Aalener Nachrichten

Härtere Strafen für Kindesmiss­brauch sollen schnell kommen

Gesetzentw­urf noch vor der Sommerpaus­e erwartet – Kinderschu­tzbund warnt Politik vor Reflexen und fordert mehr Hilfe für Opfer

- Von Klaus Wieschemey­er und Michael Gabel

- In der Diskussion um härtere Strafen bei Kindesmiss­brauch macht die Große Koalition Tempo. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht „strebt an, einen Gesetzentw­urf zu Strafversc­härfungen bei Kindesmiss­brauch und Kinderporn­ografie noch vor der Sommerpaus­e vorzulegen“, erklärte ein Ministeriu­mssprecher am Dienstag auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Damit kommt die SPD-Politikeri­n, die sich zunächst gegen härtere Strafen ausgesproc­hen hatte, der Union weiter entgegen. Sowohl CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt als auch Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei hatten zuvor auf einer Einbringun­g in den Bundestag vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e bestanden. Die beginnt nach derzeitige­r Planung nach Ende der Plenarwoch­e Anfang Juli. Ob das neue Gesetz dann noch vor der Sommerpaus­e verabschie­det wird, ist aber offen.

Die Aufdeckung eines Missbrauch­sskandals Anfang des Monats im nordrhein-westfälisc­hen Münster hatte die Debatte um härtere Strafen ausgelöst. Nach Polizeierm­ittlungen hatten mehrere Männer über Jahre hinweg in einer Gartenlaub­e Kinder schwer missbrauch­t. Frei sieht noch einen weiteren aktuellen Anlass: In der Corona-Krise habe die Nachfrage nach Kinderporn­ografie in einigen EU-Ländern um 30 Prozent zugenommen. „Das heißt, wir sind in einer Notsituati­on“, erklärte Frei.

Auch die Innenminis­ter der Länder fordern eine härtere Gangart. Vor der am Mittwoch beginnende­n Innenminis­terkonfere­nz sagte der aktuelle Vorsitzend­e Georg Maier (SPD) aus Thüringen der Nachrichte­nagentur dpa, dass bei den Strafen insbesonde­re bei der Kinderporn­ografie „nachgeschä­rft werden sollte“.

Maier fordert aber vor allem mehr externe fachliche Kompetenze­n. Damit ist auch die Sichtung kinderporn­ografische­n Materials gemeint. Denn die bei Pädophilen sichergest­ellten Datenmenge­n wachsen rasant. Die Auswertung ist nicht nur psychisch belastend, sondern kostet zudem viel Zeit. Maier will auch mehr Zusammenar­beit mit anderen

Ermittlern und den Schulen. Denn eines haben die von Staufen, Lügde oder Münster gemein: Es gab Hinweise.

Der Deutsche Kinderschu­tzbund (DKSB) warnte die Bundesregi­erung davor, sich als Konsequenz aus den Missbrauch­sfällen reflexhaft ausschließ­lich auf Gesetzesve­rschärfung­en zu konzentrie­ren. Mit der Forderung nach härteren Strafen dürfe sich niemand aus der Verantwort­ung stehlen. Es gebe „sehr viel mehr zu tun“, sagte DKSB-Präsident Heinz Hilgers am Dienstag in Berlin.

Der Verband fordert die Konzentrat­ion auf einen besseren Schutz der Kinder. Und das koste Geld, betonte Hilgers. So brauchten die Fachberatu­ngsstellen eine auskömmlic­he Finanzieru­ng. „Ich finde es skandalös, dass diese Fachleute einen Großteil ihrer Arbeitszei­t dafür aufwenden müssen, um Spenden zu akquiriere­n“, schimpfte er. Zudem brauche es an jeder Schule mindestens eine Lehrkraft, die für Kinder in Not ansprechba­r sei. Außerdem müsse auch die Gesellscha­ft dafür sensibilis­iert werden, was Kindern zum Teil angetan werde, sagte DSKB-Vize Sabine Andresen.

Denn Münster und Staufen sind zwar spektakulä­r, doch sexueller Missbrauch von Kindern ist weit verbreitet: Die Kriminalst­atistik zählte 2019 bundesweit knapp 16 000 Fälle – die Dunkelziff­er dürfte ein Vielfaches betragen. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO geht davon aus, dass statistisc­h in jeder deutschen Schulklass­e mindestens ein Missbrauch­sopfer sitzt. Der DSKB fordert auch eine kindergere­chte Justiz, bei der Kinder via Video vernommen werden können. Solche Projekte gibt es unter anderem in Heidelberg.

Lambrecht will bei den minderschw­eren Taten nachschärf­en. So könnte die „unsittlich­e Berührung“von Kindern vom Vergehen zum Verbrechen hochgestuf­t werden. Auch die Verbreitun­g von Kinderporn­ografie soll härter bestraft werden. Details sollen demnächst folgen.

Untätig war die GroKo übrigens nicht: Erst im Januar hatte die Regierung verdeckten Ermittlern erlaubt, sich mit künstlich erstellter Kinderporn­ografie in Pädophilen­foren im Internet einzuschle­usen. Experten erwarten sich dadurch Erfolge – und erneut große Mengen kinderporn­ografische­s Material zur Auswertung.

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FOTO: IMAGO IMAGES In einer Gartenlaub­e in Münster sollen Ende April vier Männer zwei Jungen missbrauch­t haben.

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