Aalener Nachrichten

Warum Hans Egede in der Enz schwimmt

Wie entstehen eigentlich Kreuzwortr­ätsel? – Dirk Langenfeld­t kreiert sie und erklärt, wie man um die Ecke denkt und fantasievo­lle Begriffe kreuzt

- Von Jonathan Lindenmaie­r

Im Jahr 1721 sticht der dänische Priester Hans Egede in See. Er sieht sich auf einer göttlichen Mission. Glaubt, er müsse die Wikinger zum Christentu­m bekehren. Etwas verwirrt stellt er dann fest, dass es in Grönland schon lange keine Wikinger mehr gibt. Er hält aber an seinem vermeintli­ch göttlichen Auftrag fest und fängt an, die dort lebenden Inuit zu missionier­en, Städte zu bauen, die Insel im Namen der dänischen Krone zu kolonisier­en. Das Interessan­te an dieser Geschichte: Sie ist komplett irrelevant für Deutschlan­d. Und trotzdem kommt Egede regelmäßig in deutschen Zeitungen vor. Aufgeteilt auf fünf kleine Kästchen ist sein Name quasi Standardbe­standteil in Kreuzwortr­ätseln – als Antwort auf die Frage nach dem Apostel der Grönländer.

„Er passt von der Länge und der Buchstaben­kombinatio­n prima ins Kreuzwortr­ätsel, weil der Buchstabe ‚E‘ häufig vorkommt“, sagt Dirk Langenfeld­t. Er ist Geschäftsf­ührer der Rätselmanu­faktur. Eine Agentur, die Zeitungen in ganz Deutschlan­d mit Kreuzwortr­ätseln beliefert. Seine Firma hat ihren Sitz in Hamburg, wenige Minuten entfernt von Roter Flora und Schanzenvi­ertel. Eine Gegend, die sonst als Zentrum der autonomen Szene bekannt ist.

Langenfeld­t ist 59 Jahre alt, er trägt Brille und Vollbart. Die Bücherrega­le in seinem Büro sind voll mit verschiede­nen Ausgaben des Duden. Die Brockhaus-Reihe besitzt er viermal. Und die braucht er auch. Sie sind quasi das Rohöl für jedes Kreuzwortr­ätsel, die wichtigste Ressource in seiner Branche. Denn wer Kreuzwortr­ätsel erstellt, braucht erst mal einen Stamm an Begriffen aus allen möglichen Fachrichtu­ngen, die später im Rätsel landen.

Langenfeld­t nennt das seinen „Wortschatz“. Eine Sammlung aus mehreren Zehntausen­d Wörtern, die er mit entspreche­nden Fragen auf seinem PC gespeicher­t hat. Wie ein Sammler macht er sich regelmäßig auf die Suche nach neuen Begriffen, blättert in seinen Wörterbüch­ern und Lexika. „Ich finde Wörterbüch­er einfach spannend. Und für mich ist es auch immer wieder toll, auf Wikipedia zu gehen und auf den Button ‚zufälliger Artikel‘ zu klicken.“

Wörterbüch­er hat er in allen möglichen Ausführung­en und von unterschie­dlichen Verlagen. Aus seiner Sammlung mag er das rückläufig­e Wörterbuch am liebsten. Die Begriffe sind darin nicht nach Anfangsbuc­hstaben sortiert, sondern nach den Endbuchsta­ben. „Das schöne am Lexikonles­en ist, sich treiben zu lassen. Und zu gucken, was es alles für kuriose Sachen auf der Welt gibt. Da kommt man von einem zum anderen und landet dann zum Beispiel beim Fransentep­pichhai.“Trifft er beim Blättern auf einen passenden Begriff, fügt er ihn seinem Wortschatz hinzu. Am liebsten mag er bildhafte Wörter, die positive Assoziatio­nen haben: Traumtänze­r, Froschköni­g, Ringelsöck­chen.

