-Finanzchef Konstantin Sauer. ZF erwirtschaftete 2019 einen Gesamtumsatz von 36,518 Milliarden Euro, das entsprach einem Minus von 1,1 Prozent im Vergleich zu 2018. Der operative Gewinn sank um 27,53 Prozent auf 1,503 Milliarden Euro. „Die Verringerung ist hauptsächlich auf den Umsatzrückgang zurückzuführen“, sagte Sauer. „Höhere Forschungs- und Entwicklungskosten, Anlaufkosten für neue Werke belasteten ebenfalls unser Ergebnis.“
Positiv im vergangenen Jahr sei der Gewinn mehrerer Großaufträge in den Geschäftsfeldern Antriebstechnik, Sicherheitstechnik und automatisiertes Fahren. „Sie tragen dazu bei, unser laufendes Geschäft sowie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und die Investitionen in Zukunftstechnologien zu finanzieren“, erklärte Scheider. Dazu gehören Aufträge für die neue Generation der hybridfähigen Acht-Gang-Automatikgetriebe von BMW, Fiat-Chrysler und Jaguar-Landrover. Zudem hat sich der japanische Autobauer Toyota nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Branchenkreisen für ein neues Sicherheitssystem des Zulieferers vom Bodensee entschieden. Das genaue Volumen der Großaufträge nannte Scheider nicht. „Es sind viele Milliarden, signifikant viele Milliarden“, sagte der ZF-Chef. „Wenn die Corona-Krise abgeklungen ist, ermöglichen die Aufträge uns ein Umsatzwachstum auf deutlich über 40 Milliarden Euro.“
Wenn die Corona-Krise abgeklungen ist – diese Bedingung klang bei jeder Aussage Scheiders über die Zukunft seines Unternehmens mit. Nur in wenigen Sätzen blitzte auch Optimismus durch. So setzt Scheider darauf, dass die Kunden in China nun verstärkt Autos kaufen werden, weil „sie lange auf Mobilität verzichten mussten“. Es klang nach einer verzweifelten Durchhalteparole. Wahrscheinlich würde Scheider gerne die Probleme des Jahres 2019 gegen die aktuellen tauschen.