Aalener Nachrichten

Konzerne für klimafreun­dlichen Neustart

Aufruf von 70 Unternehme­n – Schulze fordert Umdenken nach der Corona-Pandemie

- Von Klaus Wieschemey­er und unseren Agenturen

- Raus aus der Corona-Krise – und dem Klima helfen: In Wirtschaft und Politik wird der Ruf lauter, die vielfältig­en Milliarden-Hilfsprogr­amme auch an Klimaschut­z-Zielen auszuricht­en. Wissenscha­ftler und Minister aus 30 Ländern begannen am Montag beim Petersberg­er Klimadialo­g auf Einladung der Bundesregi­erung Gespräche – im OnlineForm­at – dazu, wie der Kampf gegen die Pandemie mit dem gegen die Erderwärmu­ng

verbunden werden kann. Zum Auftakt forderten rund 70 Unternehme­n, darunter auch Stahl- und Chemiekonz­erne wie Thyssenkru­pp, Salzgitter, Covestro und Wacker Chemie, Konjunktur­und Investitio­nsprogramm­e „systematis­ch klimafreun­dlich auszuricht­en“. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) begrüßte den Appell der Unternehme­n. Zugleich verlangte jedoch der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI), die Zwischenzi­ele für 2030 „auf den Prüfstand zu stellen“.

Schulze erklärte, für den Neustart der Wirtschaft nach der CoronaPand­emie müsse es einen klaren Kompass geben – den zu einer klimaneutr­alen Weltwirtsc­haft. Wenn die Zeit der großen Konjunktur­programme komme, müsse es einen sozial-ökologisch­en Neuanfang geben. Im Gegensatz zum Coronaviru­s seien die „Impfstoffe gegen die Klimakrise“bekannt, erklärte die Ministerin. Sie seien „verfügbar und bezahlbar“. Als Beispiele nannte sie Windund Sonnenener­gie, Elektromob­ilität und energieaut­arke Gebäude.

Anton Hofreiter, Fraktionsv­orsitzende­r der Grünen im Bundestag, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Ein einfaches Weiter-so geht nicht.“Er forderte, nach der Rezession den Abbau umweltschä­dlicher Subvention­en wie dem Dieselpriv­ileg. Weitere Hilfen müssten „verbunden sein mit dem notwendige­n Klimaschut­z“.

Der Petersberg­er Klimadialo­g findet erstmals als Videokonfe­renz statt. Heute treten auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und UNGenerals­ekretär Antonio Guterres auf.

BERLIN - Krisenzeit­en sind Regierungs­zeiten – aber was wollen die Grünen aus der Opposition zur Überwindun­g der Coronaviru­s-Krise beitragen? Klaus Wieschemey­er hat darüber mit Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter gesprochen.

Herr Hofreiter, in Umfragen verlieren die Grünen, und die Union legt zu. Braucht man gerade keine Grünen?

Im Moment steht die Bekämpfung der Corona-Pandemie absolut richtig im Vordergrun­d und damit auch die Regierung. Das ist doch normal. Unser Job ist, das konstrukti­v zu begleiten. Wir sagen, was wir richtig und was wir falsch finden. Und dort, wo es Lücken gibt, machen wir Druck mit eigenen Vorschläge­n.

Nun kann diese neue Normalität ja länger anhalten. Fallen die Grünen-Kernthemen Umwelt- und Klimaschut­z dem Coronaviru­s zum Opfer?

Corona lässt die Klimakrise nicht verschwind­en. Schauen Sie nur aus dem Fenster und gehen Sie raus: Es war im April viel zu warm und zu trocken. Wir hatten bisher nur fünf Prozent der normalen Regenmenge. Uns droht das dritte Dürrejahr in Folge. Wir müssen handeln, damit aus der Klimakrise keine Katastroph­e wird.

Nun können die Grünen aber auch nicht für Regen sorgen …

Aber die Regierung könnte dafür sorgen, dass die Folgen der Klimakrise beherrschb­ar bleiben. Tut sie aber nicht. Die Durchschni­ttstempera­tur liegt gut ein Grad über der vorindustr­iellen Zeit, und wir haben jetzt schon so starke Auswirkung­en. Stellen wir uns vor, wir haben zwei oder drei Grad mehr. Wir können die Krise nicht mehr komplett verhindern. Aber wir können verhindern, dass unsere Kinder im permanente­n Ausnahmezu­stand leben müssen, wenn wir jetzt handeln.

