Zuversicht beim Zulieferer ZF
Der Zulieferer ZF schreibt im ersten Halbjahr Verluste, strebt aber für 2020 dennoch einen operativen Gewinn an
(ben) - Die Auswirkungen der Corona-Krise haben den Friedrichshafener Autozulieferer ZF in die Verlustzone gebracht: In den ersten sechs Monaten 2020 erwirtschaftete das Unternehmen einen operativen Verlust von 177 Millionen Euro, wie das Unternehmen am Freitag in Friedrichshafen am Bodensee mitteilte. Der Umsatz sank um 27 Prozent auf 13,5 Milliarden Euro im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019. Dennoch geht Vorstandschef Wolf-Henning Scheider zuversichtlich ins zweite Halbjahr: Auf Jahressicht strebe ZF wieder einen operativen Gewinn an.
- Die Aussichten könnten in diesen Tagen kaum schlechter sein: Die Analysten des Centers for Automotive Research der Universität Duisburg-Essen haben errechnet, dass 2020 in Deutschland aller Voraussicht nach so wenige Autos gebaut werden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Corona-Krise hat den Einbruch der Konjunktur in der Automobilindustrie noch um ein Vielfaches verschärft – und dabei hatten Hersteller und Zulieferer sowieso zu kämpfen, denn der Wandel von Verbrennungsmotoren zu Elektroantrieben setzt die erfolgsverwöhnte Branche erheblich unter Druck.
Die Worte, die ZF-Vorstandschef Wolf-Henning Scheider bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen wählte, klangen dementsprechend düster. „Die Lage der Weltwirtschaft bleibt angespannt“, sagte Scheider bei der Telefonkonferenz am Freitag. „Wir erwarten keine Erholung des Marktes auf das Niveau von 2019 in den nächsten drei Jahren.“Das gelte für Autos und leichte Nutzfahrzeug, bei schweren Lastwagen gehe es sogar noch langsamer bergauf.
In Zahlen spiegelte sich die Analyse in einem Umsatzeinbruch um 27 Prozent wider: Die Erlöse sanken von 18,4 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2019 auf 13,5 Milliarden Euro in den ersten sechs Monaten 2020. Der operative Gewinn rutschte ins Minus: Im Vorjahr hatte ZF noch 650 Millionen Euro erwirtschaftet, nun schreibt das Traditionsunternehmen vom Bodensee einen Verlust von 177 Millionen Euro. Im ersten Quartal, in dem die Corona-Pandemie vor allem China betroffen hat, hat ZF nach Angaben von ZF-Finanzchef Konstantin Sauer noch schwarze Zahlen geschrieben, bevor das Virus im zweiten Quartal auch in Europa und Amerika alles lahmgelegt und ZF in die roten Zahlen gezogen hat.
Unterm Strich – also nach Steuern und Zinsen – belaufen sich die Verluste von ZF allerdings auf 911 Millionen Euro. Sauer erklärt die Differenz vor allem mit Restrukturierungskosten und Abschreibungen auf die Zukäufe des US-Zulieferers TRW im Jahr 2015 und Wabco Ende Mai. Die Nettoschulden stiegen durch den Kauf des belgisch-amerikanischen Bremsenspezialisten um 4,2 Milliarden auf mehr als 12,2 Milliarden Euro.
Trotz der Schuldenlast und des aufgrund des Anstiegs der verloren gegangenen Investmentgrade-Ratings steht ZF nach Angaben Sauers finanziell stabil da. „Wir haben im ersten Halbjahr 900 Millionen Euro an Schulden zurückgezahlt“, erläutert Sauer. „In diesem Jahr ist keine weitere Schuldentilgung fällig.“Zudem habe die Herabstufung durch die Ratingagenturen keine Auswirkung auf die Finanzierung des Wabco-Kaufs, da alle Modalitäten der Kredite zuvor festgelegt worden seien.
