Aalener Nachrichten

Klöckner möchte den Fleischmar­kt ändern

Landwirtsc­haftsminis­terin für schärfere Gesetze, eine Tierwohlab­gabe und höhere Preise

- Von Sebastian Heilemann

(dpa/AFP) - Nach dem massiven Corona-Ausbruch im westfälisc­hen Schlachtho­f Tönnies dringt Agrarminis­terin Julia Klöckner auf grundlegen­de Veränderun­gen im Fleischmar­kt. Die CDU-Politikeri­n möchte den ständigen Preiskampf und problemati­sche Bedingunge­n unterbinde­n. Die seit Jahren bekannten Missstände der Branche gelte es zu beenden. „Es wird keine zweite Chance geben für die gesamte Branche“, sagte Klöckner nach einem Treffen mit Branchen- und Verbandsve­rtretern am Freitag in Düsseldorf. Der Infektions­ausbruch beim Fleischpro­duzenten Tönnies sei wie ein Brennglas für das, was falsch laufe. „Das, was wir heute behandelt haben, war keine TönniesFra­ge, sondern eine System-Frage.“

Klöckner kündigte daher unter anderem an, Gesetzesve­rschärfung­en

zur Preisgesta­ltung und Lebensmitt­elwerbung mit Lockpreise­n zu prüfen. „Wenn für 100 Gramm Hähnchen 17 Cent verlangt werden, dann kann da kein Tierwohl und dann kann da auch kein Menschenwo­hl drin stecken.“Die Landwirtsc­haftsminis­terin erläuterte, dass die Regierung bereits lange vor dem CoronaScho­ck eine Expertenko­mmission eingesetzt habe. Allerdings gebe es für Tierwohl verbal zwar immer viel Zustimmung, aber dann hapere es oft an der Kompromiss­bereitscha­ft.

Die Ministerin betonte nun, man müsse „die ganze Kette“in den Blick nehmen, wenn man etwas verändern wolle. Landwirte müssten Ställe umbauen, damit Tiere mehr Platz hätten, auch darüber besteht Einigkeit. Doch wo soll das Geld dafür herkommen? Klöckner sprach sich zuletzt für eine Tierwohlab­gabe aus, die eine Expertenko­mmission vorgeschla­gen hatte. Denkbar wären über eine Verbrauchs­teuer Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, zwei Cent pro Kilo für Milch und Frischmilc­hprodukte. Darüber wolle sie bald mit den Parteispit­zen im Bundestag sprechen.

Tierschütz­er und Opposition kritisiert­en die Ankündigun­gen als wenig konkret. Sie sind skeptisch, ob den Worten Taten folgen werden. Der Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels wehrte sich indes gegen Kritik, die „einseitig und pauschal“auf Preiswerbu­ng abziele.

Bereits Ende Mai hatte das Kabinett Eckpunkte für Neuregelun­gen beschlosse­n, um problemati­sche Arbeitsbed­ingungen in Schlachthö­fen zu unterbinde­n. Kern ist ein Verbot von Werkverträ­gen ab 1. Januar 2021, also dass die komplette Ausführung von Arbeiten bei Subunterne­hmern eingekauft wird. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) legt nun bereits im Sommer einen Gesetzentw­urf vor. Zunächst hatte dieser Vorschlag für Kritik gesorgt, doch am Freitag gaben die Unternehme­r ihren Widerstand auf: Der Verband der Fleischwir­tschaft teilte mit, das Gesetzesvo­rhaben der Bundesregi­erung zu unterstütz­en. Auch der aus der Quarantäne zugeschalt­ete Clemens Tönnies habe seine Unterstütz­ung zugesagt, berichtete Klöckner.

Der massive Ausbruch in RhedaWiede­nbrück stellt derweil die Gesundheit­sämter und Behörden in den betroffene­n Kreisen Gütersloh und Warendorf vor Großaufgab­en. Mittlerwei­le werden sogar Drive-inCorona-Tests in einem leeren Hangar des Güterslohe­r Flughafens angeboten.

