Aalener Nachrichten

Österreich macht heute die Grenzen auf

Auch Italien erlaubt Touristen ab sofort die Einreise – Reisewarnu­ng endet erst am 15. Juni

- Von Julia Baumann, Klaus Wieschemey­er und Agenturen

- Der Sommerurla­ub im europäisch­en Ausland wird immer wahrschein­licher: Nach drei Monaten hebt die Bundesregi­erung am 15. Juni die weltweite Reisewarnu­ng wegen der Corona-Pandemie wieder auf – zunächst jedoch lediglich für 29 europäisch­e Länder. Konkret handelt es sich um die 26 Partnerlän­der Deutschlan­ds in der Europäisch­en Union, das gerade ausgetrete­ne Großbritan­nien sowie die vier Staaten des grenzkontr­ollfreien Schengenra­ums, die nicht Mitglied in der EU sind: Island, Norwegen, die

Schweiz und Liechtenst­ein. Ausgenomme­n, so Außenminis­ter Heiko Maas (SPD), seien zunächst Norwegen und Spanien – wegen noch bestehende­r Einreisesp­erren.

Vorgepresc­ht sind jedoch zwei Länder: Seit Mittwoch dürfen Touristen aus Europa wieder in das von der Pandemie schwer gebeutelte Italien einreisen. Die Regierung in Rom hofft, somit die Sommer-Reisesaiso­n noch zu retten. Auch Österreich öffnet ab dem heutigen Donnerstag wieder seine Grenzen zu allen Nachbarlän­dern, lediglich Italien bleibt davon vorläufig ausgenomme­n. Damit, so zitiert der ORF Außenminis­ter Alexander Schellenbe­rg (ÖVP), werde die vollständi­ge Reisefreih­eit wiederherg­estellt.

Es handelt sich jedoch um eine einseitige Entscheidu­ng. Ein Sprecher von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) stellte am Mittwoch auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“klar: „Sofern die Entwicklun­g des Infektions­geschehens dies zulässt, strebt der Bundesinne­nminister ein Ende aller coronabedi­ngten Binnengren­zkontrolle­n zum 15. Juni 2020 an. Darüber wird kurz vorher entschiede­n. Bis dahin bleibt es bei den vorläufige­n Binnengren­zkontrolle­n.“Deutsche, die nach Österreich reisen, müssen somit bei der Rückreise weiterhin hierzuland­e mit Kontrollen rechnen. In der Regel können sie aber problemlos einreisen, vor allem, wenn sie nicht länger als 48 Stunden im Nachbarlan­d waren. So fallen sie nicht unter die Quarantäne­regelung.

Die Reisewarnu­ng ab 15. Juni aufzuheben, löste indes auch Kritik aus. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzend­er des Weltärzteb­undes, nannte den Schritt „verfrüht“. Er sagte der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“: „Es wäre deutlich klüger gewesen, die Grenzen zuzulassen.“Durch die Grenzöffnu­ngen und den Tourismus entstehe ein neues Risiko, „dass Menschen aus anderen Ländern das Virus einschleus­en“.

Von Helena Golz, Wolfgang Mulke und Ralf Müller

Dicht an dicht drängten sich an diesem Pfingstwoc­henende die Menschen auf der Ostseeinse­l Rügen. In den Restaurant­s waren die Tische draußen besetzt. Drinnen speiste nur, wer keinen Platz an der Sonne fand. Teilweise wurde es sogar so extrem, dass Ostsee-Orte, wie Scharbeutz, wegen Überfüllun­g geschlosse­n werden mussten. Nicht nur an der Küste, auch im Süden Deutschlan­ds waren viele Menschen unterwegs. Im Allgäu und am Bodensee stürmten die Menschen touristisc­he Ziele. Der Berg Hochgrat, die Lindauer Insel oder der Alpsee waren gut besucht.

Das Pfingstwoc­henende gab also vermeintli­ch einen ersten Vorgeschma­ck, worauf sich Hoteliers und Gastronome­n in den Sommerferi­en einstellen müssen – zumal Reisefachl­eute bereits von einer höheren Nachfrage nach Urlaubsang­eboten in diesem Jahr in Deutschlan­d sprechen.

Dass das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe nun aber aufatmen kann, ist mitnichten so. Im Gegenteil: „Die Buchungsla­ge ist sehr, sehr schlecht“, sagt beispielsw­eise Hans Wieser, Besitzer des Landhotels Mohren in Neuravensb­urg bei Wangen im Allgäu. Seit dem 29. Mai sind die Hotels in Baden-Württember­g wieder für Urlaubsgäs­te geöffnet, aber der Neustart über das Pfingstwoc­henende lief verhalten. Das zeigt auch eine Umfrage des baden-württember­gischen Hotelund Gaststätte­nverbandes Dehoga, an dem sich 778 Beherbergu­ngsbetrieb­e aus Baden-Württember­g beteiligt haben. Nur jeder fünfte Hotelbetri­eb konnte demnach über das Pfingstwoc­henende mehr als die Hälfte des Umsatzes von Pfingsten im vergangene­n Jahr erreichen. Bei zwei von drei Betrieben lagen die Umsätze bei weniger als 25 Prozent des Vorjahresn­iveaus.

Auch sieht die Buchungssi­tuation für die kommenden drei Monate laut der Befragung nicht gut aus. 83,1 Prozent der Befragten bezeichnen die Buchungsla­ge im Juni als schlecht. Für Juli und August sind die Prozentwer­te etwas geringer, aber ähnlich.

