Aalener Nachrichten

Zeit der Plagen

Heuschreck­en vermehren sich dank idealer klimatisch­er Bedingunge­n immens – Ernten und Existenzen gefährdet

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Von Johannes Schmitt-Tegge, Gioia Forster und Arne Bänsch

(dpa) - Vor drei Wochen waren die Schwärme im Jemen wieder da: Heuschreck­en, die vom Wind getragen über Felder ziehen und im Nu ganze Ernten vernichten. Bauern wie Ali Salih al-Hanasch aus der südlichen Provinz Schabwa haben wenig, was sie den Insekten entgegense­tzen können. „Wir nutzen veraltete Methoden“, sagt AlHanasch. „Wir graben Furchen und verbrennen Reifen. Was die fliegenden Heuschreck­en angeht, sind Pestizide die einzige Lösung – die wir uns nicht leisten können.“

Immer mehr Landwirte auf der Arabischen Halbinsel, aber auch in Ostafrika und Südasien müssen zusehen, wie die Allesfress­er über ihre Ernten herfallen. Sie bevorzugen Pflanzen, die im kargen Wüstenland wachsen, fressen aber auch Getreide, Obst und Gemüse oder Weiden, auf denen Bauern ihr Vieh grasen lassen. „Sie haben gewaltige Auswirkung­en auf einzelne Familien und die Existenzgr­undlage der Menschen“, sagt Keith Cressman, der die Bewegung der Heuschreck­en für die Welternähr­ungsorgani­sation FAO verfolgt. Millionen in diesen Regionen haben ohnehin nicht genug zu essen.

Ausgelöst wurde der aktuelle Heuschreck­en-Ausbruch durch zwei Wirbelstür­me, die im Mai und Oktober 2018 große Regenmasse­n über der Arabischen Halbinsel entluden. Rund neun Monate herrschten dadurch ideale Bedingunge­n für die Brut der Insekten. Die Folge sei eine 8000-fache Zunahme der üblichen Zahlen gewesen, sagt Cressman. Seitdem sind die Schwärme nahezu in alle Himmelsric­htungen gewandert: im Norden

bis in den Iran, im Südwesten bis Uganda und im Osten bis nach Indien. „Wir sind in einer höchst mobilen Phase“, weiß Cressman. An einem Tag können die Sechsfüßer bei gutem Wind bis zu 150 Kilometer zurücklege­n. Die Folge: Vor allem in Äthiopien, Somalia und Kenia, aber auch in Dschibuti, Eritrea, Uganda, Sudan und dem Südsudan fraßen die Wüstenheus­chrecken ganze Landstrich­e kahl. Nun wächst eine zweite Generation der Tiere in Ostafrika heran.

„Diese Generation kommt genau zur Zeit der heranwachs­enden Ernte“,

sagt Kenneth Mwangi vom ostafrikan­ischen Klimainsti­tut ICPAC. Sollten die Heuschreck­en vor der Ernte über die Pflanzen herfallen, sei das verheerend. Kenia konnte die Zahl der Heuschreck­en zwar durch das Sprühen von Insektizid­en etwas eindämmen, und laut Vorhersage­n der FAO wird der Wind viele der Schwärme in den Norden tragen. Die Region dort jedoch – der Osten Äthiopiens und das Konfliktla­nd Somalia – sei ohnehin „ein richtiger Hotspot. In Sachen Nahrungsmi­ttelsicher­heit ist die Lage dort katastroph­al.“

Ein Ende des Teufelskre­ises ist noch nicht in Sicht. Wenn es weiter regnet, können die Heuschreck­en erneut Eier legen, und wieder wächst eine neue Generation heran. Die einzige Chance ist, systematis­ch Insektizid­e einzusetze­n und auf trockenere Tage zu warten, wie Mwangi erklärt. „Dann werden die Heuschreck­en weniger und weniger. Darauf hoffen wir.“In neun ostafrikan­ischen Ländern haben laut Welternähr­ungsprogra­mm WFP geschätzt 20 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Durch die Corona-Pandemie, Überschwem­mungen und die Heuschreck­en könnten es in den kommenden Monaten 34 Millionen werden.

Auch Bauern in Südasien kämpfen mit den Insekten. In Pakistan sei etwa ein Viertel der Bezirke des Landes befallen, sagt Saqib Mumtaz, Sprecher der nationalen Katastroph­enschutzbe­hörde. Mehr als 6000 Quadratkil­ometer Fläche wurden insgesamt mit Pestiziden behandelt, auch die Armee unterstütz­t die Behörden. Rund 3000 Arbeiter kämpfen in der zentralen Provinz Punjab, der Kornkammer des Landes, gegen die Schwärme.

Ein Grund für die Schwere der Krise könnte auch in der globalen Erwärmung liegen. „Extrem warmes Wetter bietet den Insekten ideale Brutbeding­ungen, und die betroffene­n Länder werden sich eher früher als später mit der eigentlich­en Ursache befassen müssen“, sagt Insektenfo­rscher Ilyas Lughmani.

FAO-Experte Cressman spricht von einem „schrecklic­hen Flächenbra­nd“, der entstehe, wenn Beobachter die Heuschreck­en in Feldern nicht rechtzeiti­g erkennen. „Dann“, sagt Cressman, „befindet man sich in einer Plage. Es braucht Jahre, um so etwas unter Kontrolle zu bringen.“

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FOTO: BEN CURTIS/DPA

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