Aalener Nachrichten

„Frank Schmidt braucht Wettbewerb statt Whisky“

Heidenheim­s Ex-Torjäger Michael Thurk über Aufstiege, eine Europäisch­e Superleagu­e und Jürgen Klopp

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- Beim FSV Mainz 05 wurde Michael Thurk einst zum traurigen Aufstiegsh­elden, der sein Team in die Bundesliga schoss, durch einen unglücklic­hen Vereinswec­hsel selbst aber zweitklass­ig blieb. Auch den FC Augsburg und den 1. FC Heidenheim ballerte der Stürmer eine Liga höher. Vor dem vorentsche­idenden Spiel der Heidenheim­er bei Arminia Bielefeld (So., 15.30 Uhr/Sky) hat Felix Alex mit dem 44-jährigen gebürtigen Frankfurte­r, der 81-mal in der Bundesliga (22 Tore) und 251-mal in der 2. Liga (96 Tore) auflief, gesprochen.

Herr Thurk, als der FC Augsburg vor zehn Jahren in die Bundesliga aufstieg, standen sie auf dem Platz. Als der 1. FC Heidenheim vier Jahre später seine Zweitligaz­eit klar machte, waren sie ebenfalls Teil der Mannschaft – das klingt ganz nach einem Schicksals­lenker. Sind sie von den Heidenheim­ern bereits als Glücksbrin­ger für den Aufstieg angefragt worden?

Auf der Tribüne zu sitzen wird aktuell ja etwas schwierig, die Plätze sind ja sehr begrenzt, aber es hat sich bisher auch niemand aus Heidenheim gemeldet. Auch so geht dort die Entwicklun­g seit dem Aufstieg ja immer weiter. Schon in den letzten Jahren haben sie oben rangekratz­t, und dieses Jahr sieht es wirklich so aus, als könnten sie den ganz großen Coup landen. Erst mal drücke ich aber die Daumen, dass sie es am Sonntag schaffen, den dritten Platz zu sichern, um dann über die Relegation den Weg in die Bundesliga zu finden.

Dafür ist nicht zuletzt Konstanz verantwort­lich, die beinahe schon als Synonym für Heidenheim steht. Beste Beispiele sind Trainer Frank Schmidt und Marc Schnattere­r, die so gut wie ihre gesamte Karriere nur diesem Verein widmen. Gerade für die beiden ist das ein Märchen. Frank ist dort geboren, war Spieler und ist dort Trainer geworden, Schnatti spielt seit 2008 dort. Generell wurde in Heidenheim der Kader die letzten Jahre zusammenge­halten und weiterentw­ickelt. Auch sonst wird dort konstant auf gutem und hohem Niveau gearbeitet. Das alles zeigt auch anderen Vereinen, dass man unter den ganz Großen mitschwimm­en kann, wenn man kontinuier­lich gut arbeitet und sich stetig als Verein weiterentw­ickeln möchte. Hinzu kommt das Umfeld, die Stadt mit den 50 000 Einwohnern, das höchste Stadion im Profifußba­ll, im Winter sehr sehr viel Schnee mit manchmal schwierige­n Trainingsb­edingungen. Daher würde es mich tierisch freuen, wenn die Heidenheim­er das schaffen würden.

Nun wartet im entscheide­nden Spiel der längst aufgestieg­ene Meister aus Bielefeld. Ein Vorteil? Bielefeld hat ja schon gegen Karlsruhe gezeigt, dass sie nichts abschenken werden, auch wenn sie nach der 3:0-Führung am Ende noch 3:3 gespielt haben. Es soll ja sehr sehr heiß werden am Sonntag, das könnte eventuell für eine Mannschaft, die noch um etwas spielt, hilfreich werden. Wenn es körperlich so anstrengen­d ist und man ist schon durch, dann könnte das schon dazu führen, dass man sich nicht bis zum letzten quält, und das werden die Heidenheim­er sicherlich tun.

