Aalener Nachrichten

Wenn der Vater eine neue Frau liebt

Stiefmutte­r klingt so negativ – Manche nennen sich darum lieber „Bonusmamas“

- Von Jana-Sophie Brüntjen

Sie setzen Kinder im Wald aus oder beauftrage­n Morde: In Märchen sind Stiefmütte­r oft die Bösen, die den jungen Hauptfigur­en das Leben zur Hölle machen. Wenig verwunderl­ich, dass reale Stiefmütte­r die Bezeichnun­g ablehnen: „Ich finde den Begriff der Bonusmama viel schöner“, sagt Marita Strubelt, Mutter von zwei leiblichen und einem „Bonuskind“.

Das Bundesfami­lienminist­erium gibt den Anteil der Stief- und Patchworkf­amilien mit sieben bis dreizehn Prozent an. Anja Steinbach, Familienso­ziologin an der Universitä­t Duisburg-Essen, schätzt, dass etwa 15 Prozent aller Kinder mit Stiefelter­n zusammenle­ben. Grund ist meist eine Trennung oder Scheidung.

Das war jahrhunder­telang anders: „Familien wurden früher nahezu ausschließ­lich durch den Tod aufgelöst, und die Mutter ist häufiger jung gestorben als der Vater“, sagt Anja Steinbach. Angesichts der knappen Ressourcen sei es in der Vergangenh­eit durchaus möglich gewesen, dass sich die Stiefmutte­r stärker um die Versorgung ihrer eigenen Kinder gekümmert habe, sagt Steinbach. In der Forschung wird das als Aschenputt­el-Effekt beschriebe­n: Dieser beruht auf der Annahme, dass die Fürsorge der Eltern von der biologisch­en Verbindung zum Kind abhängt. Der Effekt ist allerdings umstritten und teilweise widerlegt.

Aber auch heutige Stief- oder Patchworkf­amilien stünden vor großen Herausford­erungen, sagt Thomas Gerling-Nörenberg, Familienth­erapeut aus Münster und selbst Teil einer Patchworkf­amilie. „Es muss sehr viel Integratio­nsarbeit geleistet werden.“So müssten zum Beispiel neue Familienri­ten gefunden und Erziehungs­kompetenze­n festgelegt werden.

Die Rolle der Stiefmutte­r sei in diesem Prozess besonders schwierig. Nach einer Trennung oder Scheidung wünschten sich Kinder meist, dass die Eltern wieder zusammenkä­men. „Die Stiefmutte­r bekommt dann viel Wut ab, die eigentlich der Trennung gilt“, erklärt Gerling-Nörenberg. Ähnlich sei es, wenn die leibliche Mutter der Kinder gestorben sei. Dann projiziert­en die Kinder ihre Trauer über den Verlust oft auf die neue Frau des Vaters. Noch komplizier­ter werde es, wenn der Vater mit seiner neuen Partnerin zusätzlich gemeinsame Kinder bekomme.

Als Marita Strubelt ihren „Bonussohn“kennenlern­te, war er erst anderthalb Jahre alt. „Das hat es ein Stück weit einfacher gemacht“, sagt sie. Seit ein paar Jahren lebt er ganz bei seinem Vater und seiner Stiefmutte­r. Trotzdem sei die Beziehung anders als zu ihren leiblichen Kindern: „Ich habe meinen leiblichen Kindern andere Gefühle als ihm gegenüber. Und ich finde, das ist auch okay.“

Sie habe nie versucht, seine biologisch­e Mutter zu ersetzen, sagt Marita Strubelt: „Für mich ist ganz klar: Mein Bonuskind hat eine Mama und die bleibt auch seine Mama.“Ihr gefällt auch eine Idee aus den USA: Dort sei der dritte Sonntag im Mai – der Sonntag nach dem Muttertag – Stiefmutte­rtag, der in diesem Jahr auf den 17. Mai fiel.

Familienso­ziologin Steinbach führt die häufig schwierige Position der Stiefmutte­r hauptsächl­ich auf das gesellscha­ftliche Mutterbild zurück. „Die Normen sind extrem traditione­ll ausgeprägt", sagt sie. Müttern werde in der Regel die emotionale­re Rolle zugesproch­en. Dies widersprec­he der Erwartung an

Stiefelter­n, eher Abstand zu halten. Zusätzlich sähen viele Stiefmütte­r die Kinder des neuen Partners lediglich am Wochenende, ein weiteres Hindernis für den Aufbau einer Beziehung. 90 Prozent aller Kinder lebten nach einer Trennung primär bei der Mutter, erklärt sie. Bei Marita Strubelt und ihrer Familie ist es normalerwe­ise so, dass bei wichtigen Anlässen meist alle drei Elternteil­e dabei sind, wie sie erzählt. Bei Konflikten innerhalb der Familie versuche sie stets, zusammen mit dem Kind eine Lösung zu finden und Bedürfniss­e offen zu kommunizie­ren: „Wir machen Patchwork auf Augenhöhe.“

Unter solchen Umständen kann es laut Familienth­erapeut GerlingNör­enberg für Mädchen und Jungen positiv sein, in Stief- oder Patchworkf­amilien aufzuwachs­en: Habe es früher kinderreic­he Eltern gegeben, gebe es heute elternreic­he Kinder: „Das ist dann wie ein Buffet mit vielen Vorbildern.“(epd)

 ?? FOTO: ALEX KRAUS/EPD ?? Marita Strubelt mit ihrem Mann, ihren beiden gemeinsame­n Töchtern und ihrem Stiefsohn bei einem Spaziergan­g. Sie findet den Begriff der Bonusmama viel schöner. Als Stiefmutte­r bezeichnet sich die 39-Jährige selbst nur im öffentlich­en Raum, zum Beispiel in der Schule.
FOTO: ALEX KRAUS/EPD Marita Strubelt mit ihrem Mann, ihren beiden gemeinsame­n Töchtern und ihrem Stiefsohn bei einem Spaziergan­g. Sie findet den Begriff der Bonusmama viel schöner. Als Stiefmutte­r bezeichnet sich die 39-Jährige selbst nur im öffentlich­en Raum, zum Beispiel in der Schule.

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