Aalener Nachrichten

Kinder infizieren sich seltener mit Corona

Herdenimmu­nität liegt laut neuer Studie aus Baden-Württember­g aber in weiter Ferne

- Von Kara Ballarin

- Kinder bis zehn Jahre sind seltener von einer Corona-Infektion betroffen als Erwachsene. Das ist die zentrale Erkenntnis einer Studie aus Baden-Württember­g, die das Land in Auftrag gegeben hatte. Zwei der leitenden Wissenscha­ftler stellten die vorläufige­n Ergebnisse am Dienstag in Stuttgart vor.

Die Universitä­tskliniken im Südwesten hatten 2500 Kinder und jeweils ein Elternteil untersucht. Eine so hohe Fallzahl habe weltweit keine andere Studie zu diesem Thema, sagte Klaus-Michael Debatin vom Universitä­tsklinikum Ulm. Die Wissenscha­ftler hatten die Probanden auf eine akute Infektion per Rachenabst­rich getestet. Zudem hatten sie das Blut der Teilnehmer mit zwei Verfahren auf Antikörper analysiert – diese zeigen an, ob eine Infektion bereits überstande­n ist. „Klar ist, Eltern sind häufiger infiziert als ihre Kinder“, erklärte Debatin. Kinder seien deshalb „sicherlich nicht als Treiber der Infektion anzusehen“.

Eine akute Infektion fanden die Wissenscha­ftler lediglich bei einem Kind und einem Elternteil. Zudem hatten 64 der 5000 Probanden eine Corona-Infektion überstande­n, ohne es bemerkt zu haben. Lediglich 19 davon waren Kinder. Ob ein Kind zu Hause oder in Notbetreuu­ng war, habe dabei keine Rolle gespielt, sagte Hans-Georg Kräusslich vom UniKliniku­m Heidelberg.

Die Studie sage zwar nichts darüber aus, wie stark Kinder zur Verbreitun­g des Virus beitragen. Laut Studienerg­ebnis spielten sie aber klar eine untergeord­nete Rolle. Da Antikörper lediglich bei einem bis zwei Prozent der Probanden gefunden wurden, erklärt Debatin zudem:

„Wir sind damit weit von einer Herdenimmu­nität entfernt.“

Zwischener­gebnisse der Studie hatte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) vor einem Monat vorgestell­t. Auf deren Basis hatte die Landesregi­erung beschlosse­n, Kitas und Grundschul­en ab 29. Juni wieder für alle Kinder zu öffnen – ohne Abstandsge­bot. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) warnte mit Blick auf die Ministerpr­äsidentenk­onferenz am Mittwoch vor einem „extremen Flickentep­pich“beim Infektions­schutz – auch im Bildungsbe­reich.

- Nun steht es fest: Ab dem 29. Juni sollen in Baden-Württember­g alle Kita-Kinder und Grundschül­er täglich betreut und unterricht­et werden. Die wohl wichtigste Grundlage dafür ist die Kinderstud­ie der vier Universitä­tskliniken im Land. Antworten auf die wichtigste­n Fragen zu den Öffnungen im Überblick:

Welche Rolle spielen Kinder bei der Verbreitun­g des Coronaviru­s?

Die sogenannte Heidelberg­er Studie sagt klar, dass sich Kinder seltener infizieren als Erwachsene. „Kinder sind deutlich weniger angesteckt als Eltern“, sagte Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Kinderklin­ik am Universitä­tsklinikum Ulm, am Dienstag in Stuttgart. Für die Studie im Auftrag des Landes haben die Uniklinike­n in Ulm, Freiburg und Tübingen unter der Leitung der Uniklinik Heidelberg 2500 Kinder und je ein Elternteil aus dem ganzen Land untersucht – sowohl auf eine akute, als auch auf eine überstande­ne Infektion. Die Wissenscha­ftler präsentier­ten am Dienstag lediglich einen Bericht, da für eine geringe Zahl von Antikörper­tests noch die Endergebni­sse ausstünden. In Kürze folge die Veröffentl­ichung der Studie.

Was besagt die neuen Studie im Vergleich zu anderen?

Es gibt eine Bandbreite an Untersuchu­ngen dazu, wie stark Kinder vom Coronaviru­s betroffen sind – unter anderem aus Island und China, die zu ganz widersprüc­hlichen Aussagen kommen. Eine große Debatte gab es zudem zur Studie des Chefvirolo­gen der Berliner Charité, Christian Drosten. Dessen Erkenntnis: Es könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass Kinder genauso infektiös sind wie Erwachsene. Unterschie­dliche Studienvor­aussetzung­en brächten auch unterschie­dliche Ergebnisse, sagte Hans-Georg Kräusslich, Sprecher des Zentrums für Infektiolo­gie am Universitä­tsklinikum Heidelberg. Aber: „Ich halte es für sehr unwahrsche­inlich, dass sich die grundsätzl­iche Aussage, dass Kinder grundsätzl­ich weniger infiziert sind, ändert.“An Israel etwa sehe man aber, dass dort nach einer generellen Schulöffnu­ng 130 Schulen nach Infektions­fällen wieder geschlosse­n werden mussten.

