Nicht ohne meine Söhne
Seit drei Jahren hat Björn Echternach aus Nördlingen seine Kinder nicht mehr gesehen – Seine Ex-Frau hat sich mit ihnen nach Japan abgesetzt – Aber der Vater will diesen Fall von Kindesentführung nicht einfach hinnehmen
Der Mann, der allen Grund hätte, an nichts mehr zu glauben, sagt: „Ich glaube das nicht nur, sondern ich bin mir sicher.“Bei Björn Echternach klingt das so, dass man keinen Zweifel daran haben kann. „Das kann nicht das Ende gewesen sein“, sagt er. „Das Urteil ist doch ein Witz.“Echternach kneift die Augen zusammen. Die Sonne scheint heute so stark, dass die Schirme auf der Terrasse kaum Schutz bieten. In einem Restaurant am Potsdamer Platz in Berlin ist der Sommer ausgebrochen. Echternach, 42, blaues Poloshirt, eine eckige Brille auf der Nase und einen Backfisch mit Kartoffelsalat vor sich, wirkt gelassen. „Nach allem, was ich hinter mir hab’, beeindruckt mich das auch nicht mehr.“
Und der Mann, der in Franken geboren und in Nördlingen aufgewachsen ist, hat eine Menge hinter sich. Da ist die zerplatzte Jugendliebe zu dem Mädchen, das er schon in der Schule kennenlernte, das wie er im Ries aufgewachsen ist. Irgendwann heirateten die beiden, zogen in die Nähe von Berlin. Doch dann kam das erste Kind, Karl, dann die Streitereien, dann das zweite Kind, Johann, und noch mehr Probleme in der Ehe. „Und irgendwann drohte mir meine Frau: ‚Wenn du dich scheiden lässt, wirst du die Kinder nie wiedersehen.‘“
Im Herbst 2014 hat sich Björn Echternach trotzdem von ihr getrennt. Und sich nicht im Traum ausgemalt, dass die Japanerin Ernst macht. Seit einem Frühlingstag vor drei Jahren muss Echternach nun ohne seine zwei Söhne Karl und Johann leben. Seine Ex-Frau hat sich mit den Buben, mittlerweile fünf und sechs Jahre alt, in ihre Heimat abgesetzt. Sie hat die Kinder entführt. Was folgte, war ein mehrjähriger Rechtsstreit. Die Mutter forderte das alleinige Sorgerecht, der Vater suchte eine paritätische Lösung. In Deutschland bekam Björn Echternach in allen Verfahren recht. Und selbst in Japan entschied ein Gericht im Rahmen des Haager Kindesentführungsübereinkommens, dass die Kinder zu ihrem vorigen Wohnort rücküberführt werden müssen.
„Meine Ex hatte sich verpokert“, sagt Echternach, legt das Besteck ab und setzt sein eigenes Pokerface auf. „Sie hat mir unterstellt, ich hätte meine Kinder misshandelt. Das war dreist.“Gutachter und Gerichte aber wiesen die Vorwürfe zurück. „Dann stand sie ziemlich doof da.“Auf eine Anfrage reagiert die Anwältin von Echternachs ExFrau nicht. Die betreffenden Gutachten liegen unserer Redaktion vor. Darin wird Echternachs ExFrau als „bindungsintolerante Person“beschrieben, die zu ihrem Vorteil falsche Anschuldigungen gemacht hat.