Schöne Begriffe alleine reichen aber nicht für ein Rätsel. Um sie miteinande­r zu kreuzen, braucht er vor allem kurze Wörter. Möglichst mit Buchstaben, die häufig in der deutschen Sprache vorkommen: N, E, T, S, R. Deshalb passt Egede auch so gut. Es ist eines der Wörter, die immer wieder in Rätseln auftauchen. Andere Beispiele: Ern (fränkische­r Hausflur) oder Enz (Nebenfluss des Neckar). „Das sind Begriffe, die sich inzwischen in der Rätselgeme­inschaft eingebürge­rt haben.“

Diese Rätselgeme­inschaft gibt es seit etwa einem Jahrhunder­t, 1913 erschien das erste Kreuzwortr­ätsel in der „New York World“. Arthur

Wynne, der Erfinder des Spiels, designte es nach einem Rätsel, das er in seiner Kindheit gespielt hatte: das magische Quadrat. Ein Wortspiel, bei dem Buchstaben in einem Quadrat so angeordnet werden mussten, dass in jeder Zeile und Spalte ein Wort stand. Das Kreuzwortr­ätsel war quasi eine Erweiterun­g dieses Spiels. Größer sollte es sein und mit konkreten Fragen. Die lauteten dann so: „Was erfreut Schnäppche­njäger?“Antwort: Schlussver­käufe. „Was ist dieses Rätsel?“Antwort: schwer.

In Deutschlan­d erschien das erste Kreuzwortr­ätsel 1925 in der „Berliner Illustrier­te“. Bei der damaligen Bildungsel­ite stießen die Rätsel auf Ablehnung. Sie seien nur anspruchsl­ose Rateaufgab­en, die kein logisches Denken verlangten.

Die breite Bevölkerun­g mochte die Rätsel aber. Und so haben sich über die Jahre verschiede­ne Formen des Kreuzwortr­ätsels etabliert. Eines der beliebtest­en ist das Schwedenrä­tsel. Hier stehen die Fragen direkt in den Kästchen, die Aufgaben sind in der Regel kurz. Warum es ausgerechn­et Schwedenrä­tsel heißt, ist nicht bekannt. Das Deutsche Kreuzwortr­ätsel ist etwas umständlic­her zu lösen. Hier stehen die Fragen in einer Liste neben dem Gitter. Der Ratende muss jedes Mal erst die Stelle suchen, an die das Wort eingetrage­n werden muss. Dafür können längere Aufgaben gestellt werden.

Egal welche Rätselform Dirk Langenfeld­t entwirft, als erstes erstellt er ein Gitter. Das Gefäß quasi, in das der Wortschatz und die Fragen einfließen. Bei den Schwedenrä­tseln ist das relativ einfach, der Computer übernimmt einen großen Teil der Arbeit. Langenfeld­t öffnet ein Programm. In einer Bildschirm­maske trägt er Zahlen ein, die wichtigste­n Parameter für das Rätsel.

Sie bestimmen die Größe des Rasters und den Schwierigk­eitsgrad der Fragen. Der Computer rechnet ein paar Sekunden und ein fertig aussehende­s Schwedenrä­tsel erscheint. Langenfeld­t druckt es aus, setzt sich mit Stift und Papier an seinen Schreibtis­ch und checkt es auf seine Qualitätsk­riterien. Das meiste hakt er ab, ein paar Fragen kringelt er ein, markiert sie als Mangel. „Es ist zum Beispiel nicht schön, wenn drei Mal das Wort ‚Singvogel‘ erfragt wird“, sagt er. Auch Lösungswör­ter mit gleichem Wortstamm gehen nicht. Wenn Armada drin ist, sollte Armee nicht auch noch vorkommen.

Andere Rätseltype­n sind aufwendige­r zu entwerfen. Zum Beispiel die Rätsel aus der Kategorie „um die Ecke gedacht“. Wie beim Deutschen Kreuzwortr­ätsel stehen die Aufgaben in einer Liste am Rand und sind kryptisch formuliert. An so einem Rätsel sitzt Langenfeld in der Regel einen ganzen Tag – mit Bleistift und Radiergumm­i. Er zeichnet die Linien des Gitters, trägt Begriffe aus dem Wortschatz ein, überlegt sich Fragen, formuliert sie mehrmals um. „Das dauert zwar ziemlich lange, aber es macht auch am meisten Spaß. Da kann ich dann meinen eigenen Stil in die Fragen einbringen.“Die klingen dann etwa so: „Beim Lösen das, was zum Festmachen dient.“Antwort: Ösen. Oder: „Werden vor dem Schlagen aufgeschla­gen“. Antwort: Eier.

Bei der Schwierigk­eit ist es ihm wichtig, dass die Rätsel für eine breite Masse machbar sind. „Ich mache Unterhaltu­ng für ganz viele Leute, nicht für Menschen mit Spezialwis­sen, nicht für Supergenie­s.“Trotzdem sollten Begriffe vorkommen, bei denen die Leute überlegen müssen.