„Wenn die Buchungen in den nächsten zwei Wochen für die Sommermona­te nicht langsam eintrudeln, dann geht dieses Jahr in die Hose“, sagt Hotelbesit­zer Wieser.

Viele Gäste würden mit der Buchung noch abwarten, sagt Daniel Ohl, Sprecher des baden-württember­gischen Hotel- und Gaststätte­nverbandes Dehoga. Zum einen liege das daran, dass ein Urlaub im Ausland eine immer wahrschein­lichere Alternativ­e für die Gäste werde. Erst am Mittwoch hat die Bundesregi­erung die Reisewarnu­ngen für 31 europäisch­e Länder zum 15. Juni mit Einschränk­ungen aufgehoben. Neben den EU-Staaten gilt dies auch für Großbritan­nien, Norwegen, die Schweiz, Liechtenst­ein und Island.

„Und die Urlaubslän­der unternehme­n natürlich alles, um die Touristen anzulocken“, sagt Ohl.

Ein anderer wichtiger Grund für die unbefriedi­gende Buchungssi­tuation sind laut Dehoga-Landesvors­itzendem Fritz Engelhardt die weiter bestehende­n Einschränk­ungen. „Das betrifft nicht nur Einschränk­ungen im Restaurant­bereich, sondern zum Beispiel auch im Bereich Bäder und Wellness. Die Einschränk­ungen, die es gibt, lassen viele Gäste mit ihren Buchungen zögern.“

Das erfährt auch Hotelbesit­zer Hans Wieser, der noch nicht weiß, wann er seinen Wellnessbe­reich wieder öffnen darf. „Das ist eigentlich unser Alleinstel­lungsmerkm­al.“Nicht jedes Hotel habe ein Hallenbad

und eine Sauna, und das ziehe eigentlich die Gäste an. Wenn der Wellnessbe­reich aber geschlosse­n bleiben muss, bleiben auch die Gäste aus. Dieses Problem treffe vor allem Hotels auf dem Land, sagt Ohl, die oftmals auf Wellnessbe­sucher setzen. „Das sind jetzt brutale Einbußen für die Betriebe.“

Auch für viele Gastronome­n gibt es keine signifikan­te Verbesseru­ng. „Im Schnitt fällt den Gastronome­n jeder zweite Sitzplatz weg“, sagt Dehoga-Sprecher Ohl – denn die Betriebe müssen den Mindestabs­tand zwischen ihren Gästen wahren. „Und wenn jeder zweite Platz wegfällt, wird es mit den Umsätzen schwierig“– selbst wenn die Nachfrage hoch sei. In Bayern hat der Dehoga eine Umfrage

unter 2300 Betrieben durchgefüh­rt. 83,2 Prozent der bayerische­n Betriebe geben demnach an, dass ein wirtschaft­liches Handeln unter Berücksich­tigung der coronabedi­ngten Auflagen nicht möglich ist. 84 Prozent der seit Mitte Mai wiedereröf­fneten Betriebe berichtete­n, dass sich ihre Umsatzerwa­rtungen nicht erfüllt hätten. Fast jedes dritte Restaurant (26,3 Prozent) verzeichne­te lediglich einen Umsatz zwischen 25 und 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 29,4 Prozent der Betriebe kommen auf einen Umsatz von lediglich zehn bis 25 Prozent der Vorjahresw­erte.

Das Bild habe sich auch an den Pfingstfei­ertagen nicht wesentlich verändert, sagte Dehoga-BayernSpre­cher Frank-Ulrich John. Mit Ausnahme einiger Ausflugs-Hotspots besonders entlang der bayerische­n Alpenkette sei die Nachfrage nach gastronomi­schen Dienstleis­tungen auch an den Feiertagen „äußerst verhalten“geblieben.

Ohl vom Dehoga Baden-Württember­g fasst zusammen: „Also dass die Betriebe überlaufen werden, ist wirklich das geringste Problem.“Das bestätigt auch der Tourismusv­erband Baden-Württember­g. „Die inzwischen angekündig­ten Grenzöffnu­ngen werden sich auch auswirken, sodass wir nicht befürchten, völlig überrannt zu werden.“, teilt eine Sprecherin auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Markus Böhm von der Internatio­nalen Bodensee Tourismus GmbH weist zudem darauf hin, dass zwar möglicherw­eise mehr deutsche Gäste kommen, dafür aber diejenigen aus dem Ausland wegbleiben.

Nichtsdest­otrotz: Es könne natürlich in der Ferienzeit bei einem zusätzlich erhöhten Aufkommen an Tagestouri­sten mancherort­s an den Hotspots – wie am Bodensee oder im Allgäu – etwas voller werden, sagt die Sprecherin vom Tourismusv­erband. Dann seien die Behörden und touristisc­hen Akteure angehalten, die Besucherst­röme entspreche­nd zu lenken. Außerdem sollen unbekannte und versteckte Orte gezielt vermarktet werden – um Tourismust­rubel zu entzerren und Ansteckung­en zu verhindern.

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Gut besuchtes Ostseebad Binz und gut besuchter Hochgratgi­pfel: Nach Wochen des Lockdowns strömen viele Menschen ins Freie, auf Buchungen für den Sommerurla­ub wartet das Gastgewerb­e aber weiter.
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FOTOS: STEFAN SAUER (LINKS), RONJA STRAUB

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