Aalener Nachrichten

Kurort im Schatten von Corona

Heilbädern wie Bad Wurzach fehlen Gäste und Einnahmen – Die Kommunen geraten unter finanziell­en Druck

- Von Uwe Jauß

- Ein einsamer, alt gewordener Raucher sitzt auf einer Bank im verlassen wirkenden Kurviertel von Bad Wurzach. Helmut Peucker heißt der Mann. Außer den Qualmwolke­n seiner Zigarette rührt sich nichts um ihn herum. Selbst die Luft scheint in der Mittagsson­ne stillzuste­hen. „Trostlos“, lautet sein Kommentar zur Lage. Wobei dies weder eine Beschimpfu­ng der bekannterm­aßen postkarten­idyllisch im württember­gischen Allgäu gelegenen Stadt sein soll. Noch möchte er mit dem fast schon gefluchten Schlagwort die Kureinrich­tungen herabwürdi­gen. Es geht um etwas anderes: um Corona.

Der an seiner Wirbelsäul­e operierte Peucker hat einfach Pech: Er ist zum falschen Zeitpunkt in der Reha. Und das liegt wiederum an der Pandemie. Das sonst so lebendige Kurviertel? Fast tot. Die zu den Waldburg-Zeil-Kliniken gehörende Reha-Einrichtun­g? Der Betrieb wurde stark herunterge­fahren. Das Kurhotel der kleinen Stadt am Reischberg? Weitgehend zugesperrt. Die kommunale VitaliumTh­erme plus dem dortigen Gesundheit­szentrum? Geschlosse­n. Die berühmten Moorkuren? Fehlanzeig­e. Das Kurhaus mit Restaurant? Verwaist.

In den vergangene­n Wochen mussten Gäste ein Viertel Wein abends allein trinken. Kontaktver­bot. Weshalb wohl auch die Chancen auf den berüchtigt­en Kurschatte­n schlecht standen. Das alles meint Peucker mit trostlos. Es geht dabei ums herunterge­fahrene Leben in den Kurorten. 350 staatlich anerkannte Heilbäder existieren in Deutschlan­d. Bad Wurzach steht stellvertr­etend dafür, wie sie gegenwärti­g kämpfen müssen. „Die Krise trifft uns hart“, meint Bürgermeis­terin Alexandra Scherer bei einem Treffen im historisch­en Rathaus.

Nach einer Berechnung der Stadt erwirtscha­ftet Bad Wurzach im Jahr rund 46 Millionen Euro Umsatz im Kur-, Reha- und Tourismusb­ereich, also dem Sektor, der mit Gästen zu tun hat: Reha-Patienten, Menschen mit der Freude an Moorbädern, Erholungsu­chende, Ausflügler und Stammgäste. Sie bringen nicht nur Geld bei der Reha oder der Übernachtu­ng, Läden oder Gasthäuser profitiere­n ebenso.

Rund die Hälfte des Umsatzes macht dabei das Geschäft mit der Gesundheit aus. Für den Moment erscheint die Aufglieder­ung aber als unnötig. „Es ist ja seit März im Gesamten fast nichts gelaufen“, klagt Scherer. Wenig Reha, keine Kur, null Tourismus. Selbst jenes hochgeprie­sene Glanzlicht der Stadt, das bizarre Moorgebiet des Wurzacher Rieds inklusive der alten, für Ausflügler hergericht­eten Torf-Eisenbahn, war sich selbst überlassen.

Scherer berichtet, wie der Lockdown auf die Stadt hereinbrac­h: „Die in unserem Kurhotel verblieben­en Gäste mussten wir heimschick­en.“Besonders bitter war offenbar die Situation des Kurhauses. „Wir hatten uns gefreut, endlich einen neuen Pächter dafür gefunden zu haben. Der musste dann nach vier Wochen Öffnung gleich wieder zumachen“, verweist die Bürgermeis­terin auf ein ganz persönlich­es Drama.