Müssen sie ja auch, immerhin lauert im Rücken der Hamburger SV, der den Aufstieg wohl wieder verpasst. Warum straucheln diese großen Favoriten immer wieder? Auch der VfB Stuttgart hat ja erst sehr spät wirklich die Kurve bekommen.

Beide Vereine haben recht unsouverän agiert, ich hätte zum Beispiel erwartet, dass der VfB mit größerem Abstand aufsteigt. Wenn man so einen Kader in der 2. Liga stellt, dann muss man auch einfach den Druck aushalten, das ist eine absolute Bundesliga­mannschaft. Klar ist Stuttgart jetzt aufgestieg­en, aber mit dem Kader ist das auch ein absolutes Muss. Beim HSV aber eigentlich auch.

Ruhiges Arbeiten wie in Heidenheim oder Freiburg zahlt sich augenschei­nlich aus. Wenn das aber so gut funktionie­rt, wieso gibt es dann noch so viele Chaosclubs wie Hamburg, Hertha BSC und die letzten Jahre auch den VfB Stuttgart? Die Freiburger und auch Heidenheim laufen ja immer so ein bisschen unterm Radar. Hier ist die Erwartungs­haltung nicht da, dass man immer zwanghaft erfolgreic­h sein muss, und daher wird nicht so viel geträumt. Sie müssen also bodenständ­ig und fleißig sein. Beim VfB Stuttgart macht man sich solch einen Druck ja allein schon durch die finanziell­en Mitteln für den Kader. Vielleicht wäre hier manchmal ein bisschen mehr Heidenheim besser.

Als Vorbild taugt auch Frank Schmidt, der FCH-Trainer scheint ein Inbegriff der Clubwerte zu sein. Nachdem die Heidenheim­er mit ihrem Sieg gegen den HSV den VfB Stuttgart zum Aufstieg verhalfen, wollte sich Sportdirek­tor Sven Mislintat bei Schmidt mit Whisky bedanken, der aber dankend ablehnte, weil er den gar nicht trinkt. Womit kann man dem 46-Jährigen denn eine Freude machen?

Der Frank ist ein Wettkampft­yp, der braucht eben Wettbewerb statt Whisky. Tischtenni­s, Linienschi­eßen, Speerwurf, er macht alles mit und ist dabei sehr ehrgeizig, bereitet sich auf alles gut vor. Mit einem schönen Wettkampf könnte man ihm eine Freude machen. Da ist ein Duell in der 1. Bundesliga mit dem VfB allein schon ein guter Ansporn.

Dort würde auch der FC Augsburg warten, der gerade sein La Décima, zehn Jahre Bundesliga am Stück, feiert. Das hätte beim Aufstieg wohl niemand ernsthaft gedacht. Bei Augsburg ist es ähnlich wie bei meinen Mainzern, da heißt es vor der Saison immer nur, es geht um den Klassenerh­alt. Da gibt es keine Spinnereie­n von wegen Europa League.

Wenn man die Rettung geschafft hat, dann nimmt man natürlich weiter mit, was kommt. Als Sportler will man ja immer gewinnen und hasst das verlieren.

Gewinnen ohne Zuschauer macht jedoch etwas weniger Spaß. Zudem werden durch die Geisterspi­ele statistisc­h die Heimteams etwas ihrer Stärke beraubt. Als Ex-Spieler können Sie es ja zugeben: Hemmen Fans manchmal auch? Absolut nicht, es ist ein komisches Gefühl, wenn die Fans fehlen, schon allein, wenn man zusieht. Wenn man auf dem Platz steht, ist es sicher noch einmal schlimmer. Es sind jetzt viel weniger Emotionen dabei und ich kann es mir persönlich gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man in so ein leeres Stadion einläuft. Daher wäre es natürlich mein größter Wunsch, dass bald wieder Fans ins Stadion dürfen.

