Ein Stück Normalität zurück bekommen
Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind wieder offen.
- Ohne Fieber gemessen und einen frischen Mundschutz erhalten zu haben, kommt derzeit morgens kein Mitarbeiter an den Gruppenleitern der OstalbWerkstätten, der Christophoruswerkstatt und des Rabenhofs vorbei. Wegmarkierungen führen vorbei an Desinfektionsstationen zu den Toiletten, Richtung Kantine oder zum eigenen Arbeitsplatz. Der widerum ist durch viel Abstand und manchmal auch mittels einer Plexiglasscheibe von dem des Nachbarn getrennt. Infektionsschutz hat hier höchste Prioriät.
Seit 16. Juni dürfen landesweit die Werkstätten für Menschen mit Behinderung wieder in voller Besetzung arbeiten. Das war seit Ausbruch der Corona-Pandemie nur eingeschränkt bis gar nicht möglich. Bis zum 4. Mai waren die Werkstätten vollständig geschlossen, seitdem konnten zumindest ein Viertel der Mitarbeiter mit einer Behinderung in ihr gewohntes Arbeitsumfeld zurückkehren. Die Größe der Arbeitsgruppen mussten die Stiftungen in dieser Zeit auf sechs Personen begrenzen.
In der Christophorus-Werkstatt der Stiftung Haus Lindenhof hat sich diese Schutzvorschrift bewährt: „Das hat hervorragend funktioniert, wir hatten keinen einzigen Coronafall“, sagt Leiter Matthias Rueß.
Die Lockerungen stellen auch die Gruppenbetreuer der Ostalb-Werkstätten in Aalen, Bopfingen und Neresheim vor enorme betriebliche Herausforderungen, wie der Leiter der Sozialen Dienste, Bernd Schäufele, mitteilt. „Am wichtigsten ist es nun, unsere Beschäftigten, Menschen mit Behinderung, für diese Situation zu sensibilisieren. Wir arbeiten mit Menschen mit unterschiedlichen Handicaps und müssen daher auf verschiedene Bedürfnisse reagieren. Manche müssen öfter auf die Einhaltung hingewiesen werden oder sie benötigen mehr Begleitung, um die Maßnahmen umsetzen zu können. Das ist für uns alle eine besondere Herausforderung. Aber wir sind gut aufgestellt und vorbereitet, alles so umzusetzen wie es sein sollte.“
Das gilt auch für die Betreuer der Werkstatt Rabenhof in Ellwangen. Laut Renate Heinrich, der Leiterin des Sozialdienstes, sei eine Rückkehr an den Arbeitsplatz für die Angestellten mit einer Behinderung seit der neuen Corona-Verordnung nicht mehr freigestellt. Die Schichtarbeit sei nun die einzige Möglichkeit, alle Mitarbeiter unter Einhaltung des Abstandsgebotes
zu beschäftigen. Für die Gruppenleiter bedeutet das allerdings mindestens zweimal am Tage eine gründliche Desinfektion aller Arbeitsplätze, Maschinen und Werkzeuge.
Das Bedürfnis der Menschen mit einer Behinderung nach einem geregelten Tagesablauf, nach dem Kontakt mit den Betreuern, den Stiftsmitarbeitern und den Kollegen, sei jedoch in den vergangenen Wochen deutlich spürbar gewesen, wie auch Bernd Schäufele berichten kann. „Zu Hause wird es mit der Zeit eintönig, der Tagesrhythmus und die Interaktion mit den Arbeitskollegen fehlen. Gerade Menschen mit einer geistigen Behinderung brauchen viel Rückmeldung und Bestätigung. Die Arbeit ist da ein gutes Medium, sich auf etwas anderes als auf sich selbst zu fokussieren. Da bekommt das Thema Arbeit einen hohen und sinnhaften Stellenwert.“
Diesen Ausführungen kann sich Matthias Rueß, Leiter der Christophorus-Werkstatt der Stiftung Haus Lindenhof, nur anschließen. „Ein Großteil ihrer Sozialstruktur findet in der Werkstatt statt. Und In den letzten Wochen wurde der Zustand des Wartens für sie immer schwieriger. Wir haben Rückmeldungen aus den Wohnheimen über Verhaltensauffälligkeiten bekommen. Andere verlieren ihre Tagesstruktur. Auch Angehörige haben sich bei uns gemeldet und für ihre Schützlinge gefragt, wann diese wieder in die Werkstatt kommen dürfen.“
Auch die Christophorus-Werkstatt und die Ostalb-Werkstätten stellt die Einhaltung des Abstandsgebotes
vor bisher ungekannte Schwierigkeiten. Denn laut Corona-Verordnung sollten die Arbeitsgruppen je nach Wohnform gebildet werden. Das sei im regulären Betrieb nicht üblich, wie beide Werkstätten-Leiter bestätigen. Demnach könnten beispielsweise Mitarbeiter, die bei ihrer Familie wohnen, nicht mit jenen zusammenarbeiten, die im Samariterstift oder im Haus Lindenhof eine Unterkunft haben. „Wenn in einem Wohnheim der Virus ausbrechen sollte, kann die Verbreitung sehr schnell gehen. In den Ostalb-Werkstätten haben wir uns daher ein Konzept überlegt und mischen die verschiedenen (Arbeits-)Gruppen nicht.“, führt der Leiter der Ostalb-Werktstätten weiter aus.
In Ellwangen versuche das Haus Lindenhof derzeit, die Christophorus-Werkstatt auf Schulungs- und Nebenräume sowie Lagerzelte auszuweiten. Die Schwierigkeit an dieser Umgestaltung liege allerdings laut Rueß darin, mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen auszukommen und trotz des deutlich höheren Betreuungsaufwandes in den Gruppen die Aufgaben in den Bereichen einzelne Betreuung und Bildung nicht zu vernachlässigen. „Wichtig ist, dass die Leute sicher in der Werkstatt arbeiten können. Das ist jetzt eine unserer Kernaufgaben. Aber auch alles, was damit einhergeht, muss weiter funktionieren.“
„Gerade Menschen mit einer geistigen Behinderung brauchen viel Rückmeldung und Bestätigung“, sagt Bernd Schäufele.