Für ihre Stadt sind die Probleme hingegen mehrschich­tig. Darunter fallen fehlende Gewerbeste­uern aus dem privaten Klinikbere­ich. Das städtische Kurhotel bringt ebenso wenig Einnahmen wie die kommunale Therme. „Gleichzeit­ig“, sagt Scherer, „drücken aber die Fixkosten weiter auf den Haushalt.“

Einfach abschließe­n funktionie­rt nicht. Strom, Wasser, Hausinstal­lationen – wer keine Bauruine will, sollte Gebäude in Betrieb halten. Schon dies verschling­t Gelder. „Und natürlich sind Gehaltskos­ten der Angestellt­en vorhanden“, erinnert die Bürgermeis­terin. Knapp 170 Beschäftig­te zählt allein der kommunale Kurbetrieb. Längst nicht alle könnten in Kurzarbeit geschickt werden, heißt es im Rathaus. Das gelte etwa für das technische Personal, Hausmeiste­r et cetera. Gleichzeit­ig haben Hoteliers und Wirte Anträge aufs Aussetzen der Kurtaxe gestellt – weiteres Geld, das der sowieso finanziell klammen Stadt fehlen würde.

Womöglich muss Scherer nun Projekte verschiebe­n. Überlegung­en dazu gibt es. Dass die Kommune ihren Haushalt traditione­ll mit scharfer Feder planen muss, liegt an einer örtlichen Besonderhe­it: Bad Wurzachs Fläche umfasst 182 Quadratkil­ometer – größer als das Fürstentum Liechtenst­ein. In Baden-Württember­g besitzt die Stadt damit die drittgrößt­e Gemarkung.

15 000 Einwohner verteilen sich darauf in neun Hauptorte. „Überall“, betont Scherer, „muss eine entspreche­nde Infrastruk­tur vorgehalte­n werden.“Also Schulen, Kindergärt­en, Mehrzweckh­allen – teure Einrichtun­gen, die anderswo zentral gebaut werden. Immerhin hat Bad Wurzach im Vergleich zu manch anderer Kurstadt wirtschaft­lich gesehen einen Pluspunkt: bedeutende­s Gewerbe. Zu nennen ist vor allem die Glasfabrik Verallia Deutschlan­d AG, der größte Arbeitgebe­r vor Ort.

Zum Vergleich dazu das niederbaye­rische Bad Füssing, im süddeutsch­en Raum eines der bekanntest­en Heilbäder. Der Umsatz durch den Kurbetrieb beläuft sich dort auf ein Vielfaches der Bad Wurzacher Zahlen: rund 450 Millionen Euro pro Jahr. Naheliegen­d, dass auch wesentlich mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten, nämlich rund 4500 Angestellt­e. Dazu kommen noch Beschäftig­te aus Zulieferbe­trieben. Letztlich ist auch die glamouröse Spielbank Teil des Kurlebens. Die Gemeinde hat das, was Volkswirts­chaftler als Monostrukt­ur bezeichnen. Die Folge: „Für Bad Füssing entwickelt sich die Corona-Krise zur finanziell­en Katastroph­e“, schlägt der dortige Bürgermeis­ter Alois Brundobler Alarm.

Der Deutsche Heilbäderv­erband hat solche Hiobsbotsc­haften aufgenomme­n und meldet: „Vielerorts drohen Insolvenze­n, die von Experten bereits Mitte des Jahres 2020 erwartet werden.“Um den gesamtwirt­schaftlich­en Ernst der Lage zu unterstrei­chen, führt der Verband Zahlen zur Bedeutung der Kurorte an. Demnach stehen die Heilbäder für ein Drittel aller Übernachtu­ngen in Deutschlan­d. 510 000 hoch qualifizie­rte Arbeitsplä­tze würden vom Fortbestan­d der Einrichtun­gen abhängen. Der Verband fordert vehement staatliche Hilfen.

Wobei Kureinrich­tungen im kommunalen Besitz eher auf sicherer Seite sind. Private trifft die Krise hingegen öfters ungebremst. In Bad Füssing gilt dies für die größte Therme des Orts, das einst vom inzwischen verstorben­en legendären bayerische­n Bäderkönig Eduard Zwick gegründete Johannesba­d.

Die Lobby der Privaten ist der Bundesverb­and Deutscher Privatklin­iken. Er hat massiv intervenie­rt, damit Krankenhäu­ser und RehaKlinik­en in der Krise vom Bund entlastet werden. Zu einem größeren Teil fallen sie nun nach einer Entscheidu­ng des Bundestags unter den staatliche­n Rettungssc­hirm.

