Auf der Zielgeraden
Auch kurz vor dem Ende seiner politischen Karriere sorgt Horst Seehofer für Aufregung und Verwirrung
Im Herbst 2021, wenn die Legislaturperiode vorbei ist, wird Horst Seehofer kein politisches Amt mehr annehmen. Das hat er erst kürzlich bekräftigt. Doch bis dahin ist der frühere bayerische Ministerpräsident noch Bundesinnenminister – und derzeit kann sich der 70-Jährige über Mangel an Arbeit und Konflikten nicht beklagen. Am Montag war er nach den Gewaltexzessen in Stuttgart. Tags zuvor hatte er bereits verkündet, Klage gegen eine „taz“-Journalistin, die verächtlich über Polizisten geschrieben hatte, einreichen zu wollen. Sehr zum Missfallen von Angela Merkel. Einig sind sich CDU-Bundeskanzlerin und CSU-Innenminister in der Sache „Nordadler“. Seehofer hat die vor allem im Internet aktive rechtsextremistische Vereinigung am Montag verboten. Nach „Combat 18“im Januar und der Reichsbürger-Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“im März war dies bereits das dritte derartige Verbot in diesem Jahr.
- Horst Seehofer ist an diesem Dienstag ebenso begehrt wie abwesend. Es gibt viele Themen: Der Innenminister hat am Morgen die Rechtsextremistengruppe „Nordadler“verboten. Außerdem wollte der CSU-Mann eigentlich den Verfassungsschutzbericht 2019 vorstellen – der Termin wurde am Vorabend schnörkellos und ohne Begründung gekippt. Und in Berlin ist immer noch nicht klar, ob er jetzt gegen die Autorin einer verunglückten AntiPolizei-Kolumne in der Zeitung „taz“Strafanzeige stellt oder nicht. Am Sonntag hatte der 70-Jährige das gegenüber der „Bild“-Zeitung angekündigt und damit eine Debatte um Pressefreiheit losgetreten. Die Kanzlerin knöpfte sich Seehofer vor, seitdem ist die Sache mit der Anzeige offen. „Aus terminlichen Gründen“werden weitere Termine abgesagt. Seehofer ist abgetaucht.
Vielleicht liegt es daran, dass ihm überall unangenehme Fragen gestellt werden würden. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet, Seehofers Ministerium habe versucht, die Erwähnung der AfDGliederungen „Flügel“und Junge Alternative (JA) aus dem Verfassungsschutzbericht herauszuhalten. Das Ministerium hatte demnach im vergangenen November gebeten, kein Kapitel über rechtsextremistische Verdachtsfälle in den Bericht aufzunehmen. Zu dieser Zeit galt der auf 7000 Mitglieder geschätzte Flügel noch als Verdachtsfall, erst seit März gilt die rechtsextreme Ausrichtung der inzwischen offiziell aufgelösten Parteigruppierung als gesichert.
Weil beide Gruppierungen nun in dem Bericht zu den Rechtsextremisten gezählt werden, schnellt die Zahl in dem mangels Vorstellung unveröffentlichten Bericht im Vergleich zum Vorjahr rasant nach oben. Medienberichten zufolge zählen die Geheimen 2019 rechtsaußen insgesamt 32 000 Verfassungsfeinde – 8000 mehr als im Jahr zuvor. Stimmen die kolportierten Zahlen, wächst das Extremismusproblem
in Deutschland auch auf der linken Seite. Die „Welt“berichtet von einer Zunahme linksextremer Straftaten um 40 Prozent.
Bestätigen will der Geheimdienst diese Zahlen nicht – denn die Vorstellung des Berichts sei ja Sache des Innenministers. Zudem werde immer wieder mal eine Pressekonferenz abgesagt, wenn andere Termine dazwischen kommen. Kürzlich ließ Seehofer die Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik ausfallen, weil er mit seinem französischen Amtskollegen telefonieren musste. Einem Bundestagsausschuss gab der Minister einen Korb, weil er gleichzeitig eine Pressekonferenz zu Grenzöffnungen gab.
Also alles ganz normal? Nein. Seehofers Absage erinnert manche in Berlin an das Jahr 2018, als der Minister nach einem Streit mit der Kanzlerin um die Zurückweisung von
Flüchtlingen die Vorstellung des „Masterplans Migration“kippte. Und damit an eine Zeit, in der der CSU-Politiker immer wieder Brandfackeln in die brüchige Große Koalition warf. Ob der Streit um die Abberufung des früheren Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen oder die Frage nach einer Flüchtlingsobergrenze – immer wieder krachte es zwischen SPD und Union, zwischen Merkel und Seehofer.
Seitdem haben sich die Zeiten geändert: Seit Corona wirkt die Regierung geschlossen, und selbst die SPD-Basis will die Koalition Umfragen zufolge mit breiter Mehrheit bis zum regulären Ende im Herbst 2021 durchziehen. Seehofer indessen gilt schon länger als politisches Auslaufmodell. Dass der dienstälteste Minister der Regierung überhaupt noch im Amt ist, hat er wohl Corona zu verdanken. Denn noch im Januar forderte Markus Söder, Seehofers Nachfolger als CSU-Chef und Ministerpräsident, eine Kabinettsumbildung in Berlin. Dass der Franke die Umbesetzung mit dem Bedarf „an neuen und frischen Kräften“begründete, war ein klares Signal, zumal beide eine lang gepflegte Abneigung verbindet.
Als Seehofer im Mai ankündigte, nach der Bundestagswahl 2021 in den Ruhestand zu gehen, überraschte das niemanden. Ob Fraktion oder Innenausschuss – überall beklagen sich Bundestagsabgeordnete, dass der Minister sich nur selten zu Unterrichtungen blicken lässt. „Er macht nur noch, was er will“, sagt ein Abgeordneter. Die FDP hatte zwischenzeitlich sogar beantragt, den säumigen Minister in den Innenausschuss vorzuladen.
Für den FDP-Abgeordneten Benjamin Strasser ist das Verhalten verständlich: „Er ist auf Abschiedstour“, sagt der 33-Jährige. Dabei sieht er beim CSU-Minister nicht nur Schatten: Seehofer habe im Kampf gegen Rechtsaußen nach dem Rauswurf von Maaßen aufgeholt: Immerhin ist „Nordadler“nicht die erste rechtsextremistische Vereinigung, die der Minister in diesem Jahr verboten hat. Die entsprechenden Abteilungen wurden verstärkt. Seehofer selbst benannte den Rechtsextremismus im Februar als größte Bedrohung für Deutschland. Dann wiederum bringt er mit der angekündigten Anzeige gegen die „taz“-Redakteurin eine Debatte um Meinungsfreiheit ins Rollen, die die Kanzlerin so dringend braucht wie Zahnschmerzen. Zumal die AfD-Frau Beatrix von Storch am Montagabend genau das tat, was Seehofer angekündigt hatte. Sie erstattete Strafanzeige. „Es ist ein Auf und Ab. Man wird aus Seehofer nicht wirklich schlau“, sagt Strasser.