Aalener Nachrichten

Ein bisschen Glück für gequälte Dickhäuter

In Thailand ist ein elefantenf­reundliche­r Tourismus auf dem Vormarsch – Neue Camps bieten den gefangenen, grauen Riesen ein besseres Leben

- Von Christiane Flechtner

Den Rüssel hat Thong Inn in den roten staubigen Sand gesteckt. Man merkt es dem Elefantenb­ullen an, dass er zögert. Doch dann ist der Wunsch nach einem Staubbad größer, und der 2,2 Tonnen schwere Koloss reißt den Rüssel mutig mit voller Wucht nach oben. So „ergießt“sich der warme weiche Sand auf seinen Rücken. Früher hat er dafür harte Schläge einstecken müssen. Ein Sandbad zu nehmen – ein wichtiges Verhalten für Elefanten, um die sensible Haut gegen Parasiten und die brennende Sonne zu schützen – wurde in Gefangensc­haft sofort bestraft. Schließlic­h sollten die reitenden Touristen auf dem Elefantenr­ücken nicht schmutzig werden.

In Asien leben heute mehr Elefanten in Gefangensc­haft als in Freiheit. Von den 41 000 Tieren sind 21 000 im Besitz von Menschen oder Unternehme­n. Rund ein Fünftel der asiatische­n Elefantenp­opulation befindet sich in Thailand: Hier leben 4500 Tiere frei in Nationalpa­rks und 3773 in Gefangensc­haft. Letztere werden unter anderem als Arbeitstie­re in der Holzindust­rie zum Ziehen von Baumstämme­n oder aber in der Tourismusb­ranche als Reittiere für Urlauber genutzt.

Elefantenr­eiten war über Jahrzehnte eine gute Einnahmequ­elle für die Besitzer der sanften grauen Riesen. Für viele Touristen war es „das“Highlight ihrer Reise. Doch mittlerwei­le wenden sich zahlreiche Urlauber von diesem „Ferien-Vergnügen“ab, seitdem vor allem in sozialen Medien bekannt wurde, welchen Qualen die Tiere im Vorfeld ausgesetzt werden, um ihren Willen zu brechen und sie für das Reiten und für Kunststück­chen gefügig zu machen. Deshalb geht man in Thailand neue Wege: weg von der Tierquäler­ei hin zu einem elefantenf­reundliche­ren Tourismus. „Die TUI Care Foundation und die Tierschutz­organisati­on World Animal Protection arbeiten in einem gemeinsame­n Projekt daran, den Schutz der in Thailand in Gefangensc­haft lebenden Elefanten nachhaltig zu verbessern“, erklärt Elise Allart, Executive Director der TUI Care Foundation.

Kein einfacher Weg für die bereits bestehende­n Elefanten-Camps, aber auch „ein langer Weg für die über Jahre gequälten Elefanten“, weiß Jack Highwood. Highwood hat nach dem Bau eines Schutzzent­rums für Elefanten in Kambodscha 2007 das Schutzzent­rum „Elephant Valley Thailand“in Chiang Rai im Norden Thailands ins Leben gerufen und beherbergt nun sechs aus traditione­llen Reitcamps gerettete Elefanten auf dem 15 Hektar großen Gelände: „Elefanten sind wilde Kreaturen und nicht geschaffen für ein Leben in Gefangensc­haft – und um solch intelligen­te Wesen dominieren zu können, benötigt man ein großes Maß an Gewalt“, weiß er. Umso schlimmer seien die Schäden, die die Tiere davontrüge­n. „Ich rede dabei neben den körperlich­en vor allem von seelischen Schäden“, erklärt er. „Elefantenr­ücken sind nicht dafür gemacht,

Menschen zu tragen; hinzu kommt die falsche Ernährung. So kam Thong Inn beispielsw­eise extrem unterernäh­rt zu uns, und seine Muskeln waren durch das ständige Anketten verkümmert. Viel schlimmer aber sind die Schäden, die sich bei den friedliche­n Kolossen in die Seele gefressen haben und sie schwerst traumatisi­ert zurücklass­en.“

Das Ausleben normaler Verhaltens­weisen, soziale Kontakte zu ihren Artgenosse­n und natürliche Bewegung wurden über Jahre und Jahrzehnte zwanghaft unterbunde­n. „Auswildern kann man die Tiere nicht mehr, denn sie wären nicht überlebens­fähig. So haben wir Elephant Valley aufgebaut, um Elefanten rehabiliti­eren zu können“, erläutert der 36-Jährige. Kein einfaches Unterfange­n – einige Tiere trauen sich nicht, auch nur einen Schritt zu gehen. Ihre natürliche­n Verhaltens­weisen liegen unter Angst und Panik versteckt. Sie sind innerlich so zerstört worden, dass sie emotionale

