Hoffen auf Corona-Wirkstoff
USA erlauben Einsatz von Remdesivir gegen Covid-19
(dpa/ sbh) - Das antivirale Mittel Remdesivir hat in den USA eine Sonderzulassung für die Behandlung von Coronavirus-Patienten erhalten. Die Arzneimittelbehörde FDA stellte am Freitag eine Notfallgenehmigung für den Einsatz des Wirkstoffs gegen die Lungenkrankheit Covid-19 aus. Eine klinische Studie hatte zuvor gezeigt, dass er bei Covid-Patienten die Zeit bis zu einer Genesung verkürzen kann. Auch in Deutschland ist das Ebola-Mittel im Rahmen eines Arzneimittel-Härtefallprogrammes zugänglich und wird getestet.
Neben Medikamenten gegen Ebola gelten Malaria-Wirkstoffe wie Chloroquin als vielversprechend bei der Suche nach einer Covid-19-Arznei. Für die Organisation Medicines for Malaria Venture in Genf erforscht der Ravensburger Jörg Möhrle Malaria-Medikamente, die er mitentwickelt hat. Sie könnten für Corona-Patienten infrage kommen.
„Ich denke, dass wir eine Fifty-fifty-Chance haben.“
Jörg Möhrle, Koordinator bei Malariaforschung
- Jörg Möhrle war seit rund sieben Wochen nicht mehr in seinem Büro in Genf. Seinen Kampf gegen Malaria muss er derzeit aus seinem Homeoffice führen. Der gebürtige Ravensburger koordiniert für eine gemeinnützige Organisation in der Schweiz die Entwicklung von Wirkstoffen gegen die Krankheit. Tests mit Medikamenten, für die das Interesse der Pharmabranche in der Vergangenheit eher gering war. Bis jetzt. Denn bei den Mitteln gegen Malaria existiert die Vermutung, dass sie auch auf das Coronavirus einwirken. Ein Hoffnungsschimmer, der aber auch eine Schattenseite hat.
Überall auf der Welt laufen derzeit die Forschungen an wirksamen Medikamenten für an Covid-19 erkrankte Menschen auf Hochtouren. Mehr als Hundert Wirkstoffe werden untersucht, in der Hoffnung, so schnell wie möglich eine Therapie zu finden und die Pandemie damit aufzuhalten. Als vielversprechende Kandidaten gelten unter anderem die Stoffe Chloroquin und das verwandte Hydroxychloroquin. Malariamedikamente, die bereits seit Jahrzehnten im Einsatz sind.
Seit mehr als 20 Jahren treibt die Organisation Medicines for Malaria Venture (MMV) im eidgenössischen Genf die Weiterentwicklung solcher Medikamente im Kampf gegen Malaria voran. In dieser Zeit hat MMV nach eigenen Angaben 13 Wirkstoffe auf den Markt gebracht, weil die Malariaerreger immer wieder resistent gegen die Medikamente werden. Finanziert wird das unter anderem durch die Bill und Melinda Gates Stiftung, die World Health Organisation (WHO) oder das deutsche Bundesforschungsministerium. Für Pharmaunternehmen ist die Forschung oft nicht wirtschaftlich, die Entwicklungskosten können über den Verkaufspreis meist nicht gedeckt werden.
Möhrle arbeitet seit 15 Jahren für die Organisation. Abitur in Ravensburg, Doktorarbeit über Malaria, Karriere in der Pharmaund Biotechbranche in der Schweiz. Irgendwann habe ihm die wissenschaftliche Kreativität gefehlt, sagt er. „Das war frustrierend.“Heute widmet er sich der Erforschung neuer Wirkstoffe gegen Malaria – vom fertig erzeugten Molekül, Tests an Versuchstieren und Zellkulturen und der Überlegung, wie ein Stoff möglichst günstig hergestellt werden kann, bis hin zu klinischen Studien. Doch seit sich die Corona-Pandemie weltweit ausbreitet, hat sich der Fokus seiner Arbeit verschoben. Die Malariamedikamente, die Möhrle mitentwickelt hat, könnten nun auch für Covid-19-Patienten infrage kommen.
