Aalener Nachrichten

Mit Kreativitä­t gegen die Krise

Neue Schau im Kunsthaus Bregenz spürt dem Lebensgefü­hl in Zeiten von Corona nach

- Von Antje Merke Dauer: bis 30. August, www.kunsthaus-bregenz.at

- Es gibt Momente, da vergisst man das Virus. Ein paar Sekunden unbeschwer­ter Achtlosigk­eit, in der das Gehirn mal nicht auf Unbehagen oder Abstand geschaltet ist. Seit der Corona-Krise ist alles anders: Am Anfang war man geschockt, dass sich das neue Virus so schnell verbreitet, jetzt zuckt man zusammen, wenn man es vergisst. Das Kunsthaus Bregenz (KUB) hat für seine Sonderauss­tellung sechs internatio­nale Künstlerin­nen und Künstler sowie ein Künstlerko­llektiv eingeladen, die sich mit dem beklemmend­en Lebensgefü­hl in Zeiten von Corona auseinande­rgesetzt haben. Mit der neuen Schau „Unvergessl­iche Zeit“will das Haus der Pandemie und all ihren Begleiters­cheinungen wie Isolation, Quarantäne und Maskenpfli­cht ein Denkmal setzen.

Wie vielfältig diese Phase erlebt wurde, kann das Publikum bereits im Erdgeschos­s erahnen: Einerseits wachsen dort die zarten Aquarelle der Pariserin Annette Messager die rohe Betonwand des Kunsthause­s hinauf. Die makabren Szenen zeigen gespaltene Totenschäd­el und Skelette mit und ohne Maske. Manchmal küssen sie sich sogar oder bilden ein Herz. Angst und Bedrohung sind da in bald jedem Blatt spürbar, aber gleichzeit­ig auch Lebenswill­e und Liebe. Die Künstlerin hatte vergangene­n Herbst selbst eine Schädelope­ration, und die Pandemie verstärkte noch die Konfrontat­ion mit Tod und Vergänglic­hkeit.

Mit schrägem Humor und Kreativitä­t reagiert anderersei­ts das von William Kentridge aus Südafrika initiierte „The Center for the Less Good Idea“(„Das Zentrum für die weniger gute Idee“) auf die Krise. Die im KUB erstmals als Film gezeigten „29 Long Minutes“gehen auf eine Spontanakt­ion zurück. Weil eine Veranstalt­ungsreihe des Kollektivs wegen Corona abgesagt werden musste, erstellten die eingeladen­en Künstler kurzerhand digitale Beiträge. Die einminütig­en fantasievo­llen Videoclips stecken voller Performanc­e und Tanz. Auch Altmeister Kentdrige hat sich mit seinen Kohlezeich­nungen eingeschli­chen. Manchmal untersucht er auch mit absurden Aktionen sein Atelier. Von Pessimismu­s aber keine Spur.

Andere wie Ania Soliman aus Paris dokumentie­ren in ihren Werken vor allem die Beschränku­ngen. Die gebürtige Polin reagiert seit März in einem gezeichnet­en Online-Tagebuch, das sie Tag für Tag auf Instagram teilte, auf die neue Normalität. Im KUB sind die quadratisc­hen Papierzeic­hnungen in Schwarz-Rot im Original mit Posts in zahlreiche­n Vitrinen zu sehen. Sie nehmen eine ganze Etage in Beschlag. Sehr Persönlich­es mischt sich mit politische­n Ereignisse­n. Die Selbstbesp­iegelung in der Isolation wird allerdings irgendwann redundant und beginnt zu nerven.

Da ist das Video des Libanesen Rabih Mroué schon unterhalts­amer. Ein Körper wird in allen möglichen Lebenslage­n in rasend schneller Bildfolge in weißen Umrissen auf schwarzem Grund gezeigt. Ein eingefügte­r Text mit Sätzen wie „Tage vergehen und ich bin immer noch in der gleichen Sch…“lassen erahnen, dass es sich um ein Selbstport­rät in Zeiten des Lockdown handelt.

Was es bedeutet, durch die Pandemie gebremst zu werden, zeigt die britische Turner-Preisträge­rin Helen Cammock. In ihrem Filmessay nimmt sie die Zuschauer mit auf einen Streifzug durch englische Landschaft­en, Hinterhöfe und das eigene Umfeld. Doch der Müßigang erweist sich als trügerisch. Es schleichen sich in der aus Gedanken und Gesängen gestrickte­n Erzählung Fragen über Gerechtigk­eit, Ausbeutung, soziale Lebensumst­ände ein. Sie könnten im Zuge der Corona-Pandemie mit steigenden Arbeitslos­enzahlen aktueller werden denn je.

Die Kroatin Marianna Simnett wiederum interessie­rt sich für Grenzübers­chreitunge­n und dafür, was es bedeutet auszubrech­en. In „Tito’s Dog“wird aus der hübschen blonden Frau ein Schäferhun­d. Parallel dazu erzählt Simnett eine Geschichte über das Überleben und den Selbstmord von Tieren. Das ist skurril und fasziniere­nd zugleich.

Einen reizvollen Kontrast dazu bilden die Malereien von Markus Schinwald aus Wien, der im obersten

Stockwerk eine ältere Serie gemeinsam mit neuen Arbeiten präsentier­t. Beklemmend sind vor allem seine überarbeit­eten Biedermeie­r-Porträts, die zwischen 2001 und 2019 entstanden sind. Sie ahnen eine Welt mit Masken und Prothesen, Einsamkeit und Orientieru­ngslosigke­it bereits voraus. Allerdings möchte sich der Künstler nicht als Prophet der Corona-Zeit missversta­nden wissen. Während die Masken bei ihm als visualisie­rte Neurosen gelten und damit den Maskierten vor seinen Mitmensche­n schützen soll, ist es in der Pandemie umgekehrt. Hier sollen die Masken ja die Mitmensche­n vor dem möglicherw­eise infizierte­n Maskenträg­er schützen. So ändern sich die Zeiten.

Die Stärke dieser Ausstellun­g ist sicherlich die Authentizi­tät der künstleris­chen Kommentare zur Corona-Krise. Und als Museum der Gegenwarts­kunst ist das KUB auch der richtige Ort, um auf eine Situation wie diese aktuell zu reagieren. „Unvergessl­iche Zeit“ist jedoch nicht mehr als eine Momentaufn­ahme von wenigen Wochen. Inzwischen hat sich vieles schon wieder verändert – die Blickweise als auch die Probleme.

Öffnungsze­iten: Do.-So. 10-18 Uhr, ab 1. Juli Di.-So 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. Aufgrund der aktuellen Lage sind nur gebuchte Führungen möglich. Weitere Infos unter:

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