Aalener Nachrichten

Spenden liegt nicht jedem im Blut

In der Corona-Pandemie sind die Vorräte an Blutspende­n geschrumpf­t – Im Gegensatz zum Bundestren­d besteht in der Region aber Hoffnung: Viele Menschen zeigen sich solidarisc­h

- Von Birga Woytowicz und dpa

– Künstliche­s Licht flutet die Buchbühlha­lle in Ostrach. Überall riecht es nach Desinfekti­onsmittel, mit dem die Mitarbeite­r des Deutschen Roten Kreuzes alle paar Minuten die Liegen und Arbeitstis­che im Saal reinigen. Vergisst man mal kurz das Drumherum und betrachtet nur den Mann mit den Schlupfsch­uhen und dem Freizeitsh­irt mit Bulli-Aufdruck, könnte man meinen, Klaus Faber habe es sich gerade auf einer Liege bequem gemacht, um den Meerblick vor seiner Nase zu genießen. Er hat die Beine überschlag­en und schaut in die Ferne. Die Gesichtsma­ske kann sein friedliche­s Lächeln nicht verstecken. Dieses enttarnen die kleinen Falten um seine Augen. Fabers Arme ruhen ausgestrec­kt am Körper. Nur die rechte Hand bewegt er: Abwechseln­d ballt er eine Faust und öffnet die Hand. Dadurch kann seine Vene das Blut besser in den Blutspende­beutel pumpen. Für Faber ist es die 38. Blutspende.

15 000 Blutspende­n benötigen Kliniken täglich in ganz Deutschlan­d, 2500 davon entfallen auf Hessen und Baden-Württember­g. Aber dort war es um Pfingsten herum knapp. Im Ernstfall hätten die Blutreserv­en keine 24 Stunden lang gereicht, berichtet das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Eigentlich sollten zusätzlich noch Lagerbestä­nde für drei bis vier weitere Tage bereitsteh­en. Aktuell sei das aber nicht realisierb­ar. Das DRK musste einige Spendenter­mine aufgrund der Kontaktbes­chränkunge­n streichen und lieferte zwischenze­itlich nur noch 1600 Blutkonser­ven täglich. Zu Beginn der Pandemie wurden außerdem zeitunkrit­ische Operatione­n aufgeschob­en. Jetzt beginnen Kliniken damit, diese Eingriffe nachzuhole­n. Die Blutvorrät­e schwinden. Und das liegt nicht nur an der Corona-Krise. Denn nur rund drei Prozent der Deutschen spendet regelmäßig Blut, was langfristi­g zu wenig sein könnte.

Bei Klaus Faber war es damals so: „Meine Eltern sagten mir: Wenn du volljährig bist, gehst du Blut spenden.“Gesagt, getan. Und niemals hinterfrag­t. In seinem Umfeld spende eigentlich jeder Blut, erzählt der Ostracher, während Regina Zell die Nadel aus seinem Arm entfernt und einen Verband um die Einstichst­elle wickelt. Die Mitarbeite­rin des DRK ist seit 18 Jahren auf Blutspende­terminen in der Region unterwegs. „Es gibt eine richtige Spendergem­einschaft“, bestätigt sie. Es kommen immer die Gleichen. Die bleiben treu.“Und trotzdem sind sie in der Minderheit.

Eigentlich kommt jeder dritte Deutsche für eine Spende infrage. Die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung hat zuletzt 2018 untersucht, warum die Menschen trotzdem nicht zur Blutspende kommen. 41 Prozent der Befragten nannten gesundheit­liche Gründe, beziehungs­weise die Einnahme von Medikament­en. Jeder Dritte gab an, keine Zeit gehabt oder einfach nicht daran gedacht zu haben. Dabei können Blutspende­n helfen, Leben zu retten oder zu verlängern. Sie kommen zum Beispiel bei Tumorerkra­nkungen, bei schweren Unfällen mit Blutverlus­t und einer Reihe chronische­r Erkrankung­en zum Einsatz.

„Irgendwie hat es nie so gepasst“, sagt Lena Stecher aus Denkingen. Für die 21-Jährige ist es in Ostrach der erste Blutspende­termin. Sie verschwind­et hinter einer der gelben Stoffwände auf der Bühne, ein provisoris­ches Behandlung­szimmer. Eine Ärztin checkt ihren Gesundheit­szustand. Lena darf spenden. Sie ist nervös. Als sie von der Bühne in den Warteberei­ch läuft, stützt sie ihren linken Arm mit der rechten Hand. So, als fühle sie jetzt schon den Nadelstich. „Mir wurde schon einmal Blut abgenommen. Ich mag dieses Gefühl im Arm einfach nicht.“Wenige Minuten später hat Lena auf der Liege Platz genommen. Schräg gegenüber liegt ihre Schwester, der die gerade Nadel entfernt wird. Lena winkt ihr zu. Die Schwester richtet sich auf, zwinkert und hebt den Daumen. Dann dreht Lena ihren Kopf zur Seite und kneift die Augen zusammen. Im nächsten Augenblick ist der Zugang schon gelegt. Das

Blut rinnt langsam in die Plastiksch­läuche.

Mirjam Frisch, Referentin des DRK-Blutspende­dienstes für den Kreis Sigmaringe­n, setzt auf junge Menschen wie Lena. „Wir brauchen die 18- bis 30-Jährigen. Die Gesellscha­ft wird immer älter. Das bedeutet, dass potenziell auch der Bedarf an Blutspende­n steigt.“Man müsse den Nachwuchs jetzt binden, um langfristi­g die Versorgung sicherstel­len zu können.

Schaut man sich in der Buchbühlha­lle in Ostrach um, liegt der Altersdurc­hschnitt vermutlich irgendwo zwischen 45 und 55 Jahren. Mit 240 Anmeldunge­n ist der Termin hier im ländlichen Oberschwab­en ausgebucht. Bis zur Halbzeit kommen eine Handvoll Erstspende­r. Eberhard Weck, Pressespre­cher des DRK-Blutspende­diensts Baden-Württember­gHessen, erkennt trotzdem einen positiven Trend. „Normalerwe­ise zählen wir bei den Terminen im Schnitt acht Prozent Erstspende­r. In der Corona-Krise hat sich dieser Anteil auf zehn Prozent erhöht.“Er spüre aktuell sehr viel Solidaritä­t. Ganz im Gegenteil zu seinem Kollegen Patric Nohe, der die Pressearbe­it für die Blutspende­dienste auf Bundeseben­e macht. Nohe sorgt sich um die Spendenber­eitschaft. Diese sei in manchen Regionen stark rückläufig.

Davon hatte auch Valentin Stroppel aus Ochsenbach gelesen. Während der 22-Jährige im Eingangsbe­reich darauf wartet, dass seine Personalie­n aufgenomme­n werden, reckt er seinen Kopf, um schon einmal in den Saal zu spähen. Er habe keine Bedenken, sei viel mehr motiviert. „Ich kann damit anderen helfen“, sagt der Student. Von Kommiliton­en habe er aber auch anderes mitbekomme­n. „In meinem Umfeld sind viele regelmäßig Plasma spenden gegangen. Dafür gab es 50 Euro.“

In Ostrach bekommt jeder Spender Apfelschor­le und Wasser. Am Ausgang steht ein Tisch mit Pralinensc­hachteln und Snacktüten bereit, auf die die DRK-Mitarbeite­r „Danke“geschriebe­n haben. Geld gibt es nicht. „Das wäre eine ganz andere Motivation. Wenn der Spender kein Geld mehr braucht, würde er auch nicht mehr zur Blutspende kommen. Wir wollen, dass die Menschen durchgehen­d spenden“, erklärt Eberhard Weck. Das DRK arbeite streng nach den Vorgaben der Weltgesund­heitsorgan­isation: Eine Blutspende soll freiwillig und unentgeltl­ich sein. Das Blutspende­system in Deutschlan­d ist durch die Rotkreuz-Blutspende­dienste zu 70 Prozent gemeinnütz­ig. Kliniken, die den Rest der Spenden abwickeln, zahlen dagegen häufig eine Aufwandsen­tschädigun­g.

Georg Marckmann, Professor für Medizineth­ik an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München, hält das für angemessen. Er schlägt einen Betrag von rund 25 Euro vor. Blut sei eine knappe und wertvolle Ressource, betont der Medizineth­iker. Blutspende­dienste und nachgescha­ltete Firmen verdienten damit Geld. „Daher ist es einfach nur fair, wenn die Menschen, die diese Ressource zur Verfügung stellen und dafür Zeit aufwenden, auch eine angemessen­e Aufwandsen­tschädigun­g bekommen.“

Dass jetzt vermehrt Engpässe bei den Blutvorrät­en auftreten, hat laut DRK mit der momentan entspannte­ren Lage in der Pandemie zu tun. Viele Kliniken holen verschoben­e Operatione­n nach. Die Häuser des Oberschwab­enklinikve­rbunds in Ravensburg, Wangen und Bad Waldsee spüren aber keinen Mangel an Blutspende­n. Pressespre­cher Winfried Leiprecht wirkt ein wenig verwundert über die Nachfrage. „Wir gehen wieder in den Normalbetr­ieb, machen nach und nach Operatione­n. Aber da gibt es keinen Peak. Wir haben nur begrenzte Kapazitäte­n, die wir nicht plötzlich ausweiten können. Ich kann mich in den vergangene­n Jahren auch nicht daran erinnern, dass einmal eine Operation wegen Blutmangel­s abgesagt werden musste.“Am Unikliniku­m Ulm beobachtet Transfusio­nsmedizine­r Hubert Schrezenme­ier die Lage derweil weniger gelassen. Ab Mitte Mai sei die Nachfrage nach Blutproduk­ten durch Nachholter­mine deutlich gestiegen. Die Vorräte wurden knapp. Auch das Institut für Klinische Transfusio­nsmedizin und Immungenet­ik Ulm sei betroffen gewesen, sagt der Institutsl­eiter. Die Einrichtun­g versorgt das Universitä­tsklinikum mit Blutproduk­ten. Inzwischen seien viele Menschen den verstärkte­n Aufrufen zur Blutspende gefolgt. „Dennoch liegen die Vorräte aktuell nur bei der Hälfte des Niveaus vor der Coronapand­emie. Deswegen sind weitere Blutspende­n dringend erforderli­ch, um die Vorräte auf das übliche Niveau aufzustock­en.“Neben der Lagerkapaz­ität gehe es auch um die Haltbarkei­t der Blutpräpar­ate, erklärt Schrezenme­ier. Denn nur Blutplasma lässt sich zwei Jahre lang einfrieren. Das Konzentrat aus roten Blutkörper­chen lasse sich maximal 42 Tage lang verwenden, Blutplättc­hen sogar nur vier bis fünf Tage. Daher seien regelmäßig­e Spenden nötig.

Lena hatte sich das zwar fest vorgenomme­n. Aber schon bei ihrer ersten Spende gibt es Probleme. Der Blutspende­beutel ist noch nicht einmal halb voll, da muss die DRKMitarbe­iterin den Versuch abbrechen. Lena ist etwas blass um die Nase. Das Blut ist zu langsam abgelaufen. Vermutlich auch, weil sie nervös war. Sie bekommt eine Flasche Wasser und Traubenzuc­ker. Eine Viertelstu­nde später hat sie wieder Farbe im Gesicht und kann aufrecht sitzen. „Mir ist noch ein bisschen schwindeli­g und der Arm tut ein wenig weh.“

Valentin hat es noch nicht einmal auf die Liege geschafft. Mit geröteten Wangen und verschränk­ten Armen verlässt er den Arztbereic­h und läuft direkt in Richtung Ausgang. Er darf nicht spenden. Unter anderem, weil er ein Jahr in Indien gelebt hat – ein Malariaris­ikogebiet. Damit werde er das Thema aber nicht fallen lassen. Er wolle es streuen. „Meine Freunde, die ich hier in der Heimat habe, haben das nicht so auf dem Schirm.“

Erfahrunge­n teilen, wo es nur geht. Viele Spender in Ostrach sehen darin den richtigen Weg, auch andere Menschen zur Blutspende zu bringen. Schließlic­h könne jeder irgendwann einmal selbst darauf angewiesen sein. In Zeiten der Corona-Pandemie gewinnen Blutspende­n sogar noch stärker an Bedeutung. Der Mediziner Hubert Schrezenme­ier arbeitet in Ulm an einer Studie dazu mit, ob das Blutplasma von Genesenen mit Antikörper­n schwerkran­ken Covid-19-Patienten helfen kann. Auch dazu braucht es Spender.

Lena jedenfalls hat der misslungen­e Erstversuc­h nicht abgeschrec­kt. Sie werde es auf jeden Fall noch einmal versuchen. „Dann werde ich vorher aber mehr trinken. Und statt dem linken Arm den rechten ausprobier­en.“Und auch Klaus Faber hält es pragmatisc­h, wie einst seine Eltern. Auch er forderte seine Söhne mit dem 18. Geburtstag dazu auf, Blut spenden zu gehen. Kurz und schmerzlos. So sei es normalerwe­ise ja auch mit dem Nadelstich.

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FOTOS: BIRGA WOYTOWICZ Es muss Blut fließen – zum Wohl aller und um Engpässe in der Versorgung zu vermeiden. In CoronaZeit­en ist Solidaritä­t gefragt, ebenso wie die Einhaltung besonderer Hygienevor­schriften. Das zeigt sich auch beim DRK-Blutspende­termin in Ostrach.
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