Der Kampf nach dem Krebs
Nach misslungener Operation: 44-jährige Ellwangerin kämpft mit ihrem Versicherer um Berufsunfähigkeitsrente
- Bis Sabine Bauer* nachts in den Schlaf findet, vergehen schon mal bis zu zwei Stunden. Die 44-Jährige leidet nach einer misslungenen Brustkrebs-Operation vor fünf Jahren unter chronischen Schmerzen. Um den Tag und vor allem die Nacht einigermaßen überstehen zu können, wird der zweifachen Mutter regelmäßig ein Anästhetikum gespritzt. Und wäre das alles nicht schon kräftezehrend genug, muss Sabine Bauer derzeit noch einen weiteren, äußerst zähen Kampf ausfechten. Und zwar mit der Nürnberger Versicherung. Hier hatte Bauer Mitte der 90er-Jahre eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Die will in Bauers Fall aber nicht einspringen.
Die Leidensgeschichte von Sabine Bauer beginnt 2015. Damals war Bauer 39 Jahre alt, arbeitete als Zahnmedizinische Fachassistentin bei einer Aalener Praxis und fühlte sich „gesundheitlich blendend“, wie sie sagt. Dann kam „dieser Freitag“. Die Untersuchung beim Frauenarzt und die niederschmetternde Diagnose: Brustkrebs. „Damit hatte ich zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gerechnet. Ich stand mitten im Leben, hatte Ziele. Diese Diagnose hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Meine Kinder waren ja gerade mal vier und neun Jahre alt. Es war schlimm“, berichtet Bauer. Die Welt sei in dem Moment zusammengebrochen.
Und es soll für Sabine Bauer noch schlimmer kommen. Die rechte Brust wird bei der OP abgenommen und danach mit einem Implantat rekonstruiert. Um dieses Implantat zu fixieren, wird Muskelgewebe vom Rücken genommen. „Ich hatte mich schon damals über diese Art der Operation gewundert. Den Muskel hat man ja schließlich nicht umsonst im Rücken. Aber der operierende Arzt überzeugte mich.“
Am Ende tritt das ein, was die Ellwangerin schon vor der OP befürchtet hat. Ihr Rücken macht Probleme. Von Anfang an. Und das massiv. „Ich habe sofort nach dem Eingriff gemerkt, das da etwas nicht stimmt. Die Ärzte sprachen zwar von einem guten, schnellen Operationsverlauf. Aber was nützt mir das, wenn ich Schmerzen habe wie ein Gaul?“
Seit der OP ist für Bauer nichts mehr wie es einmal war. Der rechte Arm und die rechte Schulter streiken. Profane Dinge wie Haare kämmen werden für sie zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Ohne Schmerzmittel geht nach der OP gar nichts mehr. „In einer guten Nacht schlafe ich fünf Stunden. Aber es dauert bis ich eingeschlafen bin, bis ich endlich eine Position gefunden habe, in der ich die Schmerzen aushalten kann.“Heute, fünf Jahre nach der OP, fühle sie sich wie eine alte Frau. Nicht wie Mitte 40. Durch die Schmerzen und die damit verbundene Fehlhaltung seien weitere gesundheitliche Probleme aufgetreten. Kopf-, Hüft- und seit neuestem auch Knieschmerzen seien dazu gekommen.
Früher war Sabine Bauer aktiv, machte gerne Sport. Pilates, Zumba – heute ist das alles undenkbar. „Das kann ich knicken. Ich kann mich ja nicht mal selbst am Rücken kratzen.“Und auch den Job beim Zahnarzt, der ihr Spaß gemacht hat, musste sie aufgeben. „Ich könnte in meiner alten Praxis jederzeit wieder beginnen. Mein alter Chef hält für mich immer eine Tür offen. Aber es geht zur Zeit einfach nicht“, sagt Bauer, der zwischenzeitlich auch eine Erwerbsminderungsrente zuerkannt wurde. Auch ihre private Berufsunfähigkeitsversicherung sprang nach der OP 2016 zunächst ein. Aber nur für einige Monate. Und auch nur aus „Kulanz“, wie die Nürnberger Versicherung auf Nachfrage unserer Zeitung betont. Danach wurde die Zahlung eingestellt. Bauer musste sich bei einer Gutachterin vorstellen, die von der Versicherung vorgeschlagen wurde.