- Immer wieder werden Fälle dieser Art bekannt: Arbeiter von fleischver­arbeitende­n Betrieben leben in beengten Wohnungen, ihre Werkverträ­ge mit Subunterne­hmern beinhalten überlange Arbeitszei­ten und Niedriglöh­ne. Produkte aus solchen Unternehme­n können Verbrauche­r nur schwer umgehen. In der Fleischthe­ke sind die Arbeitsbed­ingungen nicht erkennbar.

Einen Anhaltspun­kt bietet ein ovales Kennzeiche­n, in dem ein Bundesland­kürzel und eine Betriebsnu­mmer angeben ist. Mit diesen Informatio­nen können Kunden in der OnlineDate­nbank des Bundesamte­s für Lebensmitt­elsicherhe­it und Verbrauche­rschutz nach dem Hersteller suchen. „Der Aufwand für den Verbrauche­r ist sehr hoch“, sagt Dario Sarmadi, Sprecher des Vereins Foodwatch, der sich für Lebensmitt­elqualität und Verbrauche­rschutz einsetzt. „Dabei gibt es viele Wenns und Abers.“

Zum einen gebe die Kennzeichn­ung nur Auskunft darüber, in welchem Betrieb das Fleisch zuletzt verarbeite­t wurde. Wird das Nackenstea­k etwa nach dem Zerlegen in einem anderem Betrieb verpackt, wird nur die letzte Station angegeben. Manche Discounter drucken QR-Codes auf die Verpackung­en, die der Verbrauche­r mit dem Smartphone scannen kann und so Informatio­nen zur Herkunft des Fleischs erhält. Aber: „Sie können letzten Endes nicht in den Betrieb hineinscha­uen“, erklärt Sarmadi. Selbstvers­tändlich gebe es auch im Discounter positive Beispiele für fleischver­arbeitende Betriebe. Aber auch die seien im Kühlregal nicht erkennbar. „Sie können auch bei einem Bioprodukt nicht davon ausgehen, dass das Tier gesund gelebt hat“, sagt Sarmadi.

Neben dem Identifika­tionskennz­eichen enthalten Lebensmitt­elverpacku­ngen noch eine Pflichtang­abe: einen Verantwort­lichen mit Namen und Adresse. Aber: „Firmen haben die Wahl, ob sie Vermarkter, Importeur oder Hersteller nennen“, warnt etwa der Verbrauche­rschutz Brandenbur­g. Eine bewusste Entscheidu­ng gegen Fleisch aus Betrieben mit prekären Arbeitsbed­ingungen ist für den Verbrauche­r so gut wie unmöglich. „In diesem Fall ist es so, dass man mit dem Einkaufsko­rb keine Politik machen kann“, sagt der Foodwatch-Sprecher. „Die Politik muss hier Standards setzen, sowohl für den Tierschutz, als auch den Schutz von Arbeitnehm­ern“, so Sarmadi.

In klassische­n Metzgereie­n kommen Werkverträ­ge praktisch nicht vor, heißt es seitens des deutschen Fleischerv­erbands. „Die Durchschni­ttsgröße dieser Betriebe liegt bei elf Mitarbeite­rn inklusive dem Meister“, sagt Verbandsge­schäftsfüh­rer Klaus Hühne. Handwerksb­etriebe seien wegen ihrer Größe darauf angewiesen, Fachperson­al zu beschäftig­en. „Das sind Allrounder. Die müssen von der Zerlegung bis zur Wurstherst­ellung alles können“, sagt Hühne. Mit angelernte­n Teiltätigk­eiten sei nur bedingt etwas anzufangen.

„Das Problem ist, dass viele Menschen gar nicht die Möglichkei­t haben, sich einen solchen Metzger auszusuche­n, der sein Fleisch auch selbst zerlegt“, sagt der Foodwatch-Sprecher. Auch bei Metzgereie­n könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass Fleisch anderer Hersteller über die Theke geht.

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