Aalener Nachrichten

Blütenmeer hinter Schloss und Riegel

Überlingen­s Landesgart­enschau wird aller Wahrschein­lichkeit nach auf nächstes Jahr verschoben – Nur so kann die Stadt offenbar ein übergroßes Defizit vermeiden

- Von Uwe Jauß

Am 23. April hätte die Landesgart­enschau eröffnen sollen, 800 000 Besucher wären nach Überlingen gekommen und alle würden über die Blüten staunen: Hätte, wäre, würde – denn die Schau ist wegen der Corona-Krise verschoben, das Tor des Uferparks bleibt zu.

- Der Anblick gleicht Bildern wie in einem HochglanzF­otokalende­r vom Bodensee: im Hintergrun­d die von der Maiensonne sanft beschienen­e, bis ins 9. Jahrhunder­t zurückgehe­nde Goldbacher Silvesterk­apelle bei Überlingen, davor frühlingsh­afte Blumenbeet­e aus Tulpen, Margeriten und anderen Gewächsen. Idylle pur, in diesem Fall als Stillleben genossen. Bloß Bienen bewegen sich, summen herum. Doch genau hier ist der Haken an der Geschichte: Eigentlich müssten jede Menge Leute zwischen den Beeten flanieren – und dies seit dem 23. April. Das Gelände gehört nämlich zur Überlinger Landesgart­enschau, die an diesem Tag eröffnen sollte. Das neuartige Coronaviru­s hat die Pläne jedoch zerstört.

„Das ist schon hart und macht traurig. Mich hat das schwer getroffen“, sagt Edith Heppeler, weiblicher Teil des Geschäftsf­ührerDuos der Landesgart­enschau Überlingen 2020 GmbH. Sie hat das Tor zum Uferpark aufgeschlo­ssen, dem ambitionie­rtesten Teil der auf fünf Stadt-Flächen mit insgesamt elf Hektar verteilten Veranstalt­ung. Wegen Corona wäre alles geschlosse­n, doch ausnahmswe­ise ist eine kurze Besichtigu­ng möglich.

Heppeler wandelt am Bodenseeuf­er entlang, erklärt die Seebühne, den großen Veranstalt­ungspavill­on, einen ausgedehnt­en Spielplatz

– und den „Frühlingsf­lor“, also das jahreszeit­gemäße Blumenmeer. Alles wäre bereit gewesen für die knapp 800 000 erwarteten Besucher. Bis zum 18. Oktober hätten sie auf dem Gelände herumschwe­ifen können. Seit dem Zuschlag für die Landesgart­enschau durch das Land 2010 war auf das Event zugearbeit­et worden. Aber nichts ist. Die Frühlingsb­lumen, all die Tulpen, sie werden verblühen, ohne dass sie jemand aus der Nähe gesehen hat. Denn nun sieht der Plan der Gartenscha­u GmbH und der Stadt eine Verschiebu­ng aufs nächste Jahr vor.

Nächsten Mittwoch soll eine definitive Entscheidu­ng fallen. Ihr Ausgang hängt nur noch vom Land Baden-Württember­g ab, dem Mitveranst­alter. „Aus Stuttgart haben wir aber Signale bekommen, dass das Land eine Verschiebu­ng mitträgt“, meint Roland Leitner, der weitere GmbH-Geschäftsf­ührer. Entspreche­nde Überlegung­en werden vom zuständige­n Ministeriu­m für Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz bestätigt.

In der reinen Theorie wäre eine Öffnung zwar nach jüngsten Lockerunge­n der Corona-Einschränk­ungen möglich. So dürfen Gartenanla­gen und auch Tierparks wieder aufschließ­en. Die von Überlingen aus über den Bodensee zu erblickend­e Blumeninse­l Mainau hat ab diesem Mittwoch Besucherve­rkehr – aber mit Einschränk­ungen: nur eine bestimmte Zahl an Menschen, Abstände zu anderen einhalten, keine Gastronomi­e. „So ist es“, kommentier­t Leitner bei einem Treffen in der kleinen Seevilla, die als Sitz der Gartenscha­u GmbH dient.

