Immer mehr Menschen verlassen die Kirche
Rekordzahl an Austritten bei den Katholiken – Bischof Bätzing spricht von „Erosion“
(dpa/AFP) - Der Exodus aus den beiden großen Kirchen hat vergangenes Jahr zusätzlich an Fahrt aufgenommen. Es traten deutlich mehr Menschen aus als in den Vorjahren – und dies ganz ohne aktuellen Skandal. Die katholische Kirche in Deutschland musste so viele Kirchenaustritte hinnehmen wie noch nie zuvor: 2019 traten 272 771 Menschen aus, wie die Deutsche Bischofskonferenz am Freitag in Bonn mitteilte. Dies bedeutete einen sprunghaften Anstieg gegenüber den gut 216 000 Austritten im Jahr 2018 und auch im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2014 mit knapp 218 000 Austritten.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, erklärte, an der Statistik gebe es nichts schönzureden. Auch beim Empfang der Sakramente wie Taufe, Kommunion und Hochzeiten gebe es einen Rückgang. „Der Prozess der Erosion persönlicher Kirchenbindung zeigt sich dort besonders deutlich“, hieß es.
Auch in der evangelischen Kirche gab es mehr Austritte. 270 000 Menschen traten nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus und damit 22 Prozent mehr als im Jahr davor. Es gibt nun in Deutschland 22,6 Millionen Katholiken und 20,7 Millionen Protestanten.
Auch im Süden, in Baden-Württemberg und Bayern, ist die Entwicklung dramatisch.
(epd) - Die Austrittszahlen in evangelischer und katholischer Kirche haben in Baden-Württemberg einen historischen Höchststand erreicht. Bistümer und Landeskirchen verloren 2019 rund 119 000 Mitglieder, das ist ein Rückgang um fast 1,8 Prozent, wie die Kirchen am Freitag mitteilten. Zwei Drittel des Verlusts (82 000) gehen auf das Konto von Austritten, die deutlich zunahmen.
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg bleibt mit knapp 1,96 Millionen Mitgliedern die größte Kirche im Südwesten. Die Austritte sind dort im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent auf 24 109 gestiegen. Eine überraschende Beobachtung hat die württembergische Kirche bei den über 60-Jährigen gemacht: In dieser Gruppe ist die Zahl der Austritte um 50 Prozent gewachsen. Die Kirche will im Herbst die Motive Ausgetretener untersuchen.
Das Erzbistum Freiburg schrumpfte um rund 34 000 Mitglieder auf 1,79 Millionen. Hier stieg die Zahl der Austritte um mehr als 23 Prozent auf knapp 22 300. Außerdem verzeichnete die Erzdiözese einen Rückgang bei den Taufen von 13 157 (2018) auf 12 179 Menschen (minus 7,4 Prozent).
Der Mitgliederbestand in der Diözese Rottenburg ging von 1,82 auf 1,79 Millionen zurück. Auch hier wuchsen die Austritte um 25 Prozent an und erreichten mit 21 861 einen Höchststand. Die Eintritte von 515 (Vorjahr: 665) konnten das nicht wettmachen.
Glimpflicher kam die Evangelische Landeskirche in Baden davon: Bei ihr stiegen die Austritte nur um 13 Prozent auf 13 735. Sie hatte Ende 2019 noch rund 1,12 Millionen Mitglieder, (minus 1,8 Prozent). Bei den Eintritten legte die badische Kirche um vier Prozent zu, ihre Zahl stieg auf 1325.
Die Kirchen zeigten sich betrübt. Matthäus Karrer, Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, nannte die neuen Zahlen „alarmierend und besorgniserregend“. Ausgetretene berichteten davon, dass sie keine Geduld mehr hätten und der Kirche jede Reformkraft absprächen. „Zentrale Punkte sind dabei: Macht- und Hierarchiewahrnehmung, gleichberechtigter Zugang von Frauen zu allen Weiheämtern und die Sexualmoral“, sagte Karrer. In der Diözese RottenburgStuttgart gebe es aber inzwischen mehrere Projekte, um den hohen Austrittszahlen entgegenzuwirken.
Der badische evangelische Oberkirchenrat Martin Wollinsky wies auf Folgen der sinkender Mitgliedszahlen sowie der Corona-Krise für den Kirchenhaushalt hin. „Für die kommenden Jahre steht die Landeskirche vor der Herausforderung, mit dem sinkenden finanziellen Spielraum aufgrund der Mitgliederentwicklung und den hohen Renteneintrittszahlen bei Pfarrerinnen und Pfarrern gut umzugehen“, sagte der landeskirchliche Finanzreferent.
Betroffenheit auch beim Freiburger Erzbischof Stephan Burger: Er sagte, es sei aber kein Naturgesetz, dass die Zahl der Gläubigen sinke. „Es ist bleibender Auftrag der Kirche, den Menschen bewusst zu machen, wie wertvoll unsere kirchliche Gemeinschaft für sie persönlich sein kann.“
Die bundesweite Statistik zeigt einen ähnlichen Trend wie der Südwesten: Rund 20,7 Millionen Menschen waren zum Stichtag 31. Dezember 2019 Mitglied in einer der 20 Landeskirchen der EKD. Das waren rund zwei Prozent weniger als im Vorjahr (21,1 Millionen) und entspricht einem Bevölkerungsanteil von noch knapp 25 Prozent. Der katholischen Kirche gehörten 2019 22,6 Millionen Menschen in Deutschland an (2018: 23,0). Damit sind noch 52,1 Prozent der Deutschen Mitglied einer dieser beiden christlichen Konfessionen.