In diesen Tagen stellen Möhrle und seine Kollegen ein Protokoll für Studien zusammen, bei denen Probanden die Wirkstoffe verabreicht werden sollen. Schon im Mai soll das Papier an die entsprechenden Zulassungsbehörden gehen. Denn die Organisation hat einige der Malariamedikamente, die eine ähnliche chemische Struktur wie Chloroquin haben, in Zellkulturen auf die Aktivität gegen Sars-CoV-2 testen lassen. Das Ergebnis: Die Forscher stellten antivirale Aktivitäten in ähnlicher Größenordnung wie für Chloroquin und Hydroxychloroquin fest. „Im Augenblick versuchen wir durch mathematische Modelle zu berechnen, ob die Konzentrationen dieser Medikamente im Lungengewebe hoch genug sind, um das Virus zu hemmen“, sagt Möhrle. Wenn sich die Vermutungen bestätigen, würde die Zahl der möglichen Wirkstoffe gegen das Coronavirus weiter steigen – genauso wie die Chance, die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Doch für Möhrle bleibt der Kampf gegen Corona auch weiterhin ein Kampf gegen Malaria.
„Ich befürchte, dass in den nächsten zwölf Monaten die Zahl der Malariafälle und Malariatoten extrem ansteigen könnte“, sagt er. Seine Sorge: Die ohnehin fragilen Gesundheitssysteme in Afrika brechen durch Corona zusammen, Medikamente gegen Malaria werden knapp. „Das hat man vor fünf Jahren gesehen bei Ebola in Westafrika. Damals sind mehr Leute an Malaria gestorben als an Ebola – weil sich niemand mehr getraut hat, ins Krankenhaus zu gehen“, erklärt Möhrle. Ein Modell aus dem Jahr 2015 von einem Forscherteam des Imperial College London berechnete, dass durch Ebola die Fälle von unbehandelten Malariafällen massiv anstieg und mehr als 20 000 zusätzliche Todesfälle zur Folge hatte.
„Wir planen, diese Studien nicht in Deutschland oder in der Schweiz durchzuführen, sondern in Ländern, in denen Malaria verbreitet ist. Wir alle befürchten, dass dort die Corona-Welle erst noch anfängt. Und dass dort der Bedarf viel höher ist“, so Möhrle. „Ich bin zuversichtlich, dass eine Studie im Sommer beginnen kann.“
Doch ist noch nicht einmal klar, ob Chloroquin oder Hydroxychloroquin auch im Menschen gegen das Coronavirus wirkt – und für die mit Chloroquin verwandten Stoffe, die Möhrle untersuchen lässt, erst recht nicht. „Ich denke, dass wir eine Fiftyfifty-Chance haben“, sagt er.
Die Chloroquindaten seien kein Wundermittel, wie es der amerikanische Präsident Donald Trump vor einigen Wochen verkündet hatte. „Wenn rauskommt, dass Chloroquin nicht funktioniert, müssen wir mit den anderen Kandidaten auch nicht weitermachen“, sagt Möhrle.
Doch gerade in den vergangenen Tagen überschlugen sich die Nachrichten um Chloroquin. Eine erste Studie aus Frankreich, die die Wirksamkeit bescheingt, steht für ihre Methodik in der Kritik, eine Untersuchung aus Washington konstatierte gar negative Auswirkungen des Medikaments auf die Sterblichkeit. Eine Studie aus Brasilien wurde gar vorzeitig abgebrochen, weil es durch eine hohe Dosierung zu Todesfällen gekommen war. Mittlerweile warnt die amerikanische Zulassungsbehörde FDA, die vor wenigen Wochen noch eine Notzulassung für Chloroquin erteilt hatte, vor dem Einsatz des Medikaments.