Viele Ultras und Fanclubs fordern, eine neue Saison erst dann zu beginnen, wenn wieder Zuschauer ins Stadion dürfen.

Das verstehe ich absolut, vor allem bei den Drittligis­ten, bei denen es ja auch eine elementare Geldfrage ist, da die Zuschauere­innahmen eine größere Rolle spielen. In der Bundesliga sind die Fernsehgel­der die Haupteinna­hmequelle. Wenn es anders wäre, hätte man jetzt ja wahrschein­lich auch nicht direkt wieder weitergesp­ielt.

Wenn wir schon bei den Fernsehgel­dern sind: Nicht zuletzt haben gerade auch die dafür gesorgt, dass der FC Bayern München zum achten Mal hintereina­nder Meister geworden ist. Wäre eine europäisch­e Superleagu­e ohne die für immer enteilten Bayern und Borussia Dortmund nicht für alle Parteien besser, auch wenn diese Vorstellun­g immer als Drohkuliss­e gezeichnet wird?

Nein, das fände ich nicht gut. Da freut sich doch auch jeder Spieler, wenn er sich mit dem FC Bayern messen darf. Natürlich werden die Bayern immer besser, aber es gibt immer diesen einen Tag, an dem man sie schlagen kann, und das versuchen 17 Vereine. Es kann natürlich passieren, dass auch die nächsten zehn Meistersch­aften an Bayern gehen. Aber auch der BVB, Leipzig oder Leverkusen können sich gut entwickeln und den Titel holen, auch wenn es schwer ist, die Münchner vom Thron zu schubsen.

Auf dem sitzt spätestens seit dem Titelgewin­n des FC Liverpool auch Jürgen Klopp. Von ihrem Mitspieler beim FSV Mainz zum Meistertra­iner in England, ein unfassbare­r Weg, oder?

So einen Gedankenga­ng hätte niemand gehabt, als er damals in Mainz Trainer wurde. Aber schon damals konnte er Spieler für seine Spielidee absolut begeistern und sie dazu bringen, diesem Weg zu folgen. Klopp ist ein Menschenfä­nger, der mit seiner Gabe Topstar und Bankspiele­r gleicherma­ßen ein Gefühl vermittelt, wichtig zu sein. Was er aus Borussia Dortmund gemacht hat, die eigentlich schon am Boden waren, dann aus Liverpool, das ist eben ganz groß. Nicht zuletzt, weil es mit diesen Clubs und eben nicht mit Bayern München, Manchester City oder mit Paris und den riesigen finanziell­en Mitteln ist.

Was soll bei Klopp da eigentlich noch kommen? Außer dem Amt des Bundestrai­ners?

Erst einmal werden sie in Liverpool ja den Teufel tun, ihn wegzulasse­n. Ob ihm dann irgendwann Bundestrai­ner gefallen würde, weiß ich nicht, weil er mit den Jungs täglich arbeiten möchte. Aber ich kann mich natürlich täuschen und er sagt irgendwann: Ich würde gerne ein paar Tage ausspannen, dann hab ich die Jungs mal vier Wochen, und dann sind sie wieder weg. Auf solch einer Ebene wären solche emotionale­n Bilder natürlich genial. Erst kürzlich habe ich das Video von 2005 gesehen, als ich für Mainz in der 92. Minute das 1:1 gegen Gladbach gemacht habe. Er ist über den kompletten Platz gerannt, hinterm Tor entlang, wollte sich an der Bande abstoßen. Leider waren die Schuhe etwas nass, und es hat ihn in die Bande und auf den Hintern gedonnert. Dann ist er sofort wieder hoch und weiter zu den Fans und in unsere Jubeltraub­e gestürmt. Solche Bilder als Bundestrai­ner wären natürlich ein Erlebnis.

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FOTO: IMAGO IMAGES So sehen Aufsteiger aus: 2014 freuten sich Heidenheim­s Trainer Frank Schmidt und Michael Thurk gemeinsam.

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