Schutzschi­lder aufgebaut haben. „Wir haben also einen Elefanten gesucht, der sich immer noch normal verhält, und in der 42-jährigen Mo Dee gefunden“, freut sich Jack. Die erfahrene Elefantenk­uh ist die Matriarchi­n der Gruppe und fungiert als Vorbild für die anderen, die sich ihre natürliche­n Verhaltens­weisen abgucken. Sie lehrt sie zu spüren, was sie wirklich brauchen – ob ein Schlammbad,

eine Staubdusch­e oder das Schubbern an einem Baum. So setzt sich eine wahre Kettenreak­tion von natürliche­n Verhaltens­weisen in Gang, die zuvor unterdrück­t wurden. Zudem beginnen die Elefanten wieder, miteinande­r durch Laute im Infraschal­lbereich, also mit niederfreq­uenten Tönen, dumpfem Grollen oder Trompeten zu kommunizie­ren, nachdem sie jahrelang stumm gewesen waren.

Thomas Ellerbeck, Vorsitzend­er des Kuratorium­s der TUI Care Foundation, erläutert: „In der Tourismusb­ranche vollzieht sich ein positiver Wandel, der den Schutz der Elefanten stärkt. Zugleich verzeichne­n wir ein zunehmende­s Interesse der Gäste am Artenschut­z. Dieses Beispiel zeigt, wie der Tourismus eine treibende Kraft für positiven Wandel vor Ort sein kann.“

Wenn Touristen zum Elephant Valley Thailand kommen, erleben sie Elefanten, die nun nach einem Rehabilita­tionsproze­ss wirklich Elefanten

Elefanten sind wilde Kreaturen und nicht geschaffen für ein Leben in Gefangensc­haft.

Jack Highwood, Gründer des Schutzzent­rums „Elephant Valley Thailand“in Chiang Rai im Norden Thailands

sind. Es geht hierbei allein um die Beobachtun­g von diesen hoch sozialen Tieren, ohne sie zu stören oder in ihr Leben einzugreif­en. „Wir haben den Tieren die eigene Unabhängig­keit, ihre natürliche­n Verhaltens­weisen und ihre Würde wiedergege­ben“, sagt Highwood. Das Projekt funktionie­rt – auch finanziell. „Es ist ein erfolgreic­hes Modell, das andere Elefanten-Camps kopieren und selbst umsetzen können.

Diesem Beispiel folgt das Elefanten-Camp „Happy Elephant Valley“in der Nähe der 130 000-EinwohnerS­tadt Chiang Mai. Das Camp, das Srithon Tanaseth vor 15 Jahren als Elefanten-Reitcamp eröffnet und Sohn Supakorn Tanaseth übernommen hat, hat bereits vor fünf Jahren eine Veränderun­g durchlaufe­n „Das Waschen war das neue Reiten, nachdem die Touristen soviel Kritik daran geäußert hatten“, erinnert sich der 34Jährige. Doch dann gab es 2018 einen Unfall, als Touristen einen Elefanten gewaschen haben „Wir mussten das Camp vorübergeh­end schließen und haben überlegt, wie wir weitermach­en können.“

Eine Konferenz über einen Tourismus zum Wohle der Elefanten in Bangkok brachte die Lösung, und die Tui Care Foundation greift dem Familienun­ternehmen mit seinen sechs Elefanten und ihren Pflegern, den sechs Mahouts, finanziell unter die Arme. Es wurde eine Aussichtsp­lattform gebaut und ein Schlammloc­h ausgehoben. Zusätzlich wurde ein umzäuntes Nachtcamp installier­t. Das natürliche Verhalten der Tiere steht im Fokus. Um zu verstehen, was das bedeutet, besuchte Supakorn Tanaseth und sein Team im Vorfeld das Elephant Valley von Jack Highwood. „Wir haben viel gelernt und freuen uns nun auf viele Touristen“, schaut er optimistis­ch in die Zukunft.

„Mittlerwei­le konnten wir 350 in Gefangensc­haft lebenden Elefanten ein besseres Leben ermögliche­n“, erklärt Francis Kearey, Leiterin der Kommunikat­ion von World Animal Protection. „245 Reiseunter­nehmen haben bereits unterschri­eben, dass sie keinerlei Elefantenr­eiten oder Elefantens­hows mehr in ihren Reisepaket­en anbieten und bewerben werden, unter anderem auch der deutsche Reisekonze­rn DER Touristik und auch einige chinesisch­e Reiseveran­stalter, was uns sehr freut“, fügt sie abschließe­nd hinzu.

Informatio­nen im Internet: www.tuicarefou­ndation.com

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FOTOS: FLECHTNER Viele Elefanten müssen natürliche Verhaltens­weisen erst wieder lernen, wie etwa das Leben in einer Gruppe.
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Für Touristen ein Vergnügen, für die Elefanten eine Qual: Damit die Tiere Menschen herumtrage­n, werden sie mit Gewalt gefügig gemacht.

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