„Wir verfolgen das sehr engmaschig“, sagt Peter Kremsner, Leiter des Instituts für Tropenmedizin am Universitätsklinikum Tübingen. Kremsner und seine Kollegen führen seit knapp vier Wochen eine klinische Studie zur Wirkung von Hydroxychloroquin an Covid-19-Patienten durch. „Bisher gab es einige positive Meldungen, jetzt gibt es in den letzten Tagen auch negative Nachrichten. Mich überrascht das gar nicht“, sagt er. Bei den bisherigen Untersuchungen handele es sich vor allem um Beobachtungen und unkontrollierte Studien. Eine gut kontrollierte Studie nach wissenschaftlichen Kriterien gebe es aktuell schlichtweg nicht. „Insofern kann man dazu genauso wenig sagen, wie im Januar. Wir brauchen gut kontrollierte Studien, um eine Aussage machen zu können, wie ein Medikament wirkt“, sagt Kremsner. Vor allem die brasilianische Studie kritisiert der Mediziner: „Die Dosierungen kann man verwegen oder einfach giftig nennen. Das waren viel zu hohe Dosen, die da verwendet wurden.“Der Spielraum für die Dosierung des Medikaments ist eng, die Liste möglicher Nebenwirkungen lang: Herzrhythmusstörungen, epileptische Anfälle, Wahnvorstellungen und die Absenkung des Blutzuckerspiegels.
Die Tübinger Studie soll nun endlich verlässliche Daten liefern. Seit fasst vier Wochen werden Patienten mit Hydroxychloroquin behandelt. Doch bis es ausreichend Daten gibt, braucht es Zeit. Aktuell erweitert das Institut den Kreis der Kliniken, die an der Untersuchung teilnehmen. In der vergangenen Woche kamen Balingen und Reutlingen hinzu, Regensburg, München, Darmstadt, Minden und Pforzheim sollen folgen. Denn das Problem, so Kremsner, liege vor allem darin, eine ausreichende Zahl von Probanden zu finden. „Wir prüfen jeden Patienten auf Herz und Nieren mit fünfzig Einund Ausschlusskriterien, die sehr strikt definiert sind. Wir können nur eine sehr geringe Auswahl an Patienten aufnehmen. Unter fünf Prozent der infrage kommenden Patienten können in die Studie eingeschlossen werden“, erklärt Kremsner. Die Probanden werden in einem teils mehrstündigen Aufnahmegespräch auf Vorerkrankungen geprüft, befragt, welche anderen Medikamente eingenommen werden und ihr Gesundheitszustand festgestellt. Die meisten Patienten dürfen nicht an der Studie teilnehmen. Zu hoch wäre die Gefahr, dass sich ihr Zustand aufgrund möglicher Nebenwirkungen verschlechtert. „Obwohl wir Hunderte Patienten gesehen haben, haben wir noch nicht genügend aufgenommen, um eine Zwischenanalyse zu machen“, sagt Kremsner.
Ob das Chloroquin bislang wirkt, will Kremsner noch nicht sagen – und könnte es auch nicht. Die Studienverantwortlichen wissen selbst nicht, welche Patienten ein Placebo bekommen haben und welche Hydroxychloroquin – eine sogenannte verblindete Studie. Mit einem Zwischenergebnis rechnet er allerdings schon in zwei Wochen.
Unklar ist auch noch, warum Chloroquin und Hydroxychloroquin überhaupt im Reagenzglas eine Wirkung auf Viren haben – der Malariaerreger, für den die Wirkstoffe einst entwickelt wurden, ist schließlich gar kein Virus. Es gibt etwa Vermutungen, dass es den pH-Wert verändert und es so ungemütlich für die Viren macht oder das Andocken an den Körperzellen verhindert. „Wie es wirkt, ist mir in der Regel völlig wurscht. Ich will, dass es sicher ist, wirksam und gut verträglich“, so Kremsner.
Bei allem Potenzial sieht Kremsner die Zukunft nüchtern. „Wir machen etwas, weil wir eine gute Chance haben, etwas zu sehen. Trotzdem glaube ich nicht, dass irgendein Mittel ein Wundermittel ist.“Eine sofortige Heilung werde es durch keinen der Wirkstoffe geben, die aktuell weltweit untersucht werden.
Eine neue Berechnung des Imperial College London aus dem März geht im schlimmsten Fall davon aus, dass in Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen wie solchen in Afrika, die maximale Auslastung der Gesundheitssysteme um ein 25-faches übertroffen werden könnte. Die Ergebnisse von Jörg Möhrle und Peter Kremsner werden mitentscheidend sein, ob die Prognosen so eintreten. „Wenn Hydroxychloroquin wirklich sehr gut wirksam ist, dann wird es sehr viel genommen werden und zuletzt in Afrika ankommen. Das kann man vorhersagen“, sagt Kremsner.