Karriere-Psychopath mit Sonderrechten
Boris Johnsons Chefberater Dominic Cummings und der Corona-Lockdown
- Regeln, Konventionen, hergebrachte Weisheiten? Dominic Cummings wischt sie alle beiseite. In Großbritannien galt bisher die eiserne Regel: Spitzenbeamte und hohe Berater des Premierministers geben niemals öffentliche Erklärungen ab, dafür sind gewählte Minister zuständig. Am späten Montagnachmittag aber trat der Stabschef von Premierminister Boris Johnson im Garten des Regierungssitzes Downing Street Nummer Zehn vor die Hauptstadtpresse, um sich für sein Verhalten im Corona-Lockdown zu rechtfertigen.
Ende März lauteten die Instruktionen der Regierung: die Wohnung nicht verlassen, keine unnötigen Reisen, bei Corona-Symptomen 14 Tage Selbstisolation in den eigenen vier Wänden. Cummings setzte sich über alles hinweg: Mit seiner Frau Mary Wakefield, einer bekannten Journalistin, und dem vierjährigen Sohn fuhr er mehr als 400 Kilometer zum Anwesen seiner Eltern im nordenglischen Durham. Wakefield litt bereits an Covid-Symptomen, Cummings musste kurz nach der Ankunft für mehr als eine Woche das Bett hüten – wenig überraschend, waren doch bereits zuvor Premier Johnson selbst, der Gesundheitsminister sowie der höchste Beamte des Landes positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden.
Wer am Montag nach drei Tagen verheerender Schlagzeilen Zerknirschung oder gar eine Entschuldigung erwartet hatte, sah sich enttäuscht. „Ich habe nichts falsch gemacht, es ist die Schuld der Medien“– die Kernsätze der Einlassungen des 48Jährigen passen zu dem studierten Historiker mit Abschluss an der Elite-Uni Oxford und seiner Politik des Spaltens à la Donald Trump. Cummings zeichnet die grenzenlose Bereitschaft aus, seine eigene Weltsicht für richtig, alles andere für falsch zu halten.
In der britischen Politik hat er es damit weit gebracht. Mit beinharten Kampagnen machte er sich in EUfeindlichen Kreisen einen Namen, mischte zu Beginn des letzten Jahrzehnts das Bildungsministerium auf und diente im Brexit-Referendum der Vote Leave-Kampagne als Chefstratege. „Die Kontrolle zurückgewinnen“, take back control, jener ebenso simple wie einprägsame Slogan war Cummings Idee. Als BrexitVormann Boris Johnson vergangenen Juli in der Downing Street Einzug hielt, heuerte er den Vertrauten als Stabschef an.
Seither folgt der gern in abgerissenen Sweatshirts und schlecht sitzenden Jeans herumlaufende Chefideologe dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“. Cummings zitiert gern den chinesischen General Sun Tzu (544-496 vor Christus) und gehört zu den Verehrern des legendären deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815-98). Dass er nicht einmal Mitglied der konservativen Partei ist, ja alle Parteien für ebenso überflüssig hält wie das traditionell neutrale Berufsbeamtentum
der Insel, gehört zu seinen Eigenheiten.
Für einen „unflätigen Trottel“hält ihn der altgediente Tory-Hinterbänkler Roger Gale, einer von mehr als zwei Dutzend konservativer Fraktionsmitglieder, die den Rücktritt des Lockdown-Interpreten verlangen. Der frühere Premier David Cameron, in dessen Regierungszeit (2010-16) Cummings als engster Berater des heutigen Kabinettsbüroministers Michael Gove arbeitete, bezeichnete den Beamten-Hasser sogar als „Karriere-Psychopathen“.
Am Montag gab sich der Stabschef, diesmal vergleichsweise ordentlich in weißem Hemd mit offenem Kragen gekleidet, ganz mild: Sein Trip habe der Sorge um sein Kind gegolten, für das in London angeblich keine Betreuung zu finden war. Premier Johnson hat Cummings bereits entschuldigt: Dieser sei „dem Instinkt jeden Vaters“gefolgt und habe korrekt gehandelt. Die empörte Öffentlichkeit sah das ganz anders. Der spektakuläre Auftritt vom Montag dürfte daran wenig ändern.