Dass Björn Echternach den Fall gewann, hatte aber nicht nur mit den unglaubwürdigen Behauptungen zu tun, welche die Mutter seiner Kinder aufgestellt hatte. Seine Ex-Frau trieb es, so schien es, auch mit der deutschen Justiz zu weit. Als ihr offenbar dämmerte, dass sie das alleinige Sorgerecht nicht bekommen würde, machte sie ihre Drohung wahr: Noch während des Verfahrens setzte sie sich mit den Söhnen nach Japan ab. Damit ignorierte sie ein Urteil des Amtsgerichts Nauen in Brandenburg, wo das Paar bis zu seiner Trennung mit seinen Kindern gelebt hatte. Dieses hatte im September 2017 befunden, dass dem Vater das alleinige Sorgerecht übertragen wird. Mit diesem Beschluss im Rücken verlangte dann auch die japanische Justiz 2018: Karl und Johann Echternach müssten zurück nach Deutschland gebracht werden. Hier sollte die
Akte geschlossen sein. Eigentlich. Doch die Realität ist eine andere. „Ich hab’ meine Kinder noch immer nicht wiedergesehen.“Als er das sagt, ist das Pokerface verschwunden, die Sonne scheint ihn nicht mehr zu kitzeln, eher zu ärgern. „Ich weiß nicht mal, ob Karl und Johann noch leben. Karl müsste diesen Frühling eingeschult worden sein. Aber ich weiß nicht, ob er in Japan zur Schule geht.“
Echternachs Problem war in den letzten Jahren nicht nur die Justiz. Es waren die, die den Auftrag haben, diese Urteile umzusetzen – die Behörden und die Polizei. „In Japan ist seit dem Urteil genau nichts passiert. Die Polizei sucht die Kinder gar nicht. Sie sagt, sie hat keine
Ahnung, also könnte sie auch nichts tun.“
Will Japan partout die Interessen seiner Staatsbürger schützen, selbst wenn diese Kinder entführen? Dieser Verdacht wird mittlerweile vielerorts gehegt. Weltweit sind mehr als 100 Fälle von Kindesentführungen nach Japan anhängig, die nicht geklärt werden konnten.
Die Regierungen Italiens, Frankreichs und Deutschlands, wo es jeweils mehrere Fälle zu beklagen gibt, haben das Thema wiederholt gegenüber japanischen Vertretern angesprochen. Auch die Europäische Union hat sich des Themas angenommen. Resultate gibt es bisher keine.
Kizuna, eine Vereinigung von Eltern, die sich für Kinderrechte einsetzt, glaubt, einen Grund für die Untätigkeit japanischer Behörden zu kennen. In einem Café in der Innenstadt Tokios lehnt sich Andrew Gomez, ein schnauzbärtiger Mann im Anzug, an einen Stehtisch. „In Japan kommt es häufiger vor als in anderen Ländern, dass nach der Trennung der Vater seine Kinder nicht oder kaum mehr zu Gesicht bekommt. Das ist ein Riesenproblem hier“, sagt der Gründer von Kizuna. Ein Problem traditioneller Geschlechterrollen, die den Mann in der Arbeit sehen und die Frau im Haushalt mit den Kindern. Aber es ist auch ein Problem der Resignation von Männern. Denn die wenigsten von ihnen ziehen in Japan vor Gericht. Schon, weil sich viele von ihnen keine Chancen ausrechnen.
Das Problem ist die Rechtspraxis, die Kindesentführungen in und nach Japan im Prinzip legalisiert. Denn japanische Gerichte entscheiden bei Sorgerechtsfragen meist nach dem Kontinuitätsprinzip, wonach jener Elternteil die tägliche Erziehung übernehmen sollte, zu dem das Kind die vermeintlich nähere Bindung hat. Das ist der Auslegung nach derjenige, der im Moment der Trennung mit dem Kind lebt. Also der, der sich mit ihm abgesetzt hat.
Wie groß das Problem sein müsste, macht Gomez mit einer Rechnung klar: „Wenn man den Mittelwert aus diversen Umfragen zwischen geschiedenen Eltern nimmt, die den Zugang zu ihren Kindern verloren haben“, sagt er und zählt mit den Fingern, „und diesen Wert mit den Scheidungsstatistiken in Japan kombiniert, dann müsste es allein in Japan über die letzten 20 Jahre 150 000 Kindesentwendungen pro Jahr gegeben haben.“Für Gomez ist die Sache so klar wie für andere Eltern, die ihre Kinder nicht mehr sehen können: „Würden Japans Behörden bei den internationalen Entführungsfällen nachgeben und ein Urteil wie das von Björn Echternach umsetzen, dann könnten sie auch die viel häufigeren Fälle im Inland nicht mehr ignorieren.“Also blieben die öffentlichen Stellen lieber untätig.
