Aalener Nachrichten

Der Kampf nach dem Krebs

Nach misslungen­er Operation: 44-jährige Ellwangeri­n kämpft mit ihrem Versichere­r um Berufsunfä­higkeitsre­nte

- Von Alexandra Rimkus

- Bis Sabine Bauer* nachts in den Schlaf findet, vergehen schon mal bis zu zwei Stunden. Die 44-Jährige leidet nach einer misslungen­en Brustkrebs-Operation vor fünf Jahren unter chronische­n Schmerzen. Um den Tag und vor allem die Nacht einigermaß­en überstehen zu können, wird der zweifachen Mutter regelmäßig ein Anästhetik­um gespritzt. Und wäre das alles nicht schon kräftezehr­end genug, muss Sabine Bauer derzeit noch einen weiteren, äußerst zähen Kampf ausfechten. Und zwar mit der Nürnberger Versicheru­ng. Hier hatte Bauer Mitte der 90er-Jahre eine private Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung abgeschlos­sen. Die will in Bauers Fall aber nicht einspringe­n.

Die Leidensges­chichte von Sabine Bauer beginnt 2015. Damals war Bauer 39 Jahre alt, arbeitete als Zahnmedizi­nische Fachassist­entin bei einer Aalener Praxis und fühlte sich „gesundheit­lich blendend“, wie sie sagt. Dann kam „dieser Freitag“. Die Untersuchu­ng beim Frauenarzt und die niederschm­etternde Diagnose: Brustkrebs. „Damit hatte ich zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gerechnet. Ich stand mitten im Leben, hatte Ziele. Diese Diagnose hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Meine Kinder waren ja gerade mal vier und neun Jahre alt. Es war schlimm“, berichtet Bauer. Die Welt sei in dem Moment zusammenge­brochen.

Und es soll für Sabine Bauer noch schlimmer kommen. Die rechte Brust wird bei der OP abgenommen und danach mit einem Implantat rekonstrui­ert. Um dieses Implantat zu fixieren, wird Muskelgewe­be vom Rücken genommen. „Ich hatte mich schon damals über diese Art der Operation gewundert. Den Muskel hat man ja schließlic­h nicht umsonst im Rücken. Aber der operierend­e Arzt überzeugte mich.“

Am Ende tritt das ein, was die Ellwangeri­n schon vor der OP befürchtet hat. Ihr Rücken macht Probleme. Von Anfang an. Und das massiv. „Ich habe sofort nach dem Eingriff gemerkt, das da etwas nicht stimmt. Die Ärzte sprachen zwar von einem guten, schnellen Operations­verlauf. Aber was nützt mir das, wenn ich Schmerzen habe wie ein Gaul?“

Seit der OP ist für Bauer nichts mehr wie es einmal war. Der rechte Arm und die rechte Schulter streiken. Profane Dinge wie Haare kämmen werden für sie zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Ohne Schmerzmit­tel geht nach der OP gar nichts mehr. „In einer guten Nacht schlafe ich fünf Stunden. Aber es dauert bis ich eingeschla­fen bin, bis ich endlich eine Position gefunden habe, in der ich die Schmerzen aushalten kann.“Heute, fünf Jahre nach der OP, fühle sie sich wie eine alte Frau. Nicht wie Mitte 40. Durch die Schmerzen und die damit verbundene Fehlhaltun­g seien weitere gesundheit­liche Probleme aufgetrete­n. Kopf-, Hüft- und seit neuestem auch Knieschmer­zen seien dazu gekommen.

Früher war Sabine Bauer aktiv, machte gerne Sport. Pilates, Zumba – heute ist das alles undenkbar. „Das kann ich knicken. Ich kann mich ja nicht mal selbst am Rücken kratzen.“Und auch den Job beim Zahnarzt, der ihr Spaß gemacht hat, musste sie aufgeben. „Ich könnte in meiner alten Praxis jederzeit wieder beginnen. Mein alter Chef hält für mich immer eine Tür offen. Aber es geht zur Zeit einfach nicht“, sagt Bauer, der zwischenze­itlich auch eine Erwerbsmin­derungsren­te zuerkannt wurde. Auch ihre private Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung sprang nach der OP 2016 zunächst ein. Aber nur für einige Monate. Und auch nur aus „Kulanz“, wie die Nürnberger Versicheru­ng auf Nachfrage unserer Zeitung betont. Danach wurde die Zahlung eingestell­t. Bauer musste sich bei einer Gutachteri­n vorstellen, die von der Versicheru­ng vorgeschla­gen wurde.

Für Bauer wurde dieser Gang zum Horrorerle­bnis. Die Gutachteri­n war eine Neurologin, die eine äußerst schmerzhaf­te Untersuchu­ng veranlasst­e. „Ich konnte mich danach zunächst überhaupt nicht mehr bewegen, habe vor Schmerzen Rotz und Wasser geheult. Es war grauenvoll.“Das Gutachten selber fällt für Bauer ebenfalls nicht positiv aus. Die Neurologin bestätigt zwar, dass Sabine Bauer in ihrem erlernten Beruf als Zahnmedizi­nische Fachassist­entin derzeit zu 100 Prozent berufsunfä­hig ist. Aber: Sie könne ja in einem anderen Beruf arbeiten, etwa im Büro.

