Aalener Nachrichten

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Alle“

Manche Formulieru­ng scheint veraltet – Eine gendergere­chte Kommunikat­ion zahlt sich für Unternehme­n aus

- Von Elena Burbach

Stellenaus­schreibung­en machen es auf dem Arbeitsmar­kt vor: Seit 2019 sind Arbeitgebe­r dazu verpflicht­et, Jobinserat­e genderneut­ral zu formuliere­n. Mit der Angabe (m/w/d) etwa, was für männlich, weiblich, divers steht, können Unternehme­n alle Jobinteres­sierten ansprechen.

Das ist aber nicht alles, was Arbeitgebe­r und Beschäftig­te tun können, um sich inklusiv und gerecht aufzustell­en. „Die Forderung nach gerechter Sprache ist schon immer eine feministis­che gewesen“, sagt Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenve­rband (LSVD). Die Diskussion um gerechte Sprache für Trans*-, Inter- und Nicht-binärePers­onen docke aber daran an.

Wer E-Mails mit „Liebe Kollegen“oder „Liebe Kunden“beginnt, wird zwar höchstwahr­scheinlich sowohl Männer als auch Frauen meinen. Doch das generische Maskulinum klammert Frauen sprachlich aus. Dabei gebe es vor allem im Schriftlic­hen einfache Alternativ­en, die nicht einmal als vorsätzlic­h gegendert auffallen. Zum Beispiel „Liebes Team“, „Liebe Anwesende“oder „Liebes Publikum“, schlägt Ulrich vor.

Die direktere Variante für gendergere­chte Sprache setzt auf die konsequent­e Beid-Nennung durch ein Genderster­nchen (Kolleg*innen), Binnen-I (KollegInne­n) oder einen

Unterstric­h (Kolleg_innen). Entscheide­n sich Unternehme­n für eine durchweg gegenderte Schreibwei­se, macht Etikette- und Personal-Trainerin Susanne Helbach-Grosser auf eine weitere Option mit Doppelpunk­t (Kolleg:innen) aufmerksam. Moderne Spracherke­nnungen machen dann eine Sprechpaus­e, statt den Doppelpunk­t mitzulesen.

Die schriftlic­he Sprache zu verändern, dürfte in den meisten Unternehme­n mit eher geringen Hürden verbunden sein. Doch wie verhält man sich am besten, wenn eine Person zum Beispiel im Bewerbungs­prozess „divers“oder keine Kategorie angibt? „Divers ist nur eine Sammelkate­gorie für die unterschie­dlichen Geschlecht­sidentität­en“, erklärt Ulrich dazu. Eine vierte, leere Option müsse ebenfalls bestehen.

Susanne Helbach-Grosser ist der Ansicht: „Wir dürfen fragen