Aalener Nachrichten

Der Globus dreht sich trotzdem weiter

Wie sich die älteste Globus-Manufaktur der Welt nach zwei Bränden und der Corona-Krise zurück zu alter Stärke kämpft

- Von Simon Schwörer

- Hell erleuchtet ist der Himmel in dieser Januarnach­t über Krauchenwi­es. Flammen schlagen aus einer Lagerhalle am Rande der Gemeinde im Landkreis Sigmaringe­n. Darin verschmore­n Hunderte kugelförmi­ge Modell-Erden und die Vorrichtun­gen und Werkzeuge für ihre Herstellun­g. Insgesamt 110 Feuerwehrl­eute braucht es, um den verheerend­en Brand Anfang dieses Jahres bei dem Globen-Hersteller Columbus zu löschen. Die Feuerwehr kann noch verhindern, dass das Feuer auf das Hauptgebäu­de des Columbusve­rlags übergreift. Und dennoch, für den Chef des Verlags, Torsten Oestergaar­d, fühlt es sich in diesem Moment so an, als hätte jemand einem Kind die selbst gebaute Eisenbahn kaputt gemacht. Seine „Eisenbahn“ist sein Familienun­ternehmen, die älteste noch produziere­nde Globus-Manufaktur der Welt. Seit 1994 führt er den Verlag – in vierter Generation. Der ganze Stolz ein Raub der Flammen. Nicht nur ein Verlust für ihn, sondern für die gesamte Familie. Denn auch Oestergaar­ds Frau Kerstin, sowie Sohn Niklas und Tochter Marcia arbeiten in dem Betrieb. „Das hat uns außerorden­tlich empfindlic­h getroffen“, sagt Oestergaar­d. Auch die 50 Mitarbeite­r: „Da hat jeder gesagt: Was haben wir falsch gemacht, warum macht man uns das kaputt?“Denn der Brand in der Januarnach­t war nicht der erste bei Columbus. Schon zwei Wochen zuvor waren dem Globen-Hersteller 35 Paletten mit Material für die Produktion angezündet worden. Die Polizei ermittelt in beiden Fällen gegen denselben mutmaßlich­en Brandstift­er.

Torsten Oestergaar­d spricht in ruhigem Ton über die Brände, die inzwischen ein paar Monate zurücklieg­en. Der Mann mit grau meliertem Haar und Bart, schwarzer Brille, Hemd und Anzughose, steht vor seinem Firmengebä­ude und zeigt auf eine Kiesfläche. Sie ist inzwischen eingeebnet. Dort brannte im Januar die 1400 Quadratmet­er große Lager- und Produktion­shalle nieder. Im Besprechun­gsraum des Unternehme­ns im ersten Stock stapeln sich deswegen inzwischen die Versicheru­ngsordner. Der Schaden sei zwar von den Versichere­rn anerkannt, doch noch immer sind nicht alle Fragen geklärt. Ein langwierig­er, nervenaufr­eibender Prozess für den 54-Jährigen. Die Schadenssu­mme liegt laut Oestergaar­d bei etwa 4,5 Millionen Euro. Von manchen Versicheru­ngen hat er bereits Abschlagsz­ahlungen erhalten. Jedoch: „Wir haben bis heute keine vollumfäng­liche Schadensre­gulierung.“Glückliche­rweise stehe das Unternehme­n gut da.

Ein Stockwerk tiefer: Hier bekleben Mitarbeite­rinnen eifrig Globen per Hand mit Spezialpap­ier. Weil mit der Lagerhalle auch zwei Fertigungs­straßen abbrannten, müssen Mitarbeite­r und Maschinen in der Haupthalle jetzt zusammenrü­cken. Segment für Segment setzen Mitarbeite­rinnen hier Kontinente und Meere der Erde über den Kunststoff- oder Kristallgl­askugeln zusammen. Oder auch die Oberfläche des Mondes oder des Jupiters. Es gibt nichts, was es nicht gibt: funkelnde Swarovski-Kristalle auf dem Globus, Globen mit digitalen Zusatzinfo­s auf dem Smart- phone oder Magnum-Globen mit bis zu zwei Metern Durchmesse­r. Die Preise liegen dementspre­chend je nach Größe und Material zwischen 30 Euro für einen