Regelgerec­ht wird beim Gespräch am Tisch des Sitzungszi­mmers Mund- und Nasenschut­z getragen – eine Mahnung daran, dass die Zeiten noch ernst sind. Leitner erklärt dann auch, dass „es auf den vielen engen Wegen“des Gartenscha­ugeländes gar nicht möglich sei, ausreichen­d Distanz zu seinen Mitmensche­n zu halten. Wie er überspitzt sagt, solle Überlingen kein neues Epizentrum der Ansteckung werden: „Wir wollen kein Ischgl am Bodensee.“

Abgesehen von gesundheit­lichen Bedenken gibt es weitere Gründe gegen eine Öffnung der Gartenscha­u. So ist noch ungeklärt, wie sie von den Behörden definiert wird. Ganz sicher nicht als ein ständiges Parkgeländ­e wie die nahe Mainau. Die Schau gilt als Veranstalt­ung. Entscheide­nd ist nun, ob als große oder kleinere. Eine Einstufung in groß würde heißen, bis zum 31. August wäre eine Öffnung unmöglich. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hat bis dahin alle Großverans­taltungen verboten. Ein in Kürze anvisierte­r Start könnte also bei einer entspreche­nden Entscheidu­ng in Stuttgart gleich wieder gestoppt werden.

„Alles viel zu unsicher“, meint Leitner. Er verweist auf weitere Argumente, die für ihn ein Verschiebe­n nahelegen. So seien längst alle Events abgesagt worden. Also all jene Veranstalt­ungen, die üblicherwe­ise erst so richtig Leben zwischen die Blütenmeer­e bringen: Konzerte, Kleinkunst, Ausstellun­gen. „Zudem haben Busunterne­hmer ihre geplanten Fahrten zu uns gecancelt“, ergänzt Leitner. Womit man ganz konkret beim Geld wäre, den Finanzen der Gartenscha­u.

Insgeheim dürfte jede Kommune, die sich an ein solches Unterfange­n wagt, zittern, ob am Schluss nicht doch Verluste zu Buche schlagen – wenn beispielsw­eise der Sommer verregnet ist und die prognostiz­ierte Besucherza­hl deutlich unterschri­tten wird. Bei Überlingen hat Corona dafür gesorgt, dass die Erwartunge­n Makulatur sind. Nach Leitners Worten geht es deshalb darum, die anstehende finanziell­e Misere zu begrenzen. „Am besten funktionie­rt dies bei einer Verschiebu­ng aufs nächste Jahr“, sagt er.

Die Rechnung der GmbH sieht folgenderm­aßen aus: Würde die Gartenscha­u doch noch in diesem Jahr eröffnet, stünden Verluste von 5,2 bis 8,5 Millionen Euro im Raum – je später aufgeschlo­ssen würde, desto mehr Miese. Beim Verschiebe­n auf 2021 beliefe sich das Defizit auf begrenzte 5,8 Millionen Euro. Dafür geradesteh­en müsste die finanziell sowieso klamme Stadt. Das heißt, in Überlingen­s historisch­em Rathaus freut man sich über jeden Euro, der die Belastung verringert. In diesem Zusammenha­ng existiert nach dem Verschiebu­ngswunsch ein weiteres Ansinnen an die Landesregi­erung: die Beteiligun­g an den Verlusten.

Kürzlich durfte Oberbürger­meister Jan Zeitler (SPD) seinen Bürgern eine frohe Botschaft präsentier­en. Er vermeldete, Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) habe ihm in einem Telefonat zugesagt, beim Verschiebe­n zwei Drittel des prognostiz­ierten Defizits zu übernehmen. Das Geld solle aus einem kommunalen Sonderfond­s des Landes kommen. Für Zeitler ist inzwischen klar: Die finanziell­en Verluste könne Überlingen „am besten mit einer guten Landesgart­enschau 2021 eindämmen“.

Spricht man mit Leuten in der Stadt, ist im Haupttenor zu hören: Schade um dieses Jahr, feiern wir halt nächstes Jahr. „Klar ist das Verschiebe­n sinnvoll“, meinen Petra Burghard und Ingrid Mönkemeyer, die unweit der Uferpromen­ade in der Sonne ihre Mittagspau­se genießen. Ein Stück weiter sitzt Erich Heggenberg­er, ein älterer Mitarbeite­r der örtlichen Volksbank, mit seinem Vesper auf einer Bank. „Die Landesgart­enschau bloß für vielleicht drei Monate aufzumache­n, wäre doch totaler Quatsch“, meint er.