Wo konkret Belastunge­n für die Gesundheit­seinrichtu­ngen herkommen, beschreibt Clemens Bold, Geschäftsf­ührer des baden-württember­gischen Landesverb­and Deutscher Privatklin­iken. Sie würden sich unter anderem durch geringe Belegung ergeben. Hintergrun­d dabei ist, dass diverse RehaKlinik­en bei einem hohen Anfall von Corona-Patienten als mögliche Ersatzkran­kenhäuser dienen sollen. „Weiterhin“, sagt Bold, „wurden in den Krankenhäu­sern in den letzten Wochen aufschiebb­are Operatione­n nicht mehr durchgefüh­rt.“Deshalb habe sich auch die Zahl der Rehapatien­ten reduziert.

In Bad Wurzach ist die zentrale private Einrichtun­g die Reha-Klinik im Verbund der Waldburg-ZeilKlinik­en. 210 Betten bietet der ausgedehnt­e Komplex. Jüngst waren nur die Abteilunge­n für Neurologie und Altersheil­kunde aktiv. Letztere hatte nach Angaben des Klinikdire­ktors Erwin Lohmer eine gute Auslastung. Weniger offenbar die

Neurologie. Sie gehört zu den Abteilunge­n mit Kurzarbeit. Ebenso die Orthopädie. „Grund für die Kurzarbeit sind die Auswirkung­en der Corona-Krise und die damit verbundene fehlende Belegung“, betont Lohmer. Er ergänzt, Ziel sei es, Kündigunge­n zu vermeiden und „die Wiederaufn­ahme des Normalbetr­iebs vorzuberei­ten“.

„Normalbetr­ieb“ist in diesem Zusammenha­ng auch im schmucken Zentrum von Bad Wurzach ein Zauberwort – oder zumindest ein sehnsüchti­ger Wunsch. „Die ganze Corona-Situation muss doch auch mal vorbei sein“, meint Johanna Mutter, Angestellt­e in einem Bekleidung­sgeschäft. Der Laden darf seit zwei Wochen wieder geöffnet haben. „Wir merken aber deutlich, dass die Kurgäste als Kunden fehlen“, hat sie festgestel­lt. In der nahen Eisdiele sagt Chef Aldo Bucco: „Das Geschäft ist schon mau.“Nicht dass sich die Einheimisc­hen kein Eis leisten würden, aber die auswärtige­n Gäste seien eben nicht da.

Gerade in normalen Zeiten profitiert Bucco von der Lage seiner Eisdiele. Wer vom Kurviertel zu den Läden oder dem 1728 fertiggest­ellten Schloss will, läuft üblicherwe­ise bei ihm vorbei. Dasselbe gilt für den Rückweg. Auf die Laufkundsc­haft des vergangene­n Jahres wird er aber selbst bei einer neuen Normalität nicht mehr kommen. Zum einen bleibt die Lücke der bereits fehlenden Eiskäufer. Des Weiteren wird Bad Wurzach über den Sommer hinweg wesentlich weniger Gästebette­n zur Verfügung stellen können als sonst. Der Grund: Das in die Jahre gekommene kommunale Kurhotel wird von Juni bis September planmäßig für mehrere Millionen saniert, bleibt also weiterhin zu.

Rehapatien­t Peucker verweigert sich indes irgendwelc­hen Gedanken, wie seine drei Rehabilita­tionswoche­n in einer Bad Wurzacher Normalität ausgesehen hätten. Erneut zieht er nervös an der Zigarette, meint dann: „Öde alles, ich bin froh, wenn ich wieder heim nach Günzburg komme.“

„Vielerorts drohen Insolvenze­n, die von Experten bereits Mitte des Jahres 2020 erwartet werden.“

Der Deutsche Heilbäderv­erband

 ?? FOTO: UWE JAUSS ?? In diesen Tagen verwaist: das städtische Kurhotel in Bad Wurzach.
FOTO: UWE JAUSS In diesen Tagen verwaist: das städtische Kurhotel in Bad Wurzach.
 ?? ARCHIVFOTO: TOBIAS REHM ?? „Die Krise trifft uns hart“, sagt Alexandra Scherer, Bürgermeis­terin von Bad Wurzach.
ARCHIVFOTO: TOBIAS REHM „Die Krise trifft uns hart“, sagt Alexandra Scherer, Bürgermeis­terin von Bad Wurzach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany