Südwesten will Kohle für Ja zum Ausstieg
Baden-Württemberg sieht sich benachteiligt – Bundestagsabgeordnete von CDU und SPD drohen mit Blockade
- Im Streit um den Kohleausstieg in Deutschland gibt es kurz vor der geplanten Verabschiedung Widerstand. Die Südwest-Abgeordneten von CDU und SPD im Bundestag wollen dem Gesetz nur zustimmen, wenn es Nachbesserungen gibt. „Aus baden-württembergischer Sicht braucht es noch Bewegung“, erklärten die Landesgruppenvorsitzenden Andreas Jung (CDU) und Martin Rosemann (SPD) auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Eine Änderung des bisherigen Gesetzentwurfs sei „zwingend“, ergänzten sie. „Es geht uns um Arbeitsplätze, Investitionen und den Umstieg auf klimafreundliche Technologien“, erklärten die beiden Abgeordneten. Die Stimme hat in der Großen Koalition Gewicht: Die Südwest-CDU hat 38 Abgeordnete, die SPD 16. Zudem gibt es auch Zustimmung aus anderen Landesgruppen.
Der Südwesten fühlt sich von dem im Januar auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der einen Ausstieg bis spätestens 2038 vorsieht, benachteiligt. In dem Paket ist nicht nur geregelt, wie Deutschland aus der Kohleverbrennung aussteigen soll. Gleichzeitig wurde ein 40 Milliarden Euro schweres Hilfspaket versprochen, welches den betroffenen Regionen eine Zukunftsperspektive eröffnen soll. Viel Geld soll dabei in die Kohlereviere nach Nordrhein-Westfalen und in die Lausitz in Südbrandenburg und Sachsen fließen.
Bei den Verhandlungen zum Kohlekompromiss im vergangenen Jahr spielte Baden-Württemberg hingegen keine Rolle – dabei sieht man sich als Kohleland. Zwar gibt es keinen Abbau, doch das Land ist zweitgrößter Steinkohleverbrenner in Deutschland. 2018 war die Kohle mit 29,2 Prozent nach der ebenfalls auslaufenden Atomkraft (34,3 Prozent) Stromquelle Nummer 2.
„Baden-Württemberg ist in hohem Maße vom Kohleausstieg betroffen“, warnte der grüne Landesumweltminister Franz Untersteller Anfang Juni in einem Brandbrief an die Bundespolitik. Der aktuelle Gesetzentwurf benachteilige die Kraftwerke im Südwesten „systematisch“, die Aussicht auf Entschädigungen für eine frühe Abschaltung sei gering. Zudem würden die Steinkohlemeiler im Südwesten als „Lückenfüller“für den Stilllegungspfad der Braunkohlekraftwerke gebraucht, möglicherweise auf Kosten der Klimabilanz. „Die nun geplante Umsetzung führt zu weniger Klimaschutz und zu einer erheblichen Benachteiligung Baden-Württembergs“, warnte Untersteller.
Der Grünen-Politiker warnte vor einem „fatalen Signal“. Konkret geht es um zwei hochmoderne Kohlekraftwerke,
die erst in den vergangenen Jahren modernisiert worden sind: Das Dampfkraftwerk in Karlsruhe und das Grosskraftwerk Mannheim (wird tatsächlich mit zwei s geschrieben) gehören zur „Jungsteinzeit“der neuesten und effizientesten Anlagen in Deutschland. Zudem hängen an beiden Kraftwerken große Fernwärmenetze: Allein Mannheim versorgt 120 000 Haushalte mit Wärme.
Die Sorge des Umweltministers ist auch eine in eigener Sache: Denn der zuständige Kraftwerksbetreiber EnBW gehört zum allergrößten Teil dem Land Baden-Württemberg und einem OEW genannten Kommunalverband von neun meist schwäbischen Landkreisen. Bringt der Atomausstieg den Energieriesen in Probleme, merken das auch die Haushälter in Stuttgart, Alb-Donau,
Ravensburg, Biberach, Sigmaringen oder Friedrichshafen.
Jung und Rosemann stellen klar, dass sie weder den Kohlekompromiss an sich noch den Ausstiegspfad in Frage stellen wollen. Tatsächlich gilt es in Berlin als politisch undenkbar, das Paket für die Kohlereviere zugunsten Baden-Württembergs wieder aufzuschnüren. Eine Laufzeitverkürzung für Lausitzer Kraftwerke wie Jänschwalde oder Schwarze Pumpe zugunsten von Karlsruhe oder Mannheim gilt als unvermittelbar. Gleichwohl müsse die besondere Situation der Steinkohlekraftwerke in Baden-Württemberg besser berücksichtigt werden, fordern die Abgeordneten. Insbesondere die Aufgabe als Fernwärmeversorger sei bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Jung und Rosemann fordern einen höheren Kohleersatzbonus für eine Umrüstung auf Gas, eine Prämie für den Umstieg auf Erneuerbare Energien oder auch eine verbesserte Förderung innovativer Methoden zur Kraft-Wärme-Kopplung.
Die beiden Landesgruppenchefs setzen darauf, dass der Bund für den Südwesten noch Geld drauflegt. Man setze auf die Unterstützung ihrer Anliegen in der Regierungskoalition, betonen die beiden. „Das sind notwendige Investitionen in eine nachhaltige Energieversorgung“, erklärten die Landesgruppenchefs.
Die Chancen stehen gut, denn der Druck in der Koalition wächst: Die Politik will das Gesetz noch vor der im Juli beginnenden Sommerpause durch den Bundestag bringen, denn die anderen Kohleregionen drängen auf die Milliarden. Eine Extrawurst für den Südwesten wäre da ein kleines Opfer.