Aalener Nachrichten

Lindenfarb ereilt eine Krise nach der anderen

Dritte Insolvenz trifft Mitarbeite­r hart – Sie bangen um ihr Insolvenzg­eld

- Von Verena Schiegl

- In den vergangene­n Jahren ist die Firma Lindenfarb von einer Krise in die nächste gerutscht. Jetzt musste das Traditions­unternehme­n erneut Insolvenz anmelden (wir berichtete­n in unserer Donnerstag­sausgabe). „Das tut extrem weh“, sagt Cynthia Schneider von der IG Metall. Das Traditions­unternehme­n sei nach der Sanierung die ersten drei Monate auf Kurs gewesen. Alles habe gepasst. Doch dann kam Corona und mit dem Einbruch in der Automobili­ndustrie gingen die Aufträge zurück, die Produktion wurde herunterge­fahren. Betroffen von der Insolvenz sind 220 Mitarbeite­r. Die Sorge, dass sie wieder kein Insolvenzg­eld bezahlt bekommen, ist groß, sagt die Betriebsra­tsvorsitze­nde Katja Kalkreuter.

Es ist die dritte Insolvenz innerhalb weniger Jahre. Das erste Mal in Schieflage geraten ist die Firma Lindenfarb 2016. Drei Jahre später, im Frühjahr 2019, meldete das Unternehme­n erneut Insolvenz an. Damals waren 320 Beschäftig­e betroffen. Ein Insolvenzg­eld hatte die Agentur für Arbeit keines ausbezahlt, da laut Kalkreuter die Rechtslage in dem Verfahren nicht eindeutig geklärt worden sei. In der Folge wurden 80 Mitarbeite­r entlassen, rund 20 weitere Jobs wurden über Fluktuatio­n abgebaut. Mit dem Abschluss des Insolvenzv­erfahrens und der Übernahme durch das Unternehme­n Mattes & Ammann im Januar dieses Jahres war Lindenfarb wieder auf einem guten Weg. Dem Aufwärtstr­ieb machte die Corona-Pandemie allerdings einen Strich durch die Rechnung. Ausreichen­de

Reserven, um diese Krise zu überbrücke­n, konnte Lindenfarb in dieser kurzen Zeit nicht aufbauen, sagt Cynthia Schneider, die bereits bei den beiden vorigen Insolvenze­n der Belegschaf­t zur Seite gestanden hat. Dass die Mitarbeite­r nach zwei Insolvenze­n und Kurzarbeit erneut eine Insolvenz hinnehmen müssen, sei bitter.

Scharf ins Gericht geht Schneider mit der Politik. Sie kritisiert die Gesetzgebu­ng, die besagt, dass Unternehme­n, die

2019 in eine

Schieflage geraten sind, in Zeiten von Covid-19 keinen Anspruch auf finanziell­e Hilfe haben. Das habe Lindenfarb letztlich das Genick gebrochen. Dass das Unternehme­n unverschul­det von der Corona-Krise getroffen wurde, interessie­re nicht. Mit einer Unterstütz­ung über die Förderbank KfW in Form eines Kredits hätte das Unternehme­n die Krise überbrücke­n können, sagt Schneider.

Trotz Insolvenz läuft der Betrieb bei Lindenfarb erst einmal weiter. Die Beschäftig­ten sollen über das Insolvenzg­eld abgesicher­t werden. Die Sorge, ob die Agentur für Arbeit die Löhne und Gehälter für drei Monate allerdings auch bezahlt, sei angesichts der Erfahrung aus dem letzten Insolvenzv­erfahren groß. Doch die Hoffnung sterbe zuletzt, sagt Kalkreuter. Mit dem Insolvenzg­eld sei es zumindest möglich, einen Teil des geringeren Gehalts in Zeiten von Kurzarbeit zu kompensier­en. Denn im Gegensatz

sagt Katja Kalkreuter.

zu anderen Branchen wie der Metallindu­strie werde das Kurzarbeit­ergeld bei Textilern in Höhe von 60 Prozent, bei Beschäftig­ten mit Kindern von 67 Prozent, nicht aufgestock­t. Für einen Mitarbeite­r bei Lindenfarb, der netto 1200 Euro verdient und als Alleinverd­iener damit eine Familie ernähren muss, sei dieses Gehalt knapp, wenn nicht sogar existenzge­fährdend.

Trotz vieler Nackenschl­äge blieben die Beschäftig­en bei der Stange und würden jeden Tag motiviert in das Unternehme­n kommen. „Wir sind ein tolles Team“, sagt Kalkreuter. „Und wir werden nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern weiter kämpfen. Wir hoffen, dass die Wirtschaft wieder angekurbel­t wird, es bei der Automobili­ndustrie wieder aufwärts geht, wir als Zulieferer wieder mehr Aufträge bekommen und möglichst viele Arbeitsplä­tze bei Lindenfarb erhalten werden können. Es wäre schade, wenn das letzte Stück Textilindu­strie aus dem Ostalbkeis verschwind­et.“

Dass das Sanierungs­verfahren in Eigenverwa­ltung unter der Regie des Sachwalter­s Tibor Braun von der Kanzlei Illig, Braun, Kirschnek aus Stuttgart und des Sanierungs­experten Detlef Specovius von der Kanzlei Schultze & Braun, gleichzeit­ig Geschäftsf­ührer bei Lindenfarb, über die Bühne geht, sei positiv, sagt Schneider. Specovius habe das Unternehme­n bereits zweimal aus der Insolvenz heraus an einen Investor verkauft. Das Ziel sei eine schnellstm­ögliche Restruktur­ierung und der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplä­tze. Ein erster Interessen­t, der bereit und in der Lage sei, die unternehme­rische Verantwort­ung bei Lindenfarb zu übernehmen, habe sich bereits gemeldet.

„Trotz vieler Nackenschl­äge halten die Mitarbeite­r ihrem Unternehme­n die Treue“,

 ?? ARCHIVFOTO: THOMAS SIEDLER ?? Die Insolvenz im Jahr 2019 war für die Mitarbeite­r der Firma Lindenfarb ein Schlag ins Gesicht. Kaum hatte sich das Unternehme­n erholt, kam Corona, die Kurzarbeit und eine erneute, mittlerwei­le dritte Insolvenz. Jetzt bangt die Belegschaf­t ein zweites Mal um die Zahlung des Insolvenzg­elds.
ARCHIVFOTO: THOMAS SIEDLER Die Insolvenz im Jahr 2019 war für die Mitarbeite­r der Firma Lindenfarb ein Schlag ins Gesicht. Kaum hatte sich das Unternehme­n erholt, kam Corona, die Kurzarbeit und eine erneute, mittlerwei­le dritte Insolvenz. Jetzt bangt die Belegschaf­t ein zweites Mal um die Zahlung des Insolvenzg­elds.

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