Für Bauer wurde dieser Gang zum Horrorerlebnis. Die Gutachterin war eine Neurologin, die eine äußerst schmerzhafte Untersuchung veranlasste. „Ich konnte mich danach zunächst überhaupt nicht mehr bewegen, habe vor Schmerzen Rotz und Wasser geheult. Es war grauenvoll.“Das Gutachten selber fällt für Bauer ebenfalls nicht positiv aus. Die Neurologin bestätigt zwar, dass Sabine Bauer in ihrem erlernten Beruf als Zahnmedizinische Fachassistentin derzeit zu 100 Prozent berufsunfähig ist. Aber: Sie könne ja in einem anderen Beruf arbeiten, etwa im Büro.
Eine solche Bürotätigkeit hatte Bauer, unmittelbar vor der Brustkrebs-Operation ausgeübt. Allerdings nur kurzfristig, für exakt acht Wochen, als Aushilfe bei ihrem Ehemann, der damals eine EDV-Firma hatte. Der Job lief parallel zur Anstellung beim Zahnarzt. Das hatte Bauer der Versicherung auch wahrheitsgemäß mitgeteilt. „Und genau das wird
Sabine Bauer*
mir jetzt zum Verhängnis“, sagt Bauer.
Denn: Die Nürnberger Versicherung verweist auf eine Vertragsklausel, nachdem „nicht der erlernte Beruf“maßgeblich ist, sondern „die zuvor in gesunden Tagen konkret ausgeübte Berufstätigkeit“, sprich: der Bürojob.
Auf Nachfrage unserer Zeitung betont die Versicherung, dass nicht nur die von ihnen bestellte Gutacherin, sondern auch Ärzte Sabine Bauer ein „nahezu vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten, wie Bürotätigkeiten“bescheinigt hätten. Abschließend hält die Nürnberger Versicherung schriftlich fest: „Frau Bauer begründet einen vermeintlichen Leistungsanspruch damit, den einst erlernten Beruf als Zahnmedizinische Fachassistentin infolge der Erkrankung nicht mehr ausüben zu können. Dies reicht für einen Leistungsanspruch nicht aus.“
Sabine Bauer macht das wütend. Sie sei keine ausgebildete Bürofachkraft, sondern Zahnmedizinische Fachassistentin. Genau dafür wurde die Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Außerdem habe sie für diese berufliche Qualifikation seinerzeit rund 30 000 Euro aus eigener Tasche bezahlt. „Und das soll jetzt alles nichts zählen?“
Ganz abgesehen davon, sei für sie aufgrund der chronischen Schmerzen, derzeit in gar keinem Beruf eine reguläre Teil- oder Vollzeitbeschäftigung denkbar. „Wenn ich einen handschriftlichen Brief schreibe, muss ich Pause machen, weil mein Arm taub wird. Eine Computermaus kann ich zehn Minuten halten, dann fangen Arm und Schulter an zu schmerzen.“
In diesem Zuge betont die 44-Jährige mit Nachdruck, dass sie immer gerne gearbeitet hat. „Ich habe ja selbst nach der Krebsdiagnose zunächst noch weitergearbeitet. Erst als die Chemotherapie beginnen sollte, habe ich aufgehört. Mir war Arbeit wirklich noch nie zu viel, ich würde auch sofort einsteigen, wenn es gehen würde. Aber es geht momentan nicht.“
Die Berufsunfähigkeitsversicherung hatte 1997 übrigens noch Bauers bereits verstorbener Vater abgeschlossen. „Ihm war es immer wichtig, dass seine Töchter finanziell unabhängig sind und auf eigenen Füßen stehen“, berichtet Bauer mit tränenerstickter Stimme. Die Erwerbsminderungsrente, die sie momentan erhält, sei „zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“. „Wenn ich nicht verheiratet wäre, käme ich damit nicht über die Runden.“
Deshalb will Sabine Bauer weiterkämpfen. Auch wenn es Kraft kostet. Sie hat der Nürnberger Versicherung zwischenzeitlich mitgeteilt, dass sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert hat. Der Versicherer hat die Ärzte um eine neue, aktuelle Beurteilung gebeten. Das Ergebnis liegt noch nicht vor.
„Ich habe sofort nach dem Eingriff gemerkt, dass da etwas nicht stimmt.“
*Name von der Redaktion geändert