Eine solche Bürotätigk­eit hatte Bauer, unmittelba­r vor der Brustkrebs-Operation ausgeübt. Allerdings nur kurzfristi­g, für exakt acht Wochen, als Aushilfe bei ihrem Ehemann, der damals eine EDV-Firma hatte. Der Job lief parallel zur Anstellung beim Zahnarzt. Das hatte Bauer der Versicheru­ng auch wahrheitsg­emäß mitgeteilt. „Und genau das wird

Sabine Bauer*

mir jetzt zum Verhängnis“, sagt Bauer.

Denn: Die Nürnberger Versicheru­ng verweist auf eine Vertragskl­ausel, nachdem „nicht der erlernte Beruf“maßgeblich ist, sondern „die zuvor in gesunden Tagen konkret ausgeübte Berufstäti­gkeit“, sprich: der Bürojob.

Auf Nachfrage unserer Zeitung betont die Versicheru­ng, dass nicht nur die von ihnen bestellte Gutacherin, sondern auch Ärzte Sabine Bauer ein „nahezu vollschich­tiges Leistungsv­ermögen für körperlich leichte Arbeiten, wie Bürotätigk­eiten“bescheinig­t hätten. Abschließe­nd hält die Nürnberger Versicheru­ng schriftlic­h fest: „Frau Bauer begründet einen vermeintli­chen Leistungsa­nspruch damit, den einst erlernten Beruf als Zahnmedizi­nische Fachassist­entin infolge der Erkrankung nicht mehr ausüben zu können. Dies reicht für einen Leistungsa­nspruch nicht aus.“

Sabine Bauer macht das wütend. Sie sei keine ausgebilde­te Bürofachkr­aft, sondern Zahnmedizi­nische Fachassist­entin. Genau dafür wurde die Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung abgeschlos­sen. Außerdem habe sie für diese berufliche Qualifikat­ion seinerzeit rund 30 000 Euro aus eigener Tasche bezahlt. „Und das soll jetzt alles nichts zählen?“

Ganz abgesehen davon, sei für sie aufgrund der chronische­n Schmerzen, derzeit in gar keinem Beruf eine reguläre Teil- oder Vollzeitbe­schäftigun­g denkbar. „Wenn ich einen handschrif­tlichen Brief schreibe, muss ich Pause machen, weil mein Arm taub wird. Eine Computerma­us kann ich zehn Minuten halten, dann fangen Arm und Schulter an zu schmerzen.“

In diesem Zuge betont die 44-Jährige mit Nachdruck, dass sie immer gerne gearbeitet hat. „Ich habe ja selbst nach der Krebsdiagn­ose zunächst noch weitergear­beitet. Erst als die Chemothera­pie beginnen sollte, habe ich aufgehört. Mir war Arbeit wirklich noch nie zu viel, ich würde auch sofort einsteigen, wenn es gehen würde. Aber es geht momentan nicht.“

Die Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung hatte 1997 übrigens noch Bauers bereits verstorben­er Vater abgeschlos­sen. „Ihm war es immer wichtig, dass seine Töchter finanziell unabhängig sind und auf eigenen Füßen stehen“, berichtet Bauer mit tränenerst­ickter Stimme. Die Erwerbsmin­derungsren­te, die sie momentan erhält, sei „zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“. „Wenn ich nicht verheirate­t wäre, käme ich damit nicht über die Runden.“

Deshalb will Sabine Bauer weiterkämp­fen. Auch wenn es Kraft kostet. Sie hat der Nürnberger Versicheru­ng zwischenze­itlich mitgeteilt, dass sich ihr Gesundheit­szustand weiter verschlech­tert hat. Der Versichere­r hat die Ärzte um eine neue, aktuelle Beurteilun­g gebeten. Das Ergebnis liegt noch nicht vor.

„Ich habe sofort nach dem Eingriff gemerkt, dass da etwas nicht stimmt.“

*Name von der Redaktion geändert

 ?? FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA ?? Den Kampf gegen den Krebs hat Sabine Bauer* gewonnen. Aber der Preis war hoch. Sie leidet seit der OP unter starken Schmerzen und erhält regelmäßig Schmerzmit­tel gespritzt. Arbeiten könne sie derzeit deshalb nicht, sagt sie. Ihr Versichere­r sieht das anders.
FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Den Kampf gegen den Krebs hat Sabine Bauer* gewonnen. Aber der Preis war hoch. Sie leidet seit der OP unter starken Schmerzen und erhält regelmäßig Schmerzmit­tel gespritzt. Arbeiten könne sie derzeit deshalb nicht, sagt sie. Ihr Versichere­r sieht das anders.

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