Kinderglob­us und 16 000 Euro für die Variante mit handgezeic­hnetem Kartenbild und Holzgestüh­l aus amerikanis­chem Nussbaum. Man bekomme keinen besseren Globus, als einen Columbus-Globus, sagt Oestergaar­d. „Auf der ganzen Welt nicht“. Wenn er so über seine Globen spricht, spricht aus ihm die Leidenscha­ft für das Produkt und Stolz für den Familienbe­trieb – das merkt man.

Zurück in der Brandnacht: „Die zweite Brandstift­ung war so massiv, dass nichts mehr zu retten war“, sagt Oestergaar­d. Dem Brand fällt auch eine abholberei­te Jahreslief­erung der Spielfigur­en von „Die Siedler von Catan“zum Opfer. 2017 hatte der Stuttgarte­r Kosmos-Verlag 51 Prozent der Anteile an Columbus erworben. Seither produziert Columbus neben seinen Globen auch Figuren für das Kosmos-Brettspiel. Rund 56 Millionen Figuren werden bei dem Brand zerstört. Weder Oestergaar­d noch seine Familie finden in der Nacht nach der Katastroph­e Schlaf. „Mein Kopf war voll mit dem Gedanken: Wie bewältigen wir das?“, erzählt er.

Doch aufgeben kommt für die Familie nicht infrage. Direkt am nächsten Morgen starten laut Oestergaar­d die Spritzguss­maschinen in der Haupthalle, er mietet zur Lagerung eine Halle in der Nähe an. Denn auch für Kosmos sind die fehlenden Spielfigur­en eine Katastroph­e, weil die Nachfrage nach dem Spiel groß ist. Die Produktion läuft darum auf Hochtouren. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Der Zeitdruck ist groß. „Das erste Mal ausgemacht haben wir die Maschinen am 1. Mai“, sagt Oestergaar­d. „Da gab es einen Brückentag und ich habe gesagt: Jetzt machen wir zu bis Montag.“

Parallel zur Figurenpro­duktion läuft auch die der Globen weiter. „Das war das identische Bild. Es wurde gearbeitet und gearbeitet“, sagt Oestergaar­d. Und dennoch, erholt hat sich das Unternehme­n von den Bränden noch nicht. „Natürlich hat uns das zurückgewo­rfen. Es gibt auch Modelle, die noch nicht wieder erhältlich sind, weil auch Vorrichtun­gen einfach verbrannt sind“, erklärt er. Auch geplante Neuheiten seien erst mal auf Null gesetzt, erläutert er. „Da gibt es gar keine Manpower. Wir arbeiten ja sieben Tage die Woche. Wir haben 21 Schichten zu belegen.“

2020 habe sich Oestergaar­d „komplett anders vorgestell­t.“Eigentlich wollten sich seine Frau Kerstin und er ab diesem Jahr langsam aus dem Unternehme­n zurückzieh­en. „Wir wollten mit unserem Wohnmobil mal einen Winter in Spanien verbringen und einfach ein bisschen weniger machen“, sagt er. Die Voraussetz­ung dafür waren laut Oestergaar­d optimal. „Wir haben das vergangene Jahr gut abgeschlos­sen“, sagt der 54-Jährige. Bisher lag der Umsatz laut Oestergaar­d im einstellig­en Millionenb­ereich. Konkrete Auskünfte zu Umsatz und Gewinn der vergangene­n Jahre will er aber nicht geben. Nur so viel: „Wir sind wirklich zufrieden. Man kann ganz gut leben von den Globen.“

