Klöckner möchte den Fleischmarkt ändern
Landwirtschaftsministerin für schärfere Gesetze, eine Tierwohlabgabe und höhere Preise
(dpa/AFP) - Nach dem massiven Corona-Ausbruch im westfälischen Schlachthof Tönnies dringt Agrarministerin Julia Klöckner auf grundlegende Veränderungen im Fleischmarkt. Die CDU-Politikerin möchte den ständigen Preiskampf und problematische Bedingungen unterbinden. Die seit Jahren bekannten Missstände der Branche gelte es zu beenden. „Es wird keine zweite Chance geben für die gesamte Branche“, sagte Klöckner nach einem Treffen mit Branchen- und Verbandsvertretern am Freitag in Düsseldorf. Der Infektionsausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies sei wie ein Brennglas für das, was falsch laufe. „Das, was wir heute behandelt haben, war keine TönniesFrage, sondern eine System-Frage.“
Klöckner kündigte daher unter anderem an, Gesetzesverschärfungen
zur Preisgestaltung und Lebensmittelwerbung mit Lockpreisen zu prüfen. „Wenn für 100 Gramm Hähnchen 17 Cent verlangt werden, dann kann da kein Tierwohl und dann kann da auch kein Menschenwohl drin stecken.“Die Landwirtschaftsministerin erläuterte, dass die Regierung bereits lange vor dem CoronaSchock eine Expertenkommission eingesetzt habe. Allerdings gebe es für Tierwohl verbal zwar immer viel Zustimmung, aber dann hapere es oft an der Kompromissbereitschaft.
Die Ministerin betonte nun, man müsse „die ganze Kette“in den Blick nehmen, wenn man etwas verändern wolle. Landwirte müssten Ställe umbauen, damit Tiere mehr Platz hätten, auch darüber besteht Einigkeit. Doch wo soll das Geld dafür herkommen? Klöckner sprach sich zuletzt für eine Tierwohlabgabe aus, die eine Expertenkommission vorgeschlagen hatte. Denkbar wären über eine Verbrauchsteuer Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, zwei Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte. Darüber wolle sie bald mit den Parteispitzen im Bundestag sprechen.
Tierschützer und Opposition kritisierten die Ankündigungen als wenig konkret. Sie sind skeptisch, ob den Worten Taten folgen werden. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels wehrte sich indes gegen Kritik, die „einseitig und pauschal“auf Preiswerbung abziele.
Bereits Ende Mai hatte das Kabinett Eckpunkte für Neuregelungen beschlossen, um problematische Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen zu unterbinden. Kern ist ein Verbot von Werkverträgen ab 1. Januar 2021, also dass die komplette Ausführung von Arbeiten bei Subunternehmern eingekauft wird. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) legt nun bereits im Sommer einen Gesetzentwurf vor. Zunächst hatte dieser Vorschlag für Kritik gesorgt, doch am Freitag gaben die Unternehmer ihren Widerstand auf: Der Verband der Fleischwirtschaft teilte mit, das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zu unterstützen. Auch der aus der Quarantäne zugeschaltete Clemens Tönnies habe seine Unterstützung zugesagt, berichtete Klöckner.
Der massive Ausbruch in RhedaWiedenbrück stellt derweil die Gesundheitsämter und Behörden in den betroffenen Kreisen Gütersloh und Warendorf vor Großaufgaben. Mittlerweile werden sogar Drive-inCorona-Tests in einem leeren Hangar des Gütersloher Flughafens angeboten.
- Immer wieder werden Fälle dieser Art bekannt: Arbeiter von fleischverarbeitenden Betrieben leben in beengten Wohnungen, ihre Werkverträge mit Subunternehmern beinhalten überlange Arbeitszeiten und Niedriglöhne. Produkte aus solchen Unternehmen können Verbraucher nur schwer umgehen. In der Fleischtheke sind die Arbeitsbedingungen nicht erkennbar.
Einen Anhaltspunkt bietet ein ovales Kennzeichen, in dem ein Bundeslandkürzel und eine Betriebsnummer angeben ist. Mit diesen Informationen können Kunden in der OnlineDatenbank des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz nach dem Hersteller suchen. „Der Aufwand für den Verbraucher ist sehr hoch“, sagt Dario Sarmadi, Sprecher des Vereins Foodwatch, der sich für Lebensmittelqualität und Verbraucherschutz einsetzt. „Dabei gibt es viele Wenns und Abers.“
Zum einen gebe die Kennzeichnung nur Auskunft darüber, in welchem Betrieb das Fleisch zuletzt verarbeitet wurde. Wird das Nackensteak etwa nach dem Zerlegen in einem anderem Betrieb verpackt, wird nur die letzte Station angegeben. Manche Discounter drucken QR-Codes auf die Verpackungen, die der Verbraucher mit dem Smartphone scannen kann und so Informationen zur Herkunft des Fleischs erhält. Aber: „Sie können letzten Endes nicht in den Betrieb hineinschauen“, erklärt Sarmadi. Selbstverständlich gebe es auch im Discounter positive Beispiele für fleischverarbeitende Betriebe. Aber auch die seien im Kühlregal nicht erkennbar. „Sie können auch bei einem Bioprodukt nicht davon ausgehen, dass das Tier gesund gelebt hat“, sagt Sarmadi.
Neben dem Identifikationskennzeichen enthalten Lebensmittelverpackungen noch eine Pflichtangabe: einen Verantwortlichen mit Namen und Adresse. Aber: „Firmen haben die Wahl, ob sie Vermarkter, Importeur oder Hersteller nennen“, warnt etwa der Verbraucherschutz Brandenburg. Eine bewusste Entscheidung gegen Fleisch aus Betrieben mit prekären Arbeitsbedingungen ist für den Verbraucher so gut wie unmöglich. „In diesem Fall ist es so, dass man mit dem Einkaufskorb keine Politik machen kann“, sagt der Foodwatch-Sprecher. „Die Politik muss hier Standards setzen, sowohl für den Tierschutz, als auch den Schutz von Arbeitnehmern“, so Sarmadi.
In klassischen Metzgereien kommen Werkverträge praktisch nicht vor, heißt es seitens des deutschen Fleischerverbands. „Die Durchschnittsgröße dieser Betriebe liegt bei elf Mitarbeitern inklusive dem Meister“, sagt Verbandsgeschäftsführer Klaus Hühne. Handwerksbetriebe seien wegen ihrer Größe darauf angewiesen, Fachpersonal zu beschäftigen. „Das sind Allrounder. Die müssen von der Zerlegung bis zur Wurstherstellung alles können“, sagt Hühne. Mit angelernten Teiltätigkeiten sei nur bedingt etwas anzufangen.
„Das Problem ist, dass viele Menschen gar nicht die Möglichkeit haben, sich einen solchen Metzger auszusuchen, der sein Fleisch auch selbst zerlegt“, sagt der Foodwatch-Sprecher. Auch bei Metzgereien könne nicht ausgeschlossen werden, dass Fleisch anderer Hersteller über die Theke geht.