Was heißt das für Kitas und Schulen im Land?

Auf Basis dieser Ergebnisse sollen Kitas, Kindertage­spflege und Grundschul­en ab 29. Juni in einen Regelbetri­eb wechseln. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) verweist zudem auf andere Bundesländ­er wie Sachsen und Niedersach­sen, wo dies bereits der Fall ist – und Schulen zum Teil nach Infektions­fällen wie in Göttingen wieder schließen mussten. „Wir wollen vermeiden, dass wir wieRottenb­urg-Stuttgart. der schließen müssen“, so Eisenmann. Die Studie gilt nur für Kinder bis zehn Jahre, deshalb dürfen an weiterführ­enden Schulen Schüler auch weiter nur abwechseln­d unterricht­et werden. An einem Konzept für die Zeit nach den Sommerferi­en arbeite sie. Abstandsre­geln gelten für die Kitaund Grundschul­kinder nicht, wohl aber für Lehrer und Erzieher. Die Kinder müssen in festen Gruppen bleiben – offene Konzepte in Kitas sind verboten. Ebenso sollen die Grundschül­er gemeinsam mit ihren Lehrern feste Gruppen bilden, die sich nicht mit anderen mischen.

Gibt es genug Erzieher und Lehrer?

Laut Eisenmann fallen 20 Prozent der Lehrer, laut Kita-Träger 40 Prozent der Erzieher coronabedi­ngt aus. Ab dem 29. Juni müssen Lehrer ein Attest vorlegen, wenn sie der Schule fernbleibe­n. Das brauchten sie bislang nicht. Eine Ausnahme gilt für Schwangere und ihre Partner. Erzieher konnten das schon bisher nicht generell so frei für sich entscheide­n, erklärt eine Sprecherin des Städtetags. Das liege im Ermessen der Träger vor Ort. Der Gemeindeta­g liebäugelt mit Attesten, wie eine Sprecherin sagt. „Eine diözesan verordnete Attestpfli­cht für alle Erzieherin­nen und Erzieher wird es nicht geben“, erklärt Irme Stetter-Karp von der Diözese Im Bedarfsfal­l werde den katholisch­en Trägern vor Ort empfohlen, eine ärztliche Beurteilun­g für den jeweiligen Mitarbeite­nden einzuholen. Grundschül­er brauchen derweil keine ärztliche Bescheinig­ung, wenn sie aus Sorge um eine Infektion nicht am Präsenzunt­erricht teilnehmen wollen, erklärte Ministerin Eisenmann.

Wie werden die Kleinen betreut?

Damit alle Kinder bei weniger Personal betreut werden können, bekommen die Kita-Träger für ein Jahr viel Flexibilit­ät: Sie können die Gruppen vergrößern und mit weniger Personal als vorgegeben arbeiten. Um Ausfälle abzufedern, kann auch weiteres Personal eingestell­t werden – etwa Azubis, Fachkräfte aus anderen Bereichen und „anderen geeigneten Personen im Sinne des Kindertage­sbetreuung­sgesetzes“. Die Kitas dürfen auch zusätzlich­e Räume wie Gemeindehä­user nutzen. Da Eisenmann weder Personalno­ch Rechtsaufs­icht über die Kitas hat, kann sie die generelle Öffnung nicht anordnen. „Ich habe aber dafür kein Verständni­s, wenn Einrichtun­gen geschlosse­n blieben“, betonte sie.

Haben Grundschül­er normalen Unterricht?

Das ist das Ziel von Ministerin Eisenmann. Sie sollen täglich zu normalen

Zeiten zur Schule gehen und dort mindestens drei oder vier Stunden Unterricht bekommen – vor allem in Mathe, Deutsch und Sachkunde. Die Schulen können aber flexibel auf Personalno­t reagieren und notfalls nur zwei Stunden anbieten. Betreuungs­angebote sollen die restliche Zeit abpuffern.

Wird es regelmäßig­e CoronaTest­s für Lehrer und Kinder geben? Es brauche eine Teststrate­gie, betont Eisenmann. Kultus- und Sozialmini­sterium erarbeitet­en ein Konzept, das in einer Woche verabschie­det werden soll. Das Landesgesu­ndheitsamt rät von routinemäß­igen Tests für Lehrer und Kinder ab. Entspreche­nd hat sich die Amtsleiter­in Karlin Stark bei Treffen zur Öffnung im Kultusmini­sterium laut Teilnehmer­n geäußert. Die Infektions­zahlen im Land seien so niedrig, dass Tests der Suche einer Nadel im Heuhaufen gleichkäme­n. Sie empfiehlt Tests, bei Symptomen. Eisenmann betont indes, dass sich Kinder, Erzieher und Lehrer auch ohne Symptome testen lassen können.

Ist die Fahrt im Schulbus sicher?

Ja, sagt Nathalie Münz vom Landkreist­ag. Die Schulbusse führen den regulären Fahrplan. Auch wenn alle Grundschül­er zur Schule gingen, seien die Busse längst nicht ausgelaste­t.

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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Kinder infizieren sich einer Studie zufolge weniger häufig mit dem Coronaviru­s.

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