Härtere Strafen für Kindesmissbrauch sollen schnell kommen
Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause erwartet – Kinderschutzbund warnt Politik vor Reflexen und fordert mehr Hilfe für Opfer
- In der Diskussion um härtere Strafen bei Kindesmissbrauch macht die Große Koalition Tempo. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht „strebt an, einen Gesetzentwurf zu Strafverschärfungen bei Kindesmissbrauch und Kinderpornografie noch vor der Sommerpause vorzulegen“, erklärte ein Ministeriumssprecher am Dienstag auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Damit kommt die SPD-Politikerin, die sich zunächst gegen härtere Strafen ausgesprochen hatte, der Union weiter entgegen. Sowohl CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als auch Unionsfraktionsvize Thorsten Frei hatten zuvor auf einer Einbringung in den Bundestag vor der parlamentarischen Sommerpause bestanden. Die beginnt nach derzeitiger Planung nach Ende der Plenarwoche Anfang Juli. Ob das neue Gesetz dann noch vor der Sommerpause verabschiedet wird, ist aber offen.
Die Aufdeckung eines Missbrauchsskandals Anfang des Monats im nordrhein-westfälischen Münster hatte die Debatte um härtere Strafen ausgelöst. Nach Polizeiermittlungen hatten mehrere Männer über Jahre hinweg in einer Gartenlaube Kinder schwer missbraucht. Frei sieht noch einen weiteren aktuellen Anlass: In der Corona-Krise habe die Nachfrage nach Kinderpornografie in einigen EU-Ländern um 30 Prozent zugenommen. „Das heißt, wir sind in einer Notsituation“, erklärte Frei.
Auch die Innenminister der Länder fordern eine härtere Gangart. Vor der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz sagte der aktuelle Vorsitzende Georg Maier (SPD) aus Thüringen der Nachrichtenagentur dpa, dass bei den Strafen insbesondere bei der Kinderpornografie „nachgeschärft werden sollte“.
Maier fordert aber vor allem mehr externe fachliche Kompetenzen. Damit ist auch die Sichtung kinderpornografischen Materials gemeint. Denn die bei Pädophilen sichergestellten Datenmengen wachsen rasant. Die Auswertung ist nicht nur psychisch belastend, sondern kostet zudem viel Zeit. Maier will auch mehr Zusammenarbeit mit anderen
Ermittlern und den Schulen. Denn eines haben die von Staufen, Lügde oder Münster gemein: Es gab Hinweise.
Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) warnte die Bundesregierung davor, sich als Konsequenz aus den Missbrauchsfällen reflexhaft ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen zu konzentrieren. Mit der Forderung nach härteren Strafen dürfe sich niemand aus der Verantwortung stehlen. Es gebe „sehr viel mehr zu tun“, sagte DKSB-Präsident Heinz Hilgers am Dienstag in Berlin.
Der Verband fordert die Konzentration auf einen besseren Schutz der Kinder. Und das koste Geld, betonte Hilgers. So brauchten die Fachberatungsstellen eine auskömmliche Finanzierung. „Ich finde es skandalös, dass diese Fachleute einen Großteil ihrer Arbeitszeit dafür aufwenden müssen, um Spenden zu akquirieren“, schimpfte er. Zudem brauche es an jeder Schule mindestens eine Lehrkraft, die für Kinder in Not ansprechbar sei. Außerdem müsse auch die Gesellschaft dafür sensibilisiert werden, was Kindern zum Teil angetan werde, sagte DSKB-Vize Sabine Andresen.
Denn Münster und Staufen sind zwar spektakulär, doch sexueller Missbrauch von Kindern ist weit verbreitet: Die Kriminalstatistik zählte 2019 bundesweit knapp 16 000 Fälle – die Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches betragen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass statistisch in jeder deutschen Schulklasse mindestens ein Missbrauchsopfer sitzt. Der DSKB fordert auch eine kindergerechte Justiz, bei der Kinder via Video vernommen werden können. Solche Projekte gibt es unter anderem in Heidelberg.
Lambrecht will bei den minderschweren Taten nachschärfen. So könnte die „unsittliche Berührung“von Kindern vom Vergehen zum Verbrechen hochgestuft werden. Auch die Verbreitung von Kinderpornografie soll härter bestraft werden. Details sollen demnächst folgen.
Untätig war die GroKo übrigens nicht: Erst im Januar hatte die Regierung verdeckten Ermittlern erlaubt, sich mit künstlich erstellter Kinderpornografie in Pädophilenforen im Internet einzuschleusen. Experten erwarten sich dadurch Erfolge – und erneut große Mengen kinderpornografisches Material zur Auswertung.