Auch deshalb ruhten bisher so große Hoffnungen auf dem Fall von Björn Echternach. Schließlich hatte zuvor kein Elternteil, dessen Kinder nach Japan entführt wurden, ein Rückführungsurteil auf Grundlage des Haager Abkommens erstritten. „Wir waren schon richtig weit gekommen“, sagt Echternach. „Auch das Auswärtige Amt hat sich für meine Söhne eingesetzt.“Er sagt das und schaut dabei auf die ausgedruckten Bilder von Karl und Johann auf dem Tisch. Die Kinder auf dem Spielplatz in Berlin, beim Streichelzoo, bei Opa. Dann stockt seine Stimme. „Aber jetzt ist die jahrelange Arbeit vielleicht zunichtegemacht.“
Während Echternach bisher seinen größten Gegner in japanischen Behörden sah, hat er nun auch mit der deutschen Justiz zu kämpfen. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Nauen, das ihm das alleinige Sorgerecht zusprach, hatte seine Ex-Frau Berufung eingelegt, über drei Jahre war das Verfahren dann beim Oberlandesgericht in Brandenburg an der Havel anhängig. Im April beschloss dort der vierte Senat für Familiensachen: Nun, da so viel Zeit vergangen sei, sollten die Kinder doch lieber in Japan bleiben, wo sie mittlerweile Wurzeln geschlagen hätten. Warum das Urteil so lange auf sich warten ließ, darauf gibt die Pressestelle des Gerichts keine deutliche Antwort. Das Sorgerecht ist damit jedenfalls auf die Mutter übergegangen.
„Das ist eine Frechheit“, sagt Echternach. Von seiner entspannten Stimmung ist nichts mehr zu spüren. Er wirkt verzweifelt. „Ich weiß nichts über das Leben von Karl und Johann. Und das liegt nicht an mir. Und jetzt soll auch noch ein deutsches Gericht allen Bemühungen einen Strich durch die Rechnung machen?“Zwar bleibt das Tokioter Urteil über die Rücküberführung der Kinder rechtskräftig. Doch indem ein deutsches Gericht diese für unnötig erklärt, hat der Druck auf die japanischen Behörden, geltendes internationales Recht auch durchzusetzen, deutlich nachgelassen.
Echternach und den anderen Eltern, die ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen und deshalb diesen Fall verfolgen, könnte immerhin dies ein Trost sein: Nicht nur haben die Verfahrensbeistände im deutschen Prozess eine Anhörungsrüge vorgelegt und das Jugendamt den Beschluss kritisiert. Auch Verfassungsexperten sind alarmiert. Wie Matthias Dombert, ehemaliger Verfassungsrichter und Juraprofessor an der Uni Potsdam. Er sagt: „Der Fall macht schon wegen der Schwere der Konsequenzen Kopfschmerzen.“Zudem habe das Oberlandesgericht durch die lange Dauer, die es für das Urteil gebraucht hat, die Tatsachen für seine Begründung erst selbst geschaffen. Dombert hat deshalb Verfassungsklage eingereicht. Der ehemalige Verfassungsrichter geht davon aus, dass er damit Erfolg hat und damit das Urteil aus Brandenburg rückgängig gemacht wird. Dann könnte ein neuer Prozess aufgelegt werden, der sich wieder Jahre hinziehen könnte.
Echternach sagt, er würde sogar noch weiter gehen, wenn es sein muss, zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Schließlich würden vor allem die Rechte seiner Söhne verletzt, Umgang mit all ihren Familienmitgliedern haben zu können. Und dies betreffe indirekt die Rechte aller Kinder.
Am Potsdamer Platz ist die Sonne verschwunden. Böen lassen die Sonnenschirme klappern, der Kellner muss weggewehten Aschenbechern hinterherrennen. Auch Björn Echternach braust auf. Aufgeben will er nicht. Über die letzten Jahre hat er sich mit anderen zurückgelassenen Eltern zusammengetan. Jetzt schmiedet er weitere Pläne. „Notfalls gründe ich noch eine weitere Hilfsorganisation, die dann Richtern auf die Finger schaut.“Das gut 20-seitige Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg hat er schon online veröffentlicht.