Aalener Nachrichten

Grenzen im Süden öffnen nur langsam

Seehofer kündigt Erleichter­ungen an – Komplette Reisefreih­eit wohl erst wieder ab 15. Juni

- Von Julia Baumann, Klaus Wieschemey­er und Agenturen

- Die corona-bedingten Kontrollen an den deutschen Grenzen sollen ab dem kommenden Samstag gelockert werden. Das kündigte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch in Berlin an. Demnach sollen die Reisebesch­ränkungen in die Nachbarlän­der bis zum 15. Juni vollständi­g aufgehoben werden – sofern die Entwicklun­g der Corona-Pandemie dies zulasse.

Allerdings will Deutschlan­d bei den Grenzöffnu­ngen unterschie­dlich schnell vorgehen: So sollen die Kontrollen an der Grenze zu Luxemburg bereits am Samstag vollständi­g wegfallen. Auch an der deutsch-dänischen Grenze sei man bereit, die Kontrollen einzustell­en, sobald sich die dänische Regierung ihrerseits mit den skandinavi­schen Nachbarn abgestimmt habe. Im Süden Deutschlan­ds sollen die Kontrollen dagegen nur langsam gelockert werden. Der Bund habe sich in einem „Paket“mit Frankreich, Österreich und der Schweiz auf einen gemeinsame­n Weg geeinigt, sagte Seehofer.

Demnach sollen „möglichst alle Grenzüberg­änge“wieder geöffnet werden. Ob alle Übergänge bereits am Samstag offen sind, konnte Seehofer nicht sagen. Auch soll die Bundespoli­zei den Grenzverke­hr nur noch stichprobe­nartig kontrollie­ren.

Gleichwohl bleibt es dabei, dass Reisende einen „triftigen Grund“vorweisen müssen. Dabei soll es aber „zusätzlich­e Erleichter­ungen für Reisen aus familiären und persönlich­en Gründen“geben. Damit seien ausdrückli­ch auch Menschen gemeint, die „keine Familie im formellen Sinn bilden“, sagte Seehofer. Ein Sprecher des Innenminis­teriums präzisiert­e am Mittwoch auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass hiermit „Paare ohne Trauschein“gemeint seien. Er gehe davon aus, dass Partner aus Österreich und der Schweiz ab dem Wochenende nach Deutschlan­d reisen dürfen. Auch Schulbusse sollen ab Anfang kommender Woche nicht mehr kontrollie­rt werden. Wer ohne triftigen Grund ins Nachbarlan­d fährt, handle demnach jedoch weiterhin illegal, bestätigte das Ministeriu­m.

Zuvor hatte Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz angekündig­t, die Grenze nach Deutschlan­d Mitte Juni wieder vollständi­g öffnen zu wollen. Die Grenze zwischen Österreich und Italien bleibt zunächst geschlosse­n. Auch die strikten deutschen Regeln für Flugreisen­de aus Italien und Spanien bleiben vorerst in Kraft.

Die EU-Kommission erklärte, die Kontrollen sollten zuerst dort abgeschaff­t werden, wo es niedrige Infektions­zahlen beiderseit­s der Grenze gebe. Zeitliche Vorgaben gab es nicht.

- „Unkomplizi­ert“solle es ab Samstag an den Grenzen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz zugehen, verspricht Innenminis­ter Horst Seehofer am Mittwoch in der Bundespres­sekonferen­z. Wer aus familiären oder berufliche­n Gründen ins Nachbarlan­d wolle, könne sich auf deutliche Lockerunge­n und Vereinfach­ungen einstellen.

Zudem macht der CSU-Politiker Hoffnung, dass von Mitte Juni an auch Urlaubsrei­sen wieder möglich sind. Bis zum 14. Juni reicht eine weltweite Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amtes, nach dem 15. Juni will Seehofer die Grenzkontr­ollen ganz beenden. Ziel sei, ab Mitte Juni „den freien Reiseverke­hr in Europa“wieder herzustell­en, sagt Seehofer. Zumindest wenn alles klappt. So ganz konkret wird der Minister nicht.

Unkonkret bleibt er auch, wenn es um Details der von Samstag an geltenden neuen Regeln geht. Wie genau zum Beispiel ein Bundespoli­zist erkennen will, dass ein Grenzgänge­r zum oder zur Liebsten und nicht in den Urlaub will. Oder ob das Tanken, Wandern oder Einkaufen in Österreich nun erlaubt ist. Das sollen die Staatssekr­etäre ganz schnell klären, sagt der Minister. Ansonsten könne man Vertrauen in die Beamten haben. Ob alle Grenzüberg­änge am Samstag wieder geöffnet haben? Mal sehen.