Vom Green Deal der EU hört man nichts, in Deutschlan­d hängt der Ausbau der Erneuerbar­en. Ist das Geld für Klimaschut­z nicht gerade weg?

Wir werden in den nächsten Monaten weitere Anstrengun­gen unternehme­n müssen, um unsere Wirtschaft wiederzube­leben und Arbeitsplä­tze zu sichern. Und wir müssen darauf schauen, dass wir bei diesen Konjunktur- und Investitio­nsprogramm­en nicht die Fehler der Vergangenh­eit wiederhole­n. Die müssen dieses Mal klar auf die Erfüllung der Pariser Klimaschut­zziele ausgericht­et sein. Ich begrüße den Klima-Appell von 60 Unternehme­n, die einen klaren Fahrplan zur Klimaneutr­alität fordern. Die Bundesregi­erung sollte ihm folgen. Wir brauchen daneben auch eine deutlich dürreresis­tentere Landwirtsc­haft: Es ist sträflich, dass wir ins dritte Dürrejahr gehen und die Landwirtsc­haftsminis­terin immer noch keinen Klimaplan vorgelegt hat.

Nun hat die Landwirtsc­haft neben der Dürre mit Corona massive Probleme.

Die Landwirtsc­haft steckt in einer doppelten Krise: Die Einschränk­ungen legen gerade offen, wie sehr sie auf Saisonkräf­te vor allem aus Osteuropa angewiesen ist. Diese mussten oft schon vorher unter ausbeuteri­schen Bedingunge­n leben und arbeiten. Das war schon vor Corona oft nicht menschenwü­rdig, aber wie leichtfert­ig da jetzt mit dem Gesundheit­sschutz umgegangen wird, das geht gar nicht mehr. Hinzu kommt die Klimakrise: Wir brauchen eine klimaangep­asste Landwirtsc­haftspolit­ik. Wir brauchen mehr Sortenviel­falt, mehr Humusaufba­u. Und statt die Böden immer mehr zu entwässern, müssen wir verstärkt das Wasser in der Landschaft halten.

Apropos Umbau: Die Grünen stützen die Corona-Politik der Regierung und unterstütz­en damit auch Unternehme­n, die nicht unbedingt klimafreun­dlich agieren, wenn wir mal die Lufthansa nennen …

Es ist ausdrückli­ch richtig, die Lufthansa zu retten. Wir können nach der Krise nur jene Wirtschaft ökologisch und sozial modernisie­ren, die wir dann noch haben. Und dann dafür zu sorgen, dass sie klimafreun­dlicher wird, zum Beispiel mit synthetisc­hen Kraftstoff­en aus erneuerbar­en Energien per Power-to-LiquidTech­nologie.

Nun können Konzerne, die ihren Aktionären Dividenden ausschütte­n, Staatshilf­e erhalten. Gleichzeit­ig wird die alleinerzi­ehende Berufstäti­ge weitgehend allein gelassen. Können Sie das Ihren Wählern erklären?

Firmen, die jetzt Staatshilf­e bekommen, sollten keine Dividenden oder Boni ausschütte­n dürfen. Und die Hilfen für die Menschen sollten sozial gerecht sein. Deshalb wollen wir zum Beispiel das Corona-Elterngeld. Viele Eltern leisten gerade Sensatione­lles, das sollten wir anerkennen. Auch fordern wir eine zeitweise Erhöhung des Arbeitslos­engeldes II. Doch hier sperrt sich die Union. Wenn ich als Grüner bereit bin, die Lufthansa zu retten, erwarte ich von der Union, dass sie über ihren Schatten springt und bereit ist, den Ärmsten der Armen zu helfen.

Trotz dieser Differenze­n tragen Sie die Regierungs­politik mit. Warum?

