Aalener Nachrichten

Kollektive­s Versagen

Nach dem Bilanzskan­dal bei Wirecard stehen Finanzaufs­icht und Wirtschaft­sprüfer am Pranger

- Von Mischa Ehrhardt und Andreas Knoch

- Nach der Pleite des Dax-Konzerns Wirecard stellt sich nun die Frage, was alles schiefgela­ufen ist, dass es zu solch einer Situation kommen konnte. „It takes two to tango – einen Betrüger und andere, die das nicht bemerken“, bringt der Aktienstra­tege der Baader Bank, Robert Halver dies auf den Punkt. Die Blicke richten sich auf die Verantwort­lichen im Konzern – hier agiert nun vor allem die Staatsanwa­ltschaft in München. Sie richten sich aber auch auf den langjährig­en Wirtschaft­sprüfer des Konzerns, EY. Und auf die Aufsichtsb­ehörde Bafin. „Ein solcher Skandal sollte ein Weckruf sein, dass wir mehr Aufsicht brauchen“, mahnte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD). Das sei man den Beschäftig­ten, Aktionären und dem Finanzplat­z Deutschlan­d schuldig. Das Bundesfina­nzminister­ium prüfe nun die vorhandene­n Aufsichtss­trukturen und werde in den kommenden Tagen ein Konzept ausarbeite­n.

Viele Kleinanlag­er hatten ihr Geld in das vermeintli­che Börsenwund­erkind gesteckt, das vor zwei Jahren die Deutsche Bank im Börsenwert überholte und die altehrwürd­ige Commerzban­k aus dem Dax stieß und auf die Ränge im Mdax verwies. Eine Wirecard-Aktie war Mitte vergangene­r Woche noch über 100 Euro wert, am Freitag kostete ein Anteilssch­ein an der Frankfurte­r Börse nur noch wenig mehr als einen Euro. Die Verluste für die Anleger allein in diesen acht Handelstag­en summieren sich auf gut zwölf Milliarden Euro.

Der Präsident der Finanzdien­stleistung­saufsicht Bafin, Felix Hufeld, spricht von einem Desaster und räumte Versäumnis­se seiner Behörde ein. Am Mittwoch soll Hufeld im Finanzauss­chuss Rede und Antwort stehen. Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewe­gung Finanzwend­e kritisiert, dass vor allem der Blick der Aufsicht in den vergangene­n Jahren zu beschränkt blieb. „Das Problem war vor allem, dass man nur formal jeweils auf die WirecardBa­nktochter geschaut hat. Niemand kam auf die Idee, sich diesen großen Finanzkonz­ern mal insgesamt anzuschaue­n. Das aber wäre auch bei gegebenen Regeln möglich gewesen.“

Gerade in Zeiten, wo im Rahmen der zunehmende­n Digitalisi­erung neue Finanzdien­stleister entstehen, die im Zweifel schnell wachsen und global agieren, sei eine entspreche­nde Antwort seitens der Aufseher notwendig. „Meine Forderung wäre, dass so große Finanzdien­stleister in Zukunft von der europäisch­en Zentralban­k beaufsicht­igt werden.“

Die Bürgerbewe­gung Finanzwend­e fordert eine unabhängig­e Untersuchu­ng des Falls. Unrühmlich ist die Rolle der Finanzdien­stleistung­saufsicht Bafin im Fall Wirecard auch deswegen, weil es seit Langem viele Hinweise gab, dass es in der Wirecard-Bilanz und bei Töchtern im asiatische­n Raum nicht mit rechten Dingen zugehe. Die „Financial Times“hatte das in einer Serie von Artikeln beschriebe­n. Statt diesen Hinweisen nachzugehe­n hatte die Bafin Anzeige gegen die Journalist­en der Zeitung wegen des Verdachtes auf Marktmanip­ulation erstattet. „Es ist wirklich skandalös. Wo die Bafin etwas gemacht hat, ist sie in der falschen Richtung tätig gewesen. Sie hat die Aufklärer angegriffe­n, anstatt den Vorwürfen wirklich nachzugehe­n.“

Doch auch die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY hat es offenbar lange Zeit nicht für nötig befunden, den Vorwürfen gegen Wirecard auf den Grund zu gehen. Rund zehn Jahre hat sie die Wirecard-Bilanzen als einwandfre­i testiert. Erst vor wenigen Tagen haben sich die Prüfer geweigert, ihren Stempel unter die Bilanz zu setzen. „Die Prüfungsge­sellschaft EY, die hier doch seit längerer Zeit tätig ist, hätte dem intensiver nachgehen müssen und hat die Luftbuchun­gen nicht genug hinterfrag­t“, sagt Wolfgang Gerke vom Bayerische­n Finanzzent­rum.

Die Schutzgeme­inschaft der Kapitalanl­eger hat am Freitag bekannt gegeben, Strafanzei­ge gegen zwei amtierende und einen ehemaligen Abschlussp­rüfer von EY zu stellen. Nach Informatio­nen des Nachrichte­nmagazins „Spiegel“will auch der japanische Technologi­ekonzern Softbank EY juristisch in Anspruch nehmen. Softbank hatte im vergangene­n Jahr eine Wandelanle­ihe von Wirecard im Volumen von 900 Millionen Euro gezeichnet. Und auch die auf Kapitalmar­ktrecht spezialisi­erte Kanzlei Tilp aus Kirchentel­linsfurt bei Stuttgart, will ihr bereits Mitte Mai gegen Wirecard angestreng­te Musterverf­ahren vor dem Landgerich­t München auf EY erweitern.

Die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t selbst spricht – ungeachtet ihrer Verschwieg­enheitspfl­icht – von einem ausgeklüge­lten, weltumspan­nenden Betrugssys­tem, mit dem sie und Anleger hinters Licht geführt worden seien und versteht sich selbst als Aufklärer in der aktuellen Situation. So weist EY explizit darauf hin, dass es die eigenen Abschlussp­rüfer

gewesen seien, die die gefälschte­n Belege über die nicht auffindbar­en 1,9 Milliarden Euro einer philippini­schen Bank aufgespürt hätten. Doch dies beantworte­t die Frage nicht, was mit den von EY testierten Wirecard-Abschlüsse­n der Jahre 2018 und davor ist.

Der Zusammenbr­uch von Wirecard hat auch die EU-Kommission auf den Plan gerufen. So will Brüssel prüfen lassen, ob die deutsche Finanzaufs­icht Bafin bei der Kontrolle über den Zahlungsdi­enstleiste­r versagt hat. Diesen ungewöhnli­chen Schritt hat die Kommission am Freitag mitgeteilt. Die Bundesregi­erung sprach von einem „besorgnise­rregenden Fall“. Nun müsse die Staatsanwa­ltschaft klären, ob ein Bilanzbetr­ug vorliegt. Schwächen bei Kontrollme­chanismen müssten nun behoben werden. Rechtsanwa­lt Andreas Tilp geht davon aus, dass die Causa Wirecard eine Initialzün­dung für eine schärfere Aufsicht und neue Gesetze ist.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Bafin-Chef Felix Hufeld: Die deutsche Finanzaufs­icht steht stark unter Druck, weil ihr die mutmaßlich­en Manipulati­onen nicht auffielen.

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