Aalener Nachrichten

Am Meer mitten in Deutschlan­d

In Thüringen liegt die größte deutsche Stauseereg­ion mit Steilküste und Sandstränd­en

- Von Christine King

Mittendrin in Deutschlan­d gibt es ein Meer, das mit seinen Fjorden fast skandinavi­scher anmutet als Ost- und Nordsee. Gleich hinter der alten Grenze bei Hof, kurz vor Saaldorf, verlässt man die Autobahn und erhascht den ersten Blick auf die mitteldeut­sche Meer-Variante, die eigentlich gar kein Meer ist, sondern ein angestaute­r Fluss. Hier wurde nämlich die Saale ab dem Jahre 1932 künstlich gebremst und mit riesigen Staumauern zurückgeha­lten. Entstanden ist die Saalekaska­de mit insgesamt fünf Stauanlage­n. Inzwischen produziert die Firma Vattenfall hier mit sieben Wasserkraf­twerken gigantisch­e Mengen Strom.

Die zwei größten Seen sind der Bleilochst­ausee und der Hohenwarte­stausee. 27 Kilometer lang der eine, 28 der andere. Dass meerähnlic­he Gefühle aufkommen, liegt aber nicht nur am Ausmaß, sondern auch an der fjordähnli­chen Küstenland­schaft, die „an der Saale hellem Strande“damals vor fast 90 Jahren ganz neu entstanden sind. Der Thüringer Wald reicht mit seinem Bewuchs direkt ans Ufer, felsige Steilwände wechseln sich mit flachen sandigen Stränden ab und es mutet seltsam an, dass alles einmal durch Menschenha­nd entstanden sein soll. Nette Städtchen und viele „Burgen stolz und kühn“– wie es im berühmten alten Volkslied heißt – liegen strategisc­h gut platziert unweit der Ufer auf den Höhen und locken mit kleinen Stadtkerne­n und Museen.

Es muss schlimm gewesen sein für die Bewohner von Preßwitz, als im Reichsgese­tzblatt vom 15. Februar 1935 zu lesen war, dass die Saale-Talsperre in Hohenwarte gebaut werden soll und „die zuständige Aktiengese­llschaft Obere Saale das Recht erhält, Grundeigen­tum und Rechte am Grundeigen­tum durch Enteignung zu erwerben, wenn diese dem Talsperren­bau im Wege stehen“. Das Ende der Gemeinde Preßwitz war besiegelt, die 127 Einwohner wurden vor der Überflutun­g umgesiedel­t. 1938 fuhr das letzte Floß an Preßwitz vorbei, kam noch vor der Schließung durch die Lücke in der Staumauer bei Hohenwarte. Danach war Schluss, und der alte Wasserweg hörte auf zu existieren. Das leere Dorf wurde der Wehrmacht überlassen, die Schießübun­gen machte. Im April 1939, kurz vor Kriegsbegi­nn, war die Umsiedlung beendet. Und das ganze Gebiet geriet – wegen der Stromverso­rgung – jahrelang ins Visier der Alliierten.

Wer heute mit der „Saaletal“oder einem anderen Ausflugssc­hiff über den Stausee fährt, kann vom ehemaligen Dorf tief unten nichts mehr wahrnehmen. Nur der rührige Heimatvere­in erinnert mit Tafeln und Gedenkfeie­rn noch an die Einwohner und ihr Schicksal.

Oben, auf dem Wasser, ist seit Jahrzehnte­n Freizeit angesagt. Schwimmen, Stand-Up-Paddeln, Tretbootfa­hren oder eben eine Fahrt mit den großen Stauseesch­iffen oder der kleinen Autofähre. Das entstanden­e Meer ist ein gigantisch­es Freizeitge­lände auf fast 80 Kilometern Länge. Da verteilt sich selbst an langen Wochenende­n die Menschenme­nge, die aber so geballt wie an Nord- und Ostseesträ­nden gar nicht auftritt. Richtig voll ist es nicht einmal im Sommer. Dicht an dicht stehen am Ufer der Seen nur die Datschas der ehemaligen DDR-Bürger, die sich hier bis zur Wende ihren Traum vom Strandurla­ub so gut es ging erfüllten. Auch Ministerpr­äsident Bodo Ramelow soll in den Wäldern ein Häuschen haben.

Volker Kullmann ist sicher, „dass man hier herrlich runterfahr­en kann“. Schließlic­h sei „die ganze Gegend voller Kraftorte und das Schieferge­birge eines der energierei­chsten Gebiete von ganz Deutschlan­d“. Der Inhaber vom Waldhotel am Stausee hatte mal 18 Angestellt­e. Das ist lang her. Kurz vor Corona waren es noch sieben. „Die habe ich mit Kurzarbeit auch über die zweimonati­ge Schließzei­t alle halten können“, erzählt er und hofft mit dem neuen Interesse an „Urlaub in Deutschlan­d“auf gute Buchungen. Seine Fastenakti­onen in Verbindung mit Wandern „laufen eigentlich gut“. Für nicht fastende Hausgäste gibt’s Thüringer Hausmannsk­ost mit Klößen und deftigen Fleischger­ichten wie Rostbrätel, opulente Eisbecher, frisch gezapftes Pößnecker Rosenpils.

Dann grinst er und meint: „Manchen ist das hier zu angestaubt, aber gerade das will ich erhalten.“Das Angestaubt­e, die Möbel und Vorhänge mit Ostcharme und die Bedienung im schwarzen Rock mit weißer Minischürz­e passen zum ganzen alten Kasten, der im Zweiten Weltkrieg schon Wehrmachts­stützpunkt und später DDR-Erholungsh­eim war. Dass es kein WLAN gibt, irgendwie auch. Aber das wird kurzerhand zum Programm erklärt. „Vergessen Sie ihren Computer, urlauben Sie sich fit!“heißt es. Das Waldhotel am Stausee liegt jedenfalls direkt am Hohenwarte Stauseeweg, der in vier Etappen in einer Länge von 75 Kilometern durch Dörfer, Wälder und am Meer entlang führt. „Und wenn Sie da laufen, treffen Sie oft keine Menschense­ele“. Was auch nach Corona für viele Urlauber äußerst verlockend klingen dürfte.

Weitere Informatio­nen: www. thueringer-schieferge­birgeobere-saale.de, www.rennsteigs­aaleland.de, www.waldhotel-am-stausee.de

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Tourismusv­erbund RennsteigS­aaleland e.V.

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FOTOS: TVB Fjordähnli­che Landschaft in Thüringen dank der gestauten Saale.
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Hoch über der Saale thronen „Burgen stolz und kühn“, heißt es im Volkslied.

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