„Als ob einem Hörenden der Ton fehlt“
Die Maskenpflicht stellt die gehörlose Angelika Stahl täglich vor neue Herausforderungen
- Seit dem 27. April hat sich das Leben der Bopfingerin Angelika Stahl um ein Vielfaches verkompliziert. Denn seit diesem Tag gilt in Baden-Württemberg für alle Menschen ab dem sechsten Lebensjahr die Maskenpflicht.
Obwohl Stahl wegen ihrer Behinderung nicht verpflichtet ist, eine Mund-Nasen-Maske zu tragen, will sie aus Gründen des Schutzes nicht darauf verzichten. Das eigentliche Problem besteht auch eher darin, dass sie das Gesicht anderer Menschen nicht mehr sehen kann. Angelika Stahl ist seit ihrer Geburt vollständig taub. Wie sie in einem Gebärdengespräch erklärt, könne sie lediglich sehr laute Geräusche – wie beispielsweise die von Silvesterraketen – haptisch über die Vibration wahrnehmen.
Die Nachricht über die Maskenpflicht habe Angelika Stahl zunächst bestürzt. Die Mimik und die Bewegungen des Mundes seien ein wichtiger Teil der Gebärdensprache, der durch die Maske beinahe komplett wegfalle. „Im Kontakt mit hörenden Menschen ist das weniger schlimm als im Gespräch mit anderen Gehörlosen. Aber wenn nur ein oder zwei Teile der Gebärdensprache fehlen, ist das ungefähr so, als ob einem Hörenden der Ton fehlt“, so Angelika Stahl.
In Schloßberg seien die anfänglichen Schwierigkeiten laut Stahl überwunden. Schon lange ortsansässig, sei sie den Anwohnern bekannt, die ihre Gestiken zu deuten wissen. Selbst der Besuch auf dem Rathaus sei trotz Mundschutz kein Problem mehr.
Anders sehe es da mit dem Einkauf in Geschäften aus. Nach eigenen Aussagen sei sie seit Einführung der Maskenpflicht des Öfteren selbst bei einfachen Fragen, beispielsweise wo ein gesuchtes Produkt zu finden sei, bereits nach kurzer Zeit der gestischen Erklärung abgewiesen worden. So habe sie in einer Aalener Drogerie eine Verkäuferin lediglich nach Müllbeuteln fragen wollen, diese schien aber mit der nonverbalen Gesprächssituation völlig überfordert. Denn durch das Fehlen der Mimik und der Mundbewegungen sei es für Stahl wesentlich schwieriger, auf die Gesprächsperson zu reagieren – und dauere dementsprechend auch länger.
Auch andere Gehörlose haben ihr von solchen Erfahrungen berichtet. Angelika Stahl unterstellt diesem
Verhalten keine Diskriminierungsabsicht, sondern vermutet dahinter eher die Angst vor einer Infektion im längerem Kontakt mit Kunden. Sie habe aber in den letzten Wochen auch positive Beispiele erlebt, wie beim Umtausch eines Staubsaugers in einem Nördlinger Lebensmittelgeschäft. „Ich habe mich so gefreut, als die Verkäufer nach einigen Verständigungsproblemen und mit genügend Abstand mutig genug war und die Maske kurz heruntergezogen hat, damit ich ihre Mimik sehen kann“, erklärt Angelika Stahl.
Auch die durchsichtigen Visiere, die sogenannten Face Shields, seien für Gehörlose eine erleichternde Alternative zum verdeckenden Mundschutz. Zur Sicherheit trug Angelika Stahl aber auch schon vor Corona immer einen kleinen Schreibblock in ihrer Tasche. In Situationen wie beispielsweise beim Metzger, wo der Spuckschutz die Verständigung extrem behindere, sei es manchmal hilfreich, das Anliegen für den Gegenüber behelfsmäßig zu notieren.
Trotz aller Widrigkeiten und entgegen zahlreicher Online-Petitionen gegen lippenverdeckende Masken nimmt Angelika Stahl die Maskenpflicht an. „Man muss das jetzt aushalten, obwohl es schwierig ist. Das Mundbild gehört einfach zur Gebärdensprache dazu. Und ich bin bestimmt eine der ersten, die die Maske abnimmt, wenn es soweit ist“, betont sie schmunzelnd.