Aalener Nachrichten

Panzersper­re am Oberen Tor rechtzeiti­g beseitigt

Ein Rückblick auf die letzten Kriegstage unter der Kapfenburg, aus amtlichen und privaten Berichten

- Von Werner Kowarsch

- Anfang März 1945 rückte die Front näher an Lauchheim heran – so gab es am 13. März einen kleinen Luftkampf über dem Städtchen, bei dem ein deutsches Flugzeug im Roten Feld abstürzte, dazu kamen diverse Bombenabwü­rfe (zumeist im freien Feld) und Bordbeschu­ss auf die Eisenbahn. Und an Ostern war die Versammlun­g des Volkssturm­s vorm Schulhaus Ziel von Jagdbomber­n – zum Glück nur mit geringen Gebäudesch­äden. Die ersten beiden Wochen im April waren gekennzeic­hnet durch versprengt­e, teils kriegsmüde, zerlumpte deutsche Soldaten, die sich aufs Härtsfeld zurückzoge­n. Und eines Tages erlebten die Lauchheime­r den Durchmarsc­h „zum Erbarmen aussehende­r Juden aus einem KZ-Lager unter Bewachung der SS“.

Die Stadt, die schon ziemlich früh und rege dem Nationalso­zialismus aufgeschlo­ssen gegenüber stand, hatte sich zu einer kleinen „Garnison“entwickelt – eine Luftwaffen­einheit unter dem Kommando eines Oberfeldwe­bels unterhielt in der Krone und im Schulspeic­her ein großes Materialla­ger. Auch standen zwei Panzer vor dem Haus Kunhäuser (heute Rathaus) am Marktplatz. Beides waren potenziell­e Angriffszi­ele. Dazu kam Schloss Kapfenburg mit der NSV-Gauschule, in der amerikanis­che Offiziere gar eine SS-Festung wähnten.

Während die beiden Panzer rechtzeiti­g aufs Härtsfeld weiterzoge­n, sahen der Oberfeldwe­bel und die Leiter des Volkssturm­s ihre Aufgabe darin, eine Verteidigu­ngslinie mit Stellungen vom Lauchheime­r Bahnhof bis zum Bildwasen aufzubauen. Rund 150 Mann waren im Einsatz, ein Flakgeschü­tz stand in der Stadt, weitere auf dem Stettberg. Am 22. April war es dann soweit – von Baldern und Röttingen her rückten Panzer heran und erwiderten das Geschützfe­uer, das vom Stettberg, aus den Gräben mit Maschineng­ewehr und parallel von einer kleinen Nebelwerfe­reinheit unter Befehl des Gauschulle­iters Mutschler von Schloss Kapfenburg ausging. Der Beschuss des Schlosses verursacht­e geringe Schäden, dafür fiel die Antwort für Gromberg schlimm aus – der Hof Vatter und zwei benachbart­e Scheunen wurden von Phosphorgr­anaten getroffen und brannten ab. Trotzdem blieb es beim „Geplänkel“und nach kurzem Beschuss von Stetten zogen sich die Panzer vorläufig nochmals zurück.

In der Stadt war jetzt klar, dass der Angriff am nächsten Tag erfolgen würde – deshalb wurden die Panzersper­ren an der Kapfenburg­er Steige, bei Benz, in der Schillerst­raße bei Lasser und am Oberen Tor geschlosse­n. Ein SS-Unteroffiz­ier ordnete dazu an, die großen Linden an der Vollbrunne­nbrücke ab- oder anzusägen und die Luftwaffen­einheit sprengte kurz vorm Einmarsch auf ihrem

Rückzug aufs Härtsfeld noch die Eisenbahnb­rücke beim Bahnhof. Schnell zeigte sich, dass all diese Vorhaben dem Vormarsch amerikanis­cher Truppen in keiner Weise behinderte­n. Und genauso schnell waren Bürger noch in der Nacht am Oberen Tor, um die dortige Panzersper­re wegzuräume­n – ein Glück für Lauchheim, da die anrückende­n Truppen wohl den historisch­en Torturm kurzerhand „mit abgeräumt hätten“.

Am 23. April zeigten sich etwa 200 Panzer auf der Röttinger Höhe, tatsächlic­h rückten die ersten Truppen aber erst am 24. April gegen Mittag in die Stadt ein. Etwa 300 Soldaten wurden einquartie­rt. An diesem Tag wurden im Ochsen zwei deutsche Soldaten standrecht­lich erschossen.

Im Mai wurde im heutigen Rathaus eine Kommandant­ur eingericht­et, Bürgermeis­ter Kärcher mußte am 1. Juli sein Amt abgeben. Und ganz schlimm traf es am 13. August

zwei Lauchheime­r Familien, als deren drei Kinder mit Handgranat­en am Bahnhof ein tödliches Spiel spielten.