Umsatzeinbruch, Verluste in Millionenhöhe, stillstehende Produktionen in Europa und Amerika – Hoffnung machende Aussichten klingen anders. Umso überraschender waren dann aber die Prognosen, die ZF-Chef Scheider für das zweite Halbjahr machte. ZF strebe für das Gesamtjahr 2020 einen operativen Gewinn an. „Wir wissen, dass dieses Ziel angesichts der volatilen Situation mit erheblichen Risiken behaftet ist, aber wir sind zuversichtlich, dieses Ziel zu erreichen“, sagte Scheider. Unterm Strich werde aber auch am Jahresende ein Verlust stehen, da die Abschreibungen für die Zukäufe und das aller Voraussicht nach negative Finanzergebnis den operativen Gewinn ins Negative drücken werden. „Der Spielraum für eine Dividende ist damit sehr, sehr eng“, erklärte der ZF-Chef. Hinter dem Zulieferer steht vor allem die ZeppelinStiftung, die von der Stadt Friedrichshafen kontrolliert wird und die mit den Dividenden die Kommune bei vielen Projekten unterstützt.
Scheider stützt seine Zuversicht unter anderem darauf, dass sich die Auftragslage in einigen Geschäftsbereichen auch im ersten Halbjahr gut entwickelt habe. Dazu gehört das Interesse aus China an Traxon-Getrieben für Lastwagen, die in Friedrichshafen vormontiert werden. Auch seien die Produktionen im Windkraftgetriebewerk im belgischen Lommel und im Elektronikwerk in Marshall im US-Bundesstaat Illinois voll ausgelastet. Auf der Kostenseite habe ZF seine Ausgaben im ersten Halbjahr um eine Milliarde reduziert und sich zusätzliche Kreditlinien für die Liquidität gesichert, die sich nun auf 4,7 Milliarden Euro belaufen.
Nach Angaben Scheiders habe der Zulieferer bereits vor Ausbruch der Pandemie damit begonnen, sich an die neue Marktsituation anzupassen. Die Mitarbeiterzahl sank im Vergleich zu Mitte 2019 um rund 5300 Mitarbeiter auf 144 000 Beschäftigte. Davon haben 3800 Angestellte ZF in diesem Jahr verlassen müssen, vor allem in den USA, Mexiko und Brasilien, aber nach Angaben Scheiders auch an europäischen Standorten des Zulieferers.
Insgesamt soll die Zahl der Mitarbeiter bis 2025 von weltweit 150 000 um zehn Prozent sinken, etwa die Hälfte der Jobs will ZF in Deutschland abbauen, wie ZF Ende Mai in einem internen Brief an die Mitarbeiter bekannt machte. Die rund 50 000 Beschäftigten in Deutschland sind allerdings bis zum Jahresende 2022 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Darauf hat sich das Unternehmen mit der IG Metall in einem sogenannten Tarifvertrag Transformation geeinigt. Im Gegenzug darf das Unternehmen die Arbeitszeit um bis zu 20 Prozent absenken. „Dieser Abschluss ist sehr gut für das Unternehmen und die Mitarbeiter, er ermöglicht uns die Flexibilisierung, die wir brauchen, um uns an die neue Normalität anzupassen“, erklärte der ZF-Chef. „Das ist ein klarer Vorteil für uns.“Die Arbeitszeitreduzierung von 20 Prozent entspreche fast einer Kostenreduzierung in gleicher Höhe. „Es ist eine sehr, sehr gute Atmungsmöglichkeit für uns.“
Weitere positive Impulse erwartet ZF-Chef Scheider durch den Ende Mai abgeschlossenen Zukauf des Bremsenbauers Wabco. „Wir haben erste Angebote erfolgreich platziert“, sagte Scheider. Ingenieure arbeiteten zudem an einer integrierten elektrischen Busachse mit Elektromotor, Aktuatoren und Bremsen und an einem Fahrerassistenzsystem für Lastwagen, das Sensoren und Bremsen in einer Plattform einbettet. „Die Lösung ist weltweit einzigartig am Markt“, erläutert Scheider. „Hier zeigt sich die industrielle Logik unserer Übernahme von Wabco.“
Ob die Scheider’sche Zuversicht Bestand hat, entscheidet sich in den nächsten Monaten und hängt nicht zuletzt am Fortgang der Pandemie. Können eine zweite Welle und ein weiterer Lockdown vermieden werden, könnte das Traditionsunternehmen vom Bodensee am Jahresende wirklich einen Gewinn verkünden, wenn er auch nur operativ ist.