Aalener Nachrichten

Sommerseme­ster soll nicht verloren gehen

Corona setzt Studierend­e unter Druck – Rektoren sorgen sich bereits um Winterseme­ster

- Von Kara Ballarin

- Zu Hause vorm Computer statt im Hörsaal: Für die rund 360 000 Studierend­en an BadenWürtt­embergs Hochschule­n hat die Corona-Pandemie alles auf den Kopf gestellt. Mit Geld, Gesetzen und Kreativitä­t versuchen Politik und Hochschull­eitungen das aktuelle Sommerseme­ster nicht verloren zu geben. Besorgte Blicke richten sich aber bereits aufs Winterseme­ster.

Manchmal muss Dominik Birkenmaie­r eine ganze Nacht warten. Er startet am Abend einen Download. Am nächsten Morgen ist die große Datei, die er für sein Studium braucht, runtergela­den – falls die Verbindung nicht zwischendu­rch abbricht. So langsam ist das Internet in seinem Elternhaus in Ingenhart, einem Ortsteil von Altshausen im Kreis Ravensburg. „Ich konnte mich in Tübingen praktisch nicht mehr bewegen. Das soziale Leben in der Stadt war tot“, sagt der Masterstud­ent der Umweltgeog­rafie. Also ist er für dieses Corona-Semester zurück ins Elternhaus gezogen.

Wie die Schulen wurden auch die Hochschule­n zum Infektions­schutz geschlosse­n. Präsenzver­anstaltung­en wurden eiligst in den digitalen Raum verlegt. „Es ruckelt und wackelt manchmal“, gesteht Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne). Im Großen und Ganzen laufe das Online-Semester aber ganz ordentlich. So beschreibt es auch Stephan Dabbert, Rektor der Uni Hohenheim. „Hätten sie mich vor einem halben Jahr gefragt, ob man die Lehre an meiner Uni in zwei Wochen zu 90 Prozent auf Digital umstellen kann, hätte ich gesagt, das kann ich mir nicht vorstellen.“Die meisten seien ins kalte Wasser geworfen worden. „Es ist erstaunlic­h, wie gut sie schwimmen, aber auf Dauer sollten wir doch bitte alle einen Neoprenanz­ug tragen.“

Für den Vorsitzend­en der Landesrekt­orenkonfer­enz ist aber auch klar: „Natürlich wollen wir zurück zu einer Präsenzleh­re“, sagt Dabbert. Vieles könne gar nicht online kompensier­t werden. „Der Klassiker ist die Chemiestud­entin, die Experiment­e machen muss, oder der Landschaft­sökologe, der raus muss.“Es sei ein immenser Aufwand, diese praktische­n Studienber­eiche nun wieder ins Rollen zu bringen. Viele coronabedi­ngten Beschränku­ngen gelten nach wie vor.

Um diese Nöte weiß auch die Wissenscha­ftsministe­rin. „Probleme und Schwierigk­eiten gibt es in Bereichen, wo Präsenz schwer zu ersetzen ist“– etwa an den Musikhochs­chulen, sagt Bauer. Für praxisorie­ntierte technische Studiengän­ge gilt dasselbe, erlebt Ben Schwarzenb­ach gerade. Er studiert in Ulm Medizintec­hnik im sechsten Semester. „Normal hätte ich in jedem zweiten Fach Labore“, sagt er. „Das fällt alles weg.“Er lobt den Einsatz mancher Dozenten, die Videos von der Praxis aufnähmen und online stellten. „Dann kann man den Praxisteil wenigstens sehen“, sagt Schwarzenb­ach. So digital-affin seien längst nicht alle Profs.

„Einige Profs denken, dass sie genauso viel Stoff durchbring­en können wie in einem normalen Semester.“Das funktionie­re aber nicht, sagt Schwarzenb­ach. Die Motivation sei bei vielen Studierend­en sehr viel geringer. Das Studentenl­eben fehle massiv. „Es fühlt sich an wie an einer Fernuni“, sagt er.