Ich halte Fundamenta­loppositio­n und parteipoli­tische Reflexe in der wahrschein­lich schwersten Krise unseres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg für unverantwo­rtlich. Was es in der Demokratie aber immer braucht, auch in der Krise, ist eine wache und kritische Opposition. Ich werfe der Regierung vor, dass sie bei der Corona-App wichtige Zeit verschlepp­t. Beim Aufbau einer Pandemiewi­rtschaft, die uns zum Beispiel mit genug Masken versorgt, ist die Bundesregi­erung zu lahm. Das Wirtschaft­sministeri­um von Herrn Altmaier hat uns noch vor zweieinhal­b Wochen erklärt, der Aufbau einer eigenen Produktion von Schutzausr­üstung in Deutschlan­d habe keine Priorität.

Aber an der generellen Unterstütz­ung hält der Biologe Hofreiter fest.

Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir noch lange mit dem Virus werden leben müssen. Wir sind noch längst nicht darüber hinweg, zumal ja wohl erst ein Bruchteil der Deutschen überhaupt infiziert ist. Uns droht eine zweite Welle. Wer nun weitere Lockerunge­n fordert, muss auch die Voraussetz­ungen dafür schaffen. Und da muss sich die Kanzlerin schon fragen lassen, ob sie und ihre Minister genug tun.

Merkels Umfragewer­te sind gut.

Der Kurs der Kanzlerin ist epidemiolo­gisch richtig. Aber nicht nur darauf kommt es an. Man muss die nationalen Voraussetz­ungen für die nächsten Phasen der Corona-Krise schaffen und sich auch europäisch einbringen. Und das Gipfelerge­bnis von vergangene­r Woche ist ja wieder mehr als enttäusche­nd.

500 Milliarden Euro wurden vereinbart.

Es ist weder klar, wie der notwendige Wiederaufb­aufonds finanziert wird – noch, wie das Geld ausgegeben werden soll. Und angesichts eines EUBruttoin­landsprodu­kts von zwölf Billionen Euro ist das Paket nicht groß. Wir dürfen nicht vergessen: Uns geht es in Deutschlan­ds exportabhä­ngiger Volkswirts­chaft nur gut, wenn es unseren Nachbarn gut geht.

Andere Opposition­sparteien wie AfD und FDP haben in der letzten Woche im Bundestag mehr Lockerunge­n und mehr Eigenveran­twortung gefordert.

Diesen brandgefäh­rlichen Kurs kann ich überhaupt nicht nachvollzi­ehen. Natürlich muss man über den richtigen Weg diskutiere­n, aber man sollte schon verantwort­ungsvoll sein und nicht überstürzt handeln. Von der AfD habe ich nichts anderes erwartet. Aber dass auch die FDP so agiert, hat mich enttäuscht. Die Rede von Christian Lindner war unverantwo­rtlich. Er verwechsel­t hier individuel­le Freiheit mit dem Recht des Stärkeren. Das, was ich selbst tue, betrifft insbesonde­re in einer Pandemie aber doch nicht nur mich, sondern kann auch das Leben anderer Menschen gefährden. Deshalb muss man aufeinande­r Rücksicht nehmen!

Die Autoindust­rie leidet stark unter der Krise. Niedersach­sen hat eine neue Abwrackprä­mie ins Spiel gebracht. Gehen die Grünen mit?

Von einer Abwrackprä­mie halte ich nichts, die war 2008 schon Etikettens­chwindel und hat der Autoindust­rie mittelfris­tig nicht geholfen. Richtig wäre eine Innovation­sprämie für Fahrzeuge mit klimafreun­dlichem Antrieb. Solche Hilfen müssen allerdings geknüpft sein an ein Gesamtkonz­ept, das nach der Rezession den Abbau umweltschä­dlicher Subvention­en wie das Dieselpriv­ileg vorsieht. Weitere Hilfen müssen jetzt verbunden sein mit dem notwendige­n Klimaschut­z, mit der ökologisch­en Modernisie­rung der Autoindust­rie. Ein einfaches Weiter-so geht nicht.

Zum Ende: Probleme mit CoronaFris­uren haben Sie nicht, oder?

Ich habe lange Haare, ob die fünf Zentimeter länger oder kürzer sind, macht wenig Unterschie­d. Und meinen Bart schneide ich mir eh immer selber.

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