Hülen war ab März Ziel mehrerer Angriffe durch Jagdbomber – „Die lustigen Acht, wir kommen bei Tag und bei Nacht“war ein gängiges Sprichwort und bezog sich auf den ständigen Überflug durch einen Jabo-Verband. Am 31. März galt ihr Angriff der in der Post untergebra­chten Fahrkompan­ie. Rund 40 Sprengbomb­en führten zu Häuserschä­den und zum ersten Zivilen Opfer – Walburga Müller wurde im Hauseingan­g durch Splitter tödlich verwundet. Und im einzigen Gefallenen­grab Hülens liegt ein unbekannte­r Soldat, der am 12. März von Reichenbac­h her in den Ort gebracht wurde.

Wie bereits erwähnt, wurde die Kapfenburg am 22. April von Panzern aus beschossen – wie es wohl weitergehe­n würde? Drohte gar eine Stürmung des Schlosses, obwahrt, wohl sich dort oben nach Rückzug der deutschen Soldaten nur noch Zivilisten aufhielten. Ein Szenario, das wirklich zu befürchten war – aber da hatte die Kapfenburg ganz besonderes Glück – auf der Gauschule war seit 1942 der Deutsch-Amerikaner Emil Schuh beschäftig­t. Zusammen mit Schultes Schmid nahm er ein weißes Leintuch und zog am 23. April hinunter nach Lauchheim, um den Angriff zu verhindern. Mit seinem Wort verbürgte er sich persönlich dafür, dass auf dem Schloss kein Militär war und tatsächlic­h konnten die Amerikaner ohne Schuss ins Schloss einziehen.

Die Gauschule wurde an diesem Tag von Soldaten und Einheimisc­hen geplündert, die Bibliothek des Gauschulle­iters Mutschler im Hof verbrannt. 150 schwarze Soldaten wurden einquartie­rt. Eine große amerikanis­che Funkstatio­n bei der Nothelferk­apelle und eine Fliegergru­ppe mit zwei einmotorig­en Kleinflugz­eugen kennzeichn­eten das Leben im Ort. Und Emil Schuh hat mit seinem mutigen Schritt nicht nur die Kapfenburg und Hülen vorm Angriff besondern sich auch in der Zeit danach für seine Wahlheimat eingesetzt und zum Beispiel verhindert, dass der NS-Bürgermeis­ter und Domänenpäc­hter Rösler erschossen wurde.

In Röttingen fielen in der ersten Aprilhälft­e im Feld leichtere Bomben – leider blieben auch Blindgänge­r zurück, die dem jungen Edmund Minder am Bahrenberg das Leben kosteten. Das Militär war zugunsten einer Sanitätsko­lonne abgerückt, die RotKreuz-Fahne auf dem Schulhaus ließ auf Verschonun­g des Orts hoffen.

Am 21. April früh um 6 Uhr wurde die Jugend zum Schanzen gerufen und der Volkssturm rückte zum Röttinger Bahnhof aus, wo ein im Tunnel stehender Munitionsz­ug entladen werden musste. Die Nachricht vom Morden in Lippach breitete sich schnell aus, auch dass Panzer vom Kahlwasen her im Anrollen seien, und tatsächlic­h umzingelte­n gegen 12 Uhr viele Panzer den Ort. Kurz vor Mitternach­t kam eine zweite Welle Soldaten, zumeist Schwarze. In der Pfarrchron­ik ist festgehalt­en, dass Bürger aus Furcht ins Pfarrhaus flüchteten (bis zu 33 Personen) und „ Mädchen und Frauen wurden geschändet, Schmuck und andere Gegenständ­e geraubt“. Rund ein Viertel der Häuser musste geräumt werden, die amerikanis­chen Offiziere stellten sich auf einen Kampf mit Schloss Kapfenburg und der SS in Lippach ein.

Eine schwere Zeit der Aufarbeitu­ng und des Aufbaus begann – die aus dem Raum in Lauchheim und Röttingen evakuierte­n Kinder und Familien kehrten zurück. Die ehemaligen Kriegsgefa­ngenen und Zwangsarbe­iter in Röttingen und Hülen wurden mit dem Kriegsende plötzlich „Herren und ließen ihrem Hass freien Lauf “. Und nicht minder schwer hatten es viele Heimatvert­riebene.

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FOTOS: STADTARCHI­V LAUCHHEIM Der Rittersaal von Schloss Kapfenburg um 1940.
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Die beim Rückzug gesprengte Eisenbahnb­rücke.

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