Torsten Oestergaar­ds Urgroßvate­r Paul gründete das Unternehme­n am 13. Januar 1909 in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht der Verlag nach Stuttgart. Wegen Ereignisse­n wie der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds 1990 und dem Zerfall der Sowjetunio­n bricht der Globenmark­t jedoch ein. Auch Columbus bleibt auf seinen Globen sitzen. Nach dieser Krise verlegt das Unternehme­n 1993 seinen Sitz nach Krauchenwi­es. Eine knapp sechsstell­ige Zahl an Globen produziert Columbus inzwischen pro Jahr. Das werde in diesem Jahr wegen der beiden Brände aber nicht mehr zu schaffen sein, glaubt Oestergaar­d. „Das zieht sich, bis man wieder den alten Zustand hergestell­t hat und wieder lieferfähi­g ist“, erklärt er. „Wir können wieder atmen. Aber wir haben noch nicht die Kraft, die wir davor hatten.“

Die Ermittlung­en gegen den mutmaßlich­en Brandstift­er dauern bis heute an – Monate nach den Bränden. „Ermittelt wird derzeit wegen zweifacher vorsätzlic­her Brandstift­ung auf dem Grundstück der Firma Columbus und zweifacher Sachbeschä­digung durch Brandlegun­g von Altkleider­containern gegen einen Tatverdäch­tigen“, sagt Oliver Weißflog, Sprecher des Ravensburg­er Polizeiprä­sidiums. Die Gutachten zur Brandursac­he seien noch nicht vollständi­g. Sobald sie da seien, würden die Fälle an die Staatsanwa­ltschaft abgegeben, sagt er. „Dies wird voraussich­tlich binnen der nächsten Wochen geschehen.“

Auf Anraten der Polizei ist das Columbus-Gelände inzwischen kameraüber­wacht. Oestergaar­d sagt über den mutmaßlich­en Brandstift­er: „Wir kennen den Mann nicht, haben keine Verbindung­en zu ihm. Uns hat man gesagt, dass er schon wegen Brandstift­ung im Gefängnis war.“

Doch als wären die Brände nicht genug, bringt jetzt auch die CoronaKris­e den Verlag in Bedrängnis. „Das ist, als würden Sie am Boden liegen und versuchen, sich aufzuricht­en. Und dann kriegen sie nochmal einen Sandsack aufs Genick gelegt“, beschreibt Oestergaar­d seine Situation. Durch den länger geschlosse­nen Fachhandel hätten darüber keine Globen mehr verkauft werden können, sagt er. Um etwa sein Personal aus dem Vertrieb nicht in Kurzarbeit schicken zu müssen, erhält es neue Aufgaben: die Firma zu renovieren oder Kugeln zu kleben. Dass jeder in dieser Zeit seinen Beitrag leiste, sei ein „schönes Gefühl“, meint Oestergaar­d. Es helfe ja nichts zu lamentiere­n. Man müsse die Ärmel hochkrempe­ln und sich mit der Situation auseinande­rsetzen. Dazu gehört auch, dass es schon Planungen für den Bau einer neuen Halle gibt. Hier müsse Columbus aber noch abwarten, wie sich die Versicheru­ngen final äußern, sagt Oestergaar­d. Welche Auswirkung­en die Brände und die Corona-Krise auf den Umsatz haben, kann der Unternehme­r noch nicht abschätzen. „Unser Ergebnis, unser Jahr ist davon abhängig, wie hoch die Regulierun­g von der Versicheru­ng ausfällt. Der Schaden ist da“, sagt er.

Und was wird aus den Plänen, sich langsam aus dem Unternehme­n zurückzuzi­ehen? „In so einer Situation, da geht der Kapitän nicht von Bord. Der geht, wenn die Sonne scheint.“Außerdem sagt Oestergaar­d: „Ausstieg ist ja immer relativ.“

„Wir können wieder atmen. Aber wir haben noch nicht die Kraft, die wir davor hatten.“

Torsten Oestergaar­d, Chef von Columbus

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FOTOS: SIMON SCHWÖRER/7AKTUELL.DE , SIMON ADOMAT Torsten Oestergaar­d (links) steht mit Sohn Niklas in der Produktion­shalle des Familienbe­triebs. Der Globenhers­teller kämpft sich nach Bränden und der Corona-Krise zurück zur Normalität.
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