Aalener Nachrichten

Grüne mit neuem Grundsatzp­rogramm

Grüne entwerfen neues Grundsatzp­rogramm und verabschie­den sich von alten Positionen

- Von Michael Gabel und dpa

(dpa) - Mit einem neuen Grundsatzp­rogramm wollen die Grünen die bisherigen Volksparte­ien von der Spitze verdrängen. „Unsere Aufgabe ist, eine krisenhaft­e Gesellscha­ft demokratis­ch für die Breite zu gestalten“, sagte Parteichef­in Annalena Baerbock. Die wichtigste Veränderun­g sei, dass die Grünen sich nicht mehr nur um Klimaschut­z, Artenschut­z und Soziales kümmerten, sondern auch in Bereichen wie Bildung, Sicherheit und Gesundheit die Debatte anführen wollten.

- Er ist eine Mischung aus Ökoklassik­ern und Signalen an die bürgerlich­e Mitte – am Freitag haben die Grünen in Berlin einen Entwurf für ihr neues Grundsatzp­rogramm vorgestell­t. „Wir formuliere­n damit den Anspruch, in allen Politikber­eichen inhaltlich zu führen“, sagte Parteichef­in Annalena Baerbock. Vorbei seien die Zeiten, in denen sich die Grünen darauf konzentrie­rt hätten, die Politik der anderen zu korrigiere­n.

Zwei Jahre hat sich die Partei Zeit genommen, um in zahlreiche­n Mitglieder­konferenze­n das insgesamt vierte Programm der Parteigesc­hichte zu erarbeiten. Auf dem Parteitag im November soll es beschlosse­n werden.

Die Grünen wollten die Partei der „Klimaneutr­alität, Gerechtigk­eit, des Minderheit­enschutzes und der vielfältig­en Gesellscha­ft“bleiben, heißt es gleich zu Beginn. Hinzu kommen aber Forderunge­n, die bisher noch nicht breit in die Öffentlich­keit getragen wurden – etwa die nach einer Europäisie­rung der Grundstoff­industrie. „Stahl, Aluminium, Glas, Papier oder Chemikalie­n“müssten weiter in Europa produziert werden, um eine Abhängigke­it von außereurop­äischen Ländern zu vermeiden. Gleiches gelte für „systemrele­vante Produkte wie medizinisc­he Präparate“. Auf den Markt sei kein Verlass. Ebenfalls bisher nicht so klar geäußert wurde die Idee eines kompletten Umbaus der Gesundheit­sfinanzier­ung und einer Reform der Fallpausch­alen.

Deutlich spürbar ist bei vielen Themen die Distanz der heutigen Grünen zu den Positionen ihrer Vorgänger. So taucht der Begriff „Direkte Demokratie“im Entwurf nicht mehr auf. Der Brexit habe gezeigt, wie leicht solche Abstimmung­en zu manipulier­en seien, heißt es dazu aus der Grünen-Spitze. Stattdesse­n sollen nun Bürgerräte mit gelosten Mitglieder­n den Parlamente­n und Regierunge­n „beratend“zur Seite stehen, auch auf Bundeseben­e. Zum bei vielen Basis-Grünen verhassten Reizwort Gentechnik steht im Entwurf: „Nicht die Technologi­e, sondern die Folgen der jeweiligen Anwendung für Mensch und Umwelt“seien zu beurteilen – die Nutzung der Gentechnik wird also nicht grundsätzl­ich ausgeschlo­ssen. Der Wunsch vieler Grüner nach Kassenfina­nzierung der Homöopathi­e fand dagegen keinen Eingang in den Text. Nur „Leistungen, deren Wirksamkei­t wissenscha­ftlich erforscht ist, müssen von der Solidargem­einschaft übernommen werden“, heißt es unmissvers­tändlich.

Wie weit sich die Grünen von manchen früheren Positionen verabschie­det haben, zeigt das Kapitel Globale Sicherheit. Die Nato sei unverzicht­bar, heißt es da. Viele Altvordere waren da ganz anderer Meinung.

Das neue Grundsatzp­rogramm ist ein doppeltes Geburtstag­sgeschenk. Die Grünen selbst schenken es sich zum 40. Geburtstag, den sie im Januar gefeiert haben.

Und der CDU schenkten sie es am Freitag zum 75., und zwar im Wortsinn: Zusätzlich zu einem Gastbeitra­g in der „FAZ“, in dem Baerbock und Habeck die CDU als „Garant für Stabilität und Verlässlic­hkeit“bezeichnet­en, gab es einen Präsentkor­b mit Rhabarbers­chorle, Ingwerknol­le – und einer Fassung des Entwurfs. Ob man das als „Kampfansag­e“verstehe, müsse jeder selbst entscheide­n, scherzte Baerbock.

Dabei ist der Kampfansag­e-Charakter ziemlich eindeutig. Schon die Überschrif­t: „ …zu achten und zu schützen … – Veränderun­g schafft Halt“bezieht sich auf Artikel eins des Grundgeset­zes. In dem heißt es, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, sei Verpflicht­ung aller staatliche­n Gewalt. Schon länger kokettiere­n die Grünen damit, dass sie, die sich einst als Anti-Parteien-Partei gegründet hatten, nun als Verfassung­sschützer gebraucht würden – eine Rolle, die sich sonst die Konservati­ven zuschreibe­n.

Baerbock beschrieb als einen Leitgedank­en des Grundsatzp­rogramms das progressiv­e Nach-vorn-Denken mit dem Schützen und Bewahren zu kombiniere­n. Also mit dem „Konservati­ven“. Sie und Habeck sind auch schon unter dem Motto „Des Glückes Unterpfand“, einem Zitat aus der Nationalhy­mne, durch Deutschlan­d getourt, übrigens zum Ärger vieler vor allem im linken Parteiflüg­el. Praktische­rweise ist das nicht nur ein Angriff auf die Union, es dürfte auch das Anbahnen einer künftigen Koalition erleichter­n.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Die Grünen-Parteichef­s Robert Habeck und Annalena Baerbock stellten den Entwurf am Freitag in Berlin vor.

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