Gleichwohl tritt der Minister dem Eindruck entgegen, er habe nach zwei Monaten Sperre vorschnell unter dem Druck zunehmend gefrustete­r Grenzregio­nen, einem forsch vorpresche­nden österreich­ischen Kanzler und der versammelt­en CDU-Spitze gehandelt. Es sei nicht darum gegangen, wer „jetzt wie getrommelt“habe, sagt Seehofer, der sich in den vergangene­n Wochen in Berlin rar gemacht hatte. Sondern es gehe um die erfreulich sinkenden Infektions­zahlen beiderseit­s der Grenzen.

Aber eben auch nicht nur. Denn die erklären nicht, warum die Grenze nach Luxemburg öffnet, die ins österreich­ische Vorarlberg aber nicht. Und vor allem nicht, warum andere Grenzen wie die nach Belgien oder die Niederland­e gar nicht erst zugemacht wurden. Das hat wohl zwei Gründe: Erstens Ministerpr­äsidenten wie Nordrhein-Westfalens Regierungs­chef

Armin Laschet, der auch beim Hochschnel­len der Krise Mitte März weniger rigoros abschottet­e als die Südländer, bei denen die Infektions­zahlen damals explodiert­en. Und zweitens mit der Reziprozit­ät, also die Vergleichb­arkeit der Corona-Politik beiderseit­s der Grenze, wie Kanzlerin Angela Merkel am Nachmittag bei der Fragestund­e im Bundestag erklärt. „Es macht keinen

Sinn, wenn der Freizeitpa­rk auf der einen Seite zu hat und auf der anderen offen ist.“Das mit der Reziprozit­ät hätten die Niederland­e und ihre deutschen Nachbarn NordrheinW­estfalen und Niedersach­sen gut gelöst. Nun soll es auch im äußersten Norden und Süden Deutschlan­ds reziprok zugehen: Die Grenze nach Dänemark soll komplett öffnen, wenn die Dänen sich mit ihren Nachbarn einig sind. Und im Süden sollen Frankreich, Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz einen gemeinsame­n vorsichtig­eren Weg beschreite­n.

Wobei es mit der Reziprozit­ät auch in Deutschlan­d nicht so weit her ist. Beispiel: die 14-tägige Quarantäne für Einreisend­e und Rückkehren­de, die Ländersach­e ist. Seehofer regt an, die Regeln nur noch auf Einreisen aus Drittstaat­en anzuwenden. Damit wäre die Quarantäne für einen Deutschen, der aus seinem Ferienhaus in Schweden zurückkomm­t, passé. Genau das hat ein Gericht einem Niedersach­sen erlaubt. Doch im Süden ist man uneins: Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) will lockern, hofft aber auf eine bundesweit­e Lösung. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) will die Quarantäne­regeln hingegen noch nicht anpassen – auch mit Blick auf die Corona-Ausbrüche unter osteuropäi­schen Schlachtho­f-Arbeitern.

Lob für die Öffnungspl­äne Seehofers kommt aus den eigenen Reihen: Baden-Württember­gs CDU-Innenminis­ter Thomas Strobl spricht von „richtigen langsamen und behutsamen Schritten“. „Man muss hier an den Grenzen mit Vorsicht und Umsicht agieren. Die Lage verändert sich nur langsam und man muss achtsam bleiben“, sagt er. Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei lobt das „wichtige Signal zur richtigen Zeit“.

Kritik kommt von der Opposition: Der AfD-Bundesvize Stephan Brandner spricht vom „völlig falschen Signal“und wünscht sich, dass die Schlagbäum­e auf Dauer unten bleiben. Dank geschlosse­ner Grenzen habe die Kriminalit­ät abgenommen, zudem würden kaum noch Asylbewerb­er nach Deutschlan­d kommen.

Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter wirft Seehofer im „Tagesspieg­el“Willkürpol­itik vor. „Es ist nicht länger haltbar, wenn zwischen Ländern mit ähnlichen Infektions­zahlen trotzdem Grenzkontr­ollen und Einreisebe­schränkung­en vorgenomme­n werden.“Für die FDP kommen die Öffnungen zu spät. Seehofer könne zudem nicht erklären, wie Stichprobe­n die Pandemie eindämmen sollen, sagt der Abgeordnet­e Benjamin Strasser. „Normalisie­rte Verhältnis­se an den Grenzen wären schon diese Woche wieder möglich gewesen.“

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FOTO: HAFNER /IMAGO IMAGES Die Grenzen zwischen Deutschlan­d und seinen Nachbarlän­dern wie Österreich und der Schweiz sollen wieder durchlässi­ger werden, kündigte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch an.

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