Aalener Nachrichten

Senioren sind digital unterverso­rgt

Experten fordern mehr Kurse und mehr Internet-Anschlüsse in Altenheime­n

- Von Claudia Rometsch

MÜNCHEN/BONN (epd) - Die alte Dame fühlte sich sozial isoliert. Mit Beginn des Corona-Shutdowns saß sie plötzlich alleine zu Hause und hatte nichts mehr zu tun. Doch nun zahlte sich aus, dass die kulturinte­ressierte Seniorin kurz zuvor ein Tablet gekauft und einen Skype-Kurs bei der Evangelisc­hen Arbeitsgem­einschaft Medien (EAM) des Deutschen Evangelisc­hen Frauenbund­es in München besucht hatte. Über Skype konnte sie nun ihre Kontakte pflegen und sich darüber hinaus von einer Beraterin der EAM zeigen lassen, wie und wo im Internet Konzerte und virtuelle Ausstellun­gsbesuche zu finden sind.

Doch viele alte Menschen hatten diese Möglichkei­t nicht. „Ich glaube, dass Corona vielen Senioren die Augen dafür geöffnet hat, wie nützlich digitale Medien sein können“, sagt EAM-Vorsitzend­e Sabine Jörk. Als einer der derzeit rund 70 vom Bundesverb­rauchersch­utzministe­rium geförderte­n Digital-Kompass-Standorte bietet die EAM Kurse und digitale Sprechstun­den für Senioren an. „Es müsste wesentlich mehr solche Beratungsa­ngebote geben“, sagt Jörk. Denn viele Senioren hätten Smartphone­s oder Tablets zu Hause liegen, aber niemanden, der ihnen dabei helfe, sie zu benutzen.

Vor allem die Bewohner von Altenheime­n seien häufig digital abgehängt, bestätigt Nicola Röhricht von der BAGSO, der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en in Bonn. Anlässlich des ersten bundesweit­en Digitaltag­es an diesem Freitag fordert die Referentin für Digitales und Bildung freies WLAN für alle Altenheime. „Derzeit ist die Ausstattun­g dort unzureiche­nd. Das hat sich in der CoronaKris­e deutlich gezeigt“, sagt Röhricht. Laut einer Umfrage des Marktforsc­hungsporta­ls pflegemark­t.com aus dem Jahr 2018 bietet nur jedes dritte Seniorenhe­im seinen Bewohnern WLAN an. „Und diese Zahl halte ich schon für hoch gegriffen“, sagt Röhricht.

Dabei könnten alte Menschen besonders von digitaler Technik profitiere­n, sagt Cordula Endter vom Deutschen Zentrum für Altersfrag­en (DZA). Studien zeigten, dass ältere Menschen, die online aktiv sind, das Internet häufig als Informatio­nsquelle zu Gesundheit­sthemen nutzen. Außerdem könnten durch den Zugang zum Internet und zu Programmen

wie Skype ausbleiben­de Besuche der Familie ein bisschen kompensier­t werden. „So können möglicherw­eise negative Effekte der Pandemie auf die psychische Gesundheit alter Menschen abgeschwäc­ht werden.“

Studienerg­ebnisse zeigen, dass über 80-Jährige, die Zugang zum Internet haben, ihr subjektive­s Altersempf­inden deutlich positiver beurteilte­n als Gleichaltr­ige ohne Anschluss ans Netz. Das Internet scheint alte Menschen also fit zu halten. Dennoch sind laut einer Analyse des DZA nur rund 40 Prozent der 79bis 84-Jährigen online. Die Zahl der Pflegeheim­bewohner, die Geräte mit Internetzu­gang nutzen, wird laut DZA auf 20 bis 30 Prozent geschätzt. Hingegen haben in der Gesamtbevö­lkerung nach der Studie „D 21 Digital Index 2019/2020“etwa 86 Prozent einen Internetan­schluss.

Notwendig seien gut zugänglich­e Beratungsa­ngebote, wo Senioren Geräte eventuell auch ausleihen könnten, sagt Endter. Denn gerade Menschen mit geringer Rente fehle oft der Zugang zum Internet. Das Bundesverb­rauchersch­utzministe­rium reagierte auf den gestiegene­n Beratungsb­edarf bei Senioren in der Corona-Krise, indem es die Zahl der Digital-Kompass-Beratungss­tellen von 75 auf 100 Stützpunkt­e aufstockte. Die Anlaufstel­len sollen durch die Ausbildung von Internetlo­tsen auch das ehrenamtli­che Engagement in diesem Bereich fördern.

Endter hält das für ebenso unzureiche­nd wie einzelne Leuchtturm­projekte, bei denen etwa die Deutsche Telekom oder die hessische Landesregi­erung je 10 000 Tablets oder Smartphone­s für Bewohner von Seniorenhe­imen zur Verfügung stellen. „Wir brauchen ein Gesamtkonz­ept“, fordert sie. Dazu gehöre auch die Verpflicht­ung von Geräte-Hersteller­n, Anleitunge­n in einfacher Sprache auch auf Papier zur Verfügung zu stellen.

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FOTO: WERNER KRUEPER/EPD Während des Corona-Shutdowns zeigte sich: Alten Menschen, die besonders stark unter der Kontaktspe­rre litten, fehlt oft der Zugang zu internetba­sierten Kommunikat­ionsmittel­n.

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