„Der Vorwurf hat etwas Amüsantes“
- NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat kürzlich Virologen vorgeworfen, „ständig ihre Meinung zu ändern“. Über wachsende Kritik an Wissenschaftlern in der Corona-Krise hat Ulrich Mendelin den Virologen Thomas Mertens befragt.
Wie gehen Sie mit Kritik wie der von Armin Laschet um?
Ich persönlich freue mich nicht darüber, aber ich sehe das „entspannt“. Der Vorwurf hat deshalb auch etwas Amüsantes, weil es häufig Sache von Politikern ist, ihre Meinung zu ändern. Für einen Wissenschaftler/Virologen geht es eigentlich nicht um Meinungen, sondern um Daten, Wissen und Erkenntnis. Letzteres ändert sich bei einem neu aufgetretenen Phänomen wie SARS-CoV-2 und Covid-19 dauernd schnell, und es ist nicht leicht, die Flut von Fachveröffentlichungen zu verfolgen. Mit neuen wissenschaftlichen Daten und Erkenntnissen ändern sich dann unter Umständen Einschätzungen und Konsequenzen, eine Umsetzung dieser Tatsache ist eigentlich Sache der Politik. Ein Problem entsteht u.U. dann, wenn Wissenschaftler Meinungen verbreiten, statt bei Daten und Fakten zu bleiben. Wenn sich andererseits auf der Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnis die Einschätzung der Situation und der notwendigen Maßnahmen ändert, so ist das doch gut, und wer darüber schimpft hat nichts verstanden. Schlecht ist, wenn Meinungen verkündet werden, die keinerlei Datenbasis haben und die nicht als bloße „Meinungen“allgemein erkennbar sind.
Wissenschaftler hatten vor überlasteten Intensivstationen in Deutschland gewarnt. Das hat sich bislang nicht bewahrheitet. Mit diesem Umstand wird nun die Lockerung der Beschränkungen gefordert. Ein Paradox?
Ja, aber nachvollziehbar. Die aufgrund von epidemiologischen und virologischen Empfehlungen getroffenen Maßnahmen waren bei uns in Deutschland bislang sehr erfolgreich, was man eigentlich leicht am Vergleich mit der Situation in Italien, Spanien, UK und USA erkennen kann. Wir Menschen können aber immer schlecht mit „abstrakten“Risiken umgehen und die schlimme Situation, die bei uns hätte eintreten können, bildet jetzt so ein abstraktes Risiko. Die enormen Erfolge der Maßnahmen für unsere Bevölkerung werden vom Einzelnen verständlicherweise weniger empfunden als die vielen Einschränkungen und Verluste, die damit verbunden waren. Ein unauflösbares Paradoxon.
Lässt sich die Wissenschaft unter öffentlichem Druck zu Prognosen über die Entwicklung der Pandemie drängen, für die es eigentlich nur eine unzureichende Datengrundlage gibt?
Einzelne „Wissenschaftler“möglicherweise schon, vor allem, wenn sie bereits zu stark im Politikgeschäft vereinnahmt wurden, die Wissenschaft als solche sicher nicht. Letzteres kann man an der gemeinsamen Stellungnahme aller wichtigen deutschen Wissenschaftsorganisationen sehr klar erkennen. Übrigens sei erwähnt, dass es gelegentlich ein Problem zwischen Medien, Journalisten und Wissenschaftlern gibt. Berufsbedingt sind Journalisten immer auf der Jagd nach Neuem und Besonderem. Da kann es passieren, dass sie einen „armen Medienunerfahrenen“Wissenschaftler dazu verleiten, Meinungen ohne solide Datenbasis zu äußern.