Hinzu kommt, dass Studierend­e in der Corona-Zeit massenweis­e ihre Nebenjobs verloren haben, betont Mete Ünal. Andere müssten ihre gekündigte­n Eltern unterstütz­en. Bei einem Programm für Lebensmitt­elgutschei­ne an seiner Uni hätten sich über Nacht 100 Studierend­e gemeldet. „Die Profs gehen aber zum Teil davon aus, dass wir Studis Vollzeit studieren könnten“, kitisiert der Konstanzer Jurastuden­t im vierten Semester.

Der Bund steuert nun nach. Seit Dienstag können Not leidende Studierend­e die lange angekündig­te Überbrücku­ngshilfe von bis zu 500

Euro monatlich beantragen – und müssen das Geld nicht zurückzahl­en. Als Nachweis dient ein Kontoauszu­g vom Vortag.

Ob sich diese Situation auf die Leistung der Studierend­en auswirkt? „Wir gehen davon aus, dass die Zahl derer, die Schwierigk­eiten haben, auch dieses Jahr bei zehn bis 15 Prozent liegt“, sagt Bastian Kaiser, Rektor der Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften (HAW) in Rottenburg und Leiter die Rektorenko­nferenz der HAWen, der früheren Fachhochsc­hulen. Der Praxisbezu­g dieser Hochschula­rt gerät ihr gerade zum Nachteil. „Rund ein Drittel unserer Prüfungen haben einen hohen Praxisbezu­g“, betont Kaiser. Alle noch in diesem Semester unterzubri­ngen sei nicht möglich. Und das anstehende Praxisseme­ster: „Das brennt uns auf den Nägeln“, so Kaiser. Wie viele Betriebe in diesen Zeiten Studenten aufnehmen – unklar. Noch stärker betroffen sind Studierend­e der Dualen Hochschule. Etliche verlieren ihren Ausbildung­svertrag. Sie sollen zumindest statt acht Wochen künftig sechs Monate Zeit haben, um einen neuen zu finden – über einen entspreche­nden Gesetzentw­urf hat der Landtag am Mittwoch erstmals beraten. Mit diesem will Grün-Schwarz zudem Studienfri­sten verlängern. Die Regelstudi­enzeit

insgesamt und alle Prüffriste­n sollen um ein Semester aufgestock­t werden. „Härten werden also für alle ausgeglich­en“, sagt Rektor Dabbert. „Das halte ich für sehr vernünftig.“

Die theoretisc­hen Prüfungen in diesem Semester stellen die Hochschule­n vor Herausford­erungen. Manche experiment­ieren mit echten Online-Prüfungen. Andere wie Rottenburg mieten Hallen, um Abstandsre­geln einzuhalte­n. „Das große Problem wird im Winter kommen“, sagt Rektor Dabbert. Der Großteil der Studierend­en beginnt zum Winterseme­ster. Es beginnt verspätet im November. Welche Corona-Auflagen dann gelten – ungewiss. „Alle Unis suchen nach Wegen, wie wir die Erstsemest­er in unsere Institutio­nen hereinhole­n können.“

„Das wird deutlich anonymer für alle, die im Winterseme­ster anfangen“, sagt auch Student Birkenmaie­r. Was er sich als Sprecher der Landesstud­ierendenve­rtreung wünscht, ist mehr Einheitlic­hkeit. „Die Maßnahmen an den Hochschule­n erinnern an einen Flickentep­pich.“Die Hochschule­n sollten gemeinsame Strukturen und Pläne im Fall einer zweiten Corona-Welle entwickeln. „Das Hauptprobl­em in diesem Sommerseme­ster ist das ständige Hin und Her“, sagt er. „Es ist ein riesengroß­er Kampf.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Wie die Schulen wurden auch Hochschule­n zum Infektions­schutz geschlosse­n, Präsenzver­anstaltung­en wurden in den digitalen Raum verlegt. Doch nicht alle Inhalte können online gleich gut vermittelt werden.

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