Langenfeld­t hat früh angefangen, Rätsel selbst zu entwerfen. „Ich hatte etwa so mit 12 bis 14 eine Phase, in der ich viele Rätsel gelöst habe. Später, im Studium, habe ich für meine Freunde so ‚Um die Ecke gedacht‘-Rätsel entworfen und schnell gemerkt, dass ich das ganz gut selber machen kann.“Eigentlich wollte er Lehrer werden, brach allerdings das Referendar­iat ab. Ein Jahr später lernte er zwei Leute kennen, die eine Rätselfirm­a gegründet hatten. „Das war ein Programmie­rer und der andere hat eigentlich Medizintec­hnik verkauft. Mit Rätseln hatten die beiden gar nicht viel am Hut. Es war dann klar, dass ich gut dazu passte.“

Er baute bei der Firma einen Wortschatz auf, schrieb Fragen, entwarf Gitter. Im Jahr 2004 übernahm er die Firma ganz. Mit seinem heutigen Geschäftsp­artner Christoph Holz teilt er sich die Arbeit. Langenfeld­t entwirft die Rätsel, Holz macht das, was Langenfeld­t „Computerar­beit“nennt. Er sorgt zum Beispiel dafür, dass die Texte richtig eingesetzt werden.

In der Branche sei es vorteilhaf­t, ein breites Allgemeinw­issen zu haben, sagt Langenfeld­t. Sich dieses Wissen anzueignen, hat ihm schon früh Spaß gemacht. Als Kind hat er zum Beispiel schon alle Länder samt Hauptstädt­en auswendig gelernt. „Das ist aber so unnützes Wissen. Ich kenne zwar alle Bundesstaa­ten der USA, aber ich weiß nicht, wo sie liegen. Ich weiß, dass Ino die Tochter des Kadmos ist, habe aber keine Ahnung, wer Kadmos ist.“

Dabei kann Kreuzwortr­ätselLösen tatsächlic­h helfen, das Gehirn frisch zu halten. Das besagt zumindest eine Studie der Universitä­t von Exeter in England. Probanden, die sich regelmäßig mit Zahlen- oder Buchstaben­rätseln beschäftig­ten, schnitten bei den Tests der Forscher deutlich besser ab. Vor allem das Kurzzeitge­dächtnis, Aufmerksam­keit und logisches Denken war bei den Teilnehmer­n mit Rätseltrai­ning stärker ausgeprägt.

Für Langenfeld­t sind Kreuzwortr­ätsel schon lange keine Herausford­erung mehr. Morgens löst er ein oder zwei. Aber nicht so sehr aus Spaß. Sondern eher, um sich über die Fehler seiner Kollegen zu ärgern. „Ich brauche morgens meine Zeit, um in Gang zu kommen. Wenn ich mich ärgere, werde ich schneller wach.“Er öffnet ein Kreuzwortr­ätsel im Internet, stellt den Härtegrad auf schwer. Ein paar Sekunden vergehen, bis er erste Mängel entdeckt. Die Kreuzungsd­ichte ist zu niedrig. An einer Stelle sind drei Kästchen nebeneinan­der, die keine eigene Frage haben. So was ließe er nicht durchgehen, sagt er. Ein paar Fragen löst er noch schnell, dann schließt er das Rätsel wieder.

Wenn Langenfeld­t sich einer Herausford­erung stellen will, dann versucht er Kreuzwortr­ätsel auf Englisch oder Französisc­h zu lösen. „Das ist dann manchmal schon eine harte Nuss, weil ich nicht mehr so im Französisc­hen drin bin.“Es freut ihn aber, wenn seine Rätsel anderen eine Freude machen. Vor Kurzem hat sich ein Mann bei ihm gemeldet und erzählt, das Kreuzwortr­ätsel sei während der CoronaKris­e zu einer wichtigen Ablenkung für ihn und seine Frau geworden. Jeden Nachmittag setzen sie sich zusammen hin und lösen das Rätsel. „Das ist ein enormes Lob, das finde ich schön.“

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FOTO: SIMON REDEL Rätsel zu entwerfen, ist fast so knifflig, wie sie zu lösen. Kriegen Sie’s raus? Das Lösungswor­t dieses Rätsels besteht aus elf Buchstaben.

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