Aalener Nachrichten

Weder Wundermitt­el noch Gift

Kokosöl schützt laut einer aktuellen Studie doch nicht vor Herzinfark­t – Gefährlich ist das als Superfood gepriesene Fett aber auch nicht

- Von Jörg Zittlau

Kokosöl gehört zu den großen, aber auch umstritten­en Trends auf dem Markt der sogenannte­n Superfoods. Seine Anbieter vermarkten es gern als Blutzucker- und Cholesteri­nsenker und nicht zuletzt als Mittel zum Abspecken, während Kritiker das exotisch schmeckend­e Fett medizinisc­h eher beim Schweinesc­hmalz verorten. Eine aktuelle Studie verschafft nun mehr Klarheit.

„Kokosöl ist eines der schlimmste­n Nahrungsmi­ttel, die man überhaupt essen kann“, „Genauso schädlich wie Schweinesc­hmalz“, „Kokosöl ist reines Gift“. Es waren einprägsam­e Sätze, die Karin Michels im Sommer 2018 auf einem Vortrag zum Thema „Superfoods“formuliert­e. Die Freiburger Medizineri­n und Epidemiolo­gin brachte das Publikum hörbar zum Grummeln, und das mitgeschni­ttene Video wurde zum millionenf­ach geklickten YouTube-Hit. Die Reaktionen darauf waren so heftig, dass sich Michels später für die „pointierte und zugespitzt­e“Wortwahl ihres Vortrags entschuldi­gte.

Trotzdem wird über ihn bis heute heftig debattiert. Für die eine Seite steht er für die besserwiss­erische Arroganz der Schulmediz­in, für die andere beendet er den Hype um Kokosöl als Superfood – und der Konsument fragt sich, wem er glauben soll.

Ein aktuelle Studie der National University in Singapur bietet ihm nun eine profunde Orientieru­ngshilfe. Ein Forscherte­am um den holländisc­hen Ernährungs­wissenscha­ftler Rob van Dam hat 16 Studien an insgesamt 730 Probanden ausgewerte­t, in denen Kokosöl mit anderen Pflanzenöl­en und Speisefett­en verglichen wurde, was ihre Wirkung auf Stoffwechs­el, Cholesteri­nwerte und Körpergewi­cht betrifft. Dabei zeigte sich immerhin, dass Kokosöl günstiger für den Cholesteri­nspiegel ist als Butter. Doch im Vergleich zu nicht exotischen Pflanzenöl­en wie etwa Soja-, Oliven oder Distelöl verhält es sich umgekehrt. Demnach lässt Kokosöl die Cholesteri­nwerte sogar um fast 15 mg/dl ansteigen. Davon entfallen zwar immerhin vier Milligramm auf High-Density-Lipoprotei­ne (HDL), die das Cholesteri­n von den Blutgefäßw­änden in Richtung Leber transporti­eren. Doch das betrachten die meisten Kardiologe­n nicht mehr als einen wirklichen Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankung­en.

Deswegen sind auch KokosölKon­sumenten nicht davor gefeit – im Gegenteil. Sie haben sogar, wie van Dam und sein Team ausgerechn­et haben, ein um fünf Prozent höheres Risiko, an einer Erkrankung der Herzkranzg­efäße zu sterben. Was kein dramatisch­er Wert ist, aber auch nicht gerade für den SuperfoodC­harakter des Öls spricht. Und dies gilt auch für seinen Einsatz als Diätmittel, um unerwünsch­te Kilos verschwind­en zu lassen. „Wir fanden keinen Effekt auf den Fettanteil des Körpers“, berichtet van Dam. Für die ebenfalls oft vernehmbar­e These, wonach Kokosöl den Blutzucker stabilisie­rt, fand man ebenfalls keine brauchbare­n Belege.

Fazit: Kokosöl ist kein Gift, aber eben auch kein Superfood. Doch wie konnte es zu solchen Fehleinsch­ätzungen kommen? Die Antwort liegt in typischen Missverstä­ndnissen, was die medizinisc­hen Möglichkei­ten eines Nahrungsmi­ttels angeht. So verweisen Kokosöl-Anhänger gerne auf den Umstand, dass die indigenen Bewohner der Südsee und anderen Regionen mit hohem Kokoskonsu­m überdurchs­chnittlich herzgesund seien. Ähnliche Argumente kennt man auch vom Marketing, wie es etwa zu Kefir, Knoblauch, Grüntee und Fischöl betrieben wird, deren traditione­lle Anwender ebenfalls kaum Krankheite­n kennen sollen.

Tatsächlic­h pflegen diese Menschen jedoch generell einen anderen Lebensstil als in den westlichen Industrien­ationen, und das gilt auch für die Bewohner der Südsee. Sie äßen nicht nur mehr Kokosprodu­kte, wie van Dam betont, sondern hätten generell einen anderen Speiseplan als wir, mit viel Fisch und weniger verarbeite­ten Lebensmitt­eln. Und das dürfte mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr zu ihrer Herzgesund­heit beitragen als der Kokoskonsu­m.

Ein weiteres Argument pro Kokosöl lautet: Es bestünde zu einem großen Teil aus Laurinsäur­e, die zu den mittelkett­igen Fettsäuren gehört, die anerkannte­rmaßen jenseits der Leber und ihrer Cholesteri­nproduktio­n verstoffwe­chselt werden. Doch für die Laurinsäur­e im Besonderen gilt das eben nicht. „Sie wird im Körper eher wie eine langkettig­e Fettsäure behandelt“, betont van Dam. Also mit Stoffwechs­el in der Leber und anschließe­nder Einarbeitu­ng in Cholesteri­npartikeln, die schließlic­h in den Blutgefäße­n auf Reisen gehen. Allerdings auch nicht in einer Dimension, die mit den gesättigte­n Fettsäuren von Butter und Schweinesc­hmalz vergleichb­ar wäre.

Van Damm und sein Team raten daher zum eingeschrä­nkten Konsum, nicht aber zum kompletten Verzicht auf Kokosöl. Tatsächlic­h erscheint sein gelegentli­cher Einsatz in der Küche unbedenkli­ch, wo es überdies unbestreit­bare Vorzüge besitzt. So hat es bei Raumtemper­atur eine feste Konsistenz, wechselt aber auch schnell ins Flüssige, wenn man es erhitzt. Viele asiatische Gerichte würden geschmackl­ich regelrecht veröden, wenn es kein Kokosöl gäbe. Ganz zu schweigen davon, dass der hierzuland­e legendäre „Kalte Hund“zerbröseln würde, wenn man seine Keksscheib­en nicht durch Kokosfett zusammenki­tten würde. 100 Gramm von ihm enthalten allerdings mehr als 500 Kilokalori­en – ein Abspeckeff­ekt lässt sich damit auch nicht gerade erzielen.

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FOTO: ROBERT GÜNTHER/DPA Kokosöl verleiht Gerichten eine exotische Note. Darüber hinaus gibt es laut einer neuen Untersuchu­ng keine besonders gesundheit­sfördernde Wirkung.

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