Aalener Nachrichten

König der Löwen

Mit Disney+ wütet im Raubtierkä­fig der Streamingd­ienste ein neuer großer Anbieter

- Von Rüdiger Suchsland

Jetzt ist sie da. Die Firma mit der Maus, der Klassiker unter den großen US-amerikanis­chen Medienries­en, kommt spät auf den globalen Marktplatz der SteamingKo­nzerne. Aber dafür gewaltig. Denn das Disney-Studio, das seit dieser Woche mit Disney+ die schon reichliche­n Angebote der InternetFi­lmdienste aufmischt, ist hier nicht etwa der Hecht in einem Karpfentei­ch. Die Streaming-Szene gleicht seit jeher eher einem Raubtierkä­fig aus lauter reißerisch­en Bestien, die einander belauern und nur darauf warten, dass sich irgendwer eine Blöße gibt im Kampf um die fettesten Fleischbro­cken, sprich Filmrechte und Publikumsm­arktanteil­e.

Mit großen Erwartunge­n ist das neue Streaming-Portal an den Start gegangen, man traut der Firma mit der Maus alle Marktmacht zu, die Konkurrent­en Netflix und Amazon Prime in die Knie zu zwingen.

Sie haben lange abgewartet. Und jetzt wirkt es fast, als ob sie es vorher gewusst hätten. Denn einen besseren Moment für den großen Aufschlag hätte es für Disney+ gar nicht geben können: Die aufgezwung­ene Corona-Quarantäne fesselt Millionen Menschen in den heimischen vier Wänden fest. Wer bisher sein Geld für Kino- und Konzertkar­ten oder einfach ein schönes Abendessen im Restaurant ausgab, ist jetzt erst recht nur allzu bereit, 69 Euro zu bezahlen – fürs ganze Jahr! Dies ist der Dumping-Einstiegsp­reis. Später wird der Dienst pro Monat mindestens 6.99 Euro kosten.

Seit dem 24. März flutet Disney+ nun das Netz. Unter dem Angebot ist viel Altes, durchaus Klassiker, wie „Dumbo“von 1941 oder „Pinocchio“von 1940 (aus unerfindli­chen Gründen in „Die lebendige Puppe“umbenannt). Und was bei Disney niemanden überrasche­n wird: Nutzer haben Zugriff auf Inhalte von Disney, Pixar, Marvel, Star Wars, National Geographic

und – ganz wichtig! – alle Folgen der Simpsons. In den USA wurden so in nur drei Monaten rund 28 Millionen Abonnenten gewonnen – vor Corona.

Es fehlt aber auch vieles, was man unbedingt erwartet hätte: viel von Mickey-Mouse, alle klassische­n Fernsehser­ien der Pionierzei­t des Mediums, als Walt Disney selbst „Zorro“produziert­e. Und das Historisch­e, was es gibt, ist mit politischü­berkorrekt­en Warnhinwei­sen zugepflast­ert: „Enthält Darstellun­gen von Tabakprodu­kten“, „Einige flackernde Liebesszen­en könnten negative Auswirkung­en auf lichtempfi­ndliche Zuschauer haben“– schlecht übersetzt, aber typisch Disney eben. Der Konzern war schon immer Propagandi­st einer Nanny-Kultur mit allzu-perfekten, erzkonserv­ativen Heile-Welt-Bildern. Ob das in einer Zeit aufgeht, in der Seuchen- und Zombie-Filme zu den aktuellen NetzRenner­n mutieren, weil man offenbar den Corona-Schrecken durch seine Beschwörun­g bannen will, bleibt abzuwarten.

Für das Publikum, das mehr will als „Bambi“-Welten bietet man auch Neues: Ein Lockvogel-Angebot namens „Star Wars: The Mandaloria­n“. Die erste Star-Wars-Serie, die keine Trickfilmp­roduktion ist. Sie ist eine Mischung aus Sience-Fiction-Fantasy und Western, und dreht sich unter anderem um den Zen-Jedi Yoda – hier: Baby Yoda. Der Held aber ist Kopfgeldjä­ger. Das Imperium ist zusammenge­brochen, der Raumschiff­treibstoff teuer und die Aufträge sind rar. Das klingt fast schon wie eine Mischung aus „Mad Max“und Post-Corona-Europa.

Da siegt dann kapitalist­isches Renditeden­ken über alle Moral: Denn der Markt befindet sich in einer immensen Bewegung. Mit jedem neuen Player werden auch die Filmrechte neu verteilt. Das war schon vor der derzeitige­n Corona-Krise der Fall. Mit der Pandemie kommt hinzu, dass bei einem auf so vielen

Säulen aufgestell­ten Medienkonz­ern wie Disney diverse Geldquelle­n plötzlich nicht mehr sprudeln: Alle Vergnügung­sparks mussten schließen, Kreuzfahrt­en und Bühnenshow­s wurden abgesagt, der Kinostart von „Mulan“wurde verschoben, andere Dreharbeit­en mussten abgebroche­n werden, in den Fernsehkan­älen des Maus-Konzerns wie ESPN laufen plötzlich keine DauerSport­sendungen mehr. Im Ergebnis brach die Disney-Aktie seit Anfang des Monats um knapp 40 Prozent ein.

Das kann Netflix und Amazon nicht passieren: Wer nur im Netz unterwegs ist, profitiert von Ausgangssp­erren und Shutdown. Allein Amazon legte seit dem 15. März um 10 Milliarden Dollar Marktwert zu, die Aktie gewann gegen die Börsentren­ds der Welt 15 Prozent. Die Netflix-Aktie legte von gut 281 Euro am 18. März in nur sechs Tagen auf über 332 Euro zu – das sind rund 18 Prozent mehr.

 ?? FOTO: DISNEY ENTERPRISE­S ?? Der neue Streamingd­ienst Disney+ flutet seit 24. März den Markt mit einer breiten Auswahl an Filmen für große und kleine Zuschauer, darunter ist auch „König der Löwen“von 1994.
FOTO: DISNEY ENTERPRISE­S Der neue Streamingd­ienst Disney+ flutet seit 24. März den Markt mit einer breiten Auswahl an Filmen für große und kleine Zuschauer, darunter ist auch „König der Löwen“von 1994.

Newspapers in German

Newspapers from Germany