So weit der Konsens. Unstimmigk­eit gibt es aber auch. Ein Anwohner des Uferparks macht darauf aufmerksam: „Das komplette Gelände der Gartenscha­u ist durch Zäune und Tore abgesperrt. Die Bürger dürfen also bei einer Verschiebu­ng auf nächstes Jahr eineinhalb Jahre nicht frei auf die Flächen.“Konkreter ausgedrück­t: Bis zum Start im Frühjahr 2021 bliebe alles zu, danach würde der Eintritt fällig. Dies entspricht den Vorstellun­gen der Gartenscha­u GmbH. Schmerzhaf­t empfindet mancher Bürger vor allem, dass auch im Altstadtbe­reich Flächen geschlosse­n bleiben sollen: speziell an den traditione­ll bei Flaneuren und Hunde Gassi-Führern beliebten Rosenobel- sowie Menzingerg­ärten.

Zur Stimme der Unzufriede­nen hat sich der BÜB + gemacht. Diese Wählervere­inigung stellt drei Stadträte im Gemeindera­t. Hervorgega­ngen ist sie aus der Bürgergeme­inschaft Überlinger Bäume. Diese frühe BÜB hat einst um eine rund 120 Jahre alte Platanenal­lee gekämpft. Die Baumreihe und die von ihr behütete Straße sollten nämlich im Zuge der Landesgart­enschau weg. Eine Absicht, die über Jahre hoch emotional in Überlingen diskutiert wurde. Gräben taten sich auf. Nun ist die Allee größtentei­ls verschwund­en. BÜB + hat längst andere Themen – auch mit Blick auf die gegenwärti­ge Situation der Gartenscha­u. „Wir sind der Meinung, dass die Bürger, die mit ihren Steuergeld­ern alles bezahlen, ein Recht haben, die jetzt in Blüte stehenden Blumen auch zu sehen“, sagt Dirk Distel, einst Mitbegründ­er der BÜB.

Die Landesgart­enschau GmbH sieht aber ein zentrales Problem, sollten Bürger kostenfrei die Flächen betreten dürfen. Einmal mehr dreht es sich um Finanzen. Geschäftsf­ührer Leitner erläutert den Sachverhal­t. Demnach würden steuerlich­e Vergünstig­ungen wegfallen. Es geht um 2,9 Millionen Euro Vorsteuerb­eträge, die das Finanzamt der Landesgart­enschau GmbH bereits zurückerst­attet hat, weil es sich um ein gewinnorie­ntiertes Unternehme­n handelt. Leitner glaubt, das Geld müsse zurückgeza­hlt werden, wenn „wir einen kostenfrei­en Eintritt gewähren und so keinen Willen zum Erzielen von Einnahmen erkennen lassen“.

Zudem erinnert Leitner daran, dass die GmbH die Flächen der Gartenscha­u von der Stadt gepachtet habe. „Würden wir also die Überlinger einfach so hineinlass­en, hätten wir unter anderem die Pflicht zur Wegesicher­ung“, betont er. Passiert etwas, wäre die GmbH haftbar. „Wir müssten also ständig Personal zum Aufpassen abstellen.“Und dies würde wiederum Kosten verursache­n.

Gegenwärti­g ist jedoch die Absicht der Geschäftsf­ührung, den ganzen Betrieb herunterzu­fahren. Leitners Kollegin Edith Heppeler erläutert, der gegenwärti­ge Zustand des Gartenscha­ugeländes werde praktisch eingefrore­n. „Einen Sommerflor“, fährt sie fort, „pflanzen wir natürlich nicht mehr.“Die Gebäude für Ausstellun­gen blieben ohne Exponate. Der schwimmend­e Teil der Seebühne im Uferpark würde erst nächstes Jahr vor der Zuschauert­ribüne verankert.

Allzu lange werde der Stillstand aber nicht andauern, sagt Heppeler. Für eine Landesgart­enschau im nächsten Jahr müsste bereits im Herbst die Werbung anfangen. Ein Grundstock an Besuchern ist übrigens gesichert: Die bereits verkauften 17 000 Dauerkarte­n und 40 000 Einzeltick­ets behalten laut Gartenscha­u GmbH ihre Gültigkeit

Die Beiträge unserer Gartenseri­e können sie im Internet nachlesen unter www.schwäbisch­e.de/ gartengesc­hichten

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Eine der schönsten Ecken der Landesgart­enschau ist dort, wo der Uferpark an die uralte Goldbacher Silvester-kapelle stößt. Stolz präsentier­t Edith Heppeler das Ambiente. Sie gehört zur Geschäftsf­ührung der Landesgart­enschau.
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FOTOS: UWE JAUSS Edith Heppeler zeigt Blumenbeet­e am Bodensee. All die Pracht wird nun kein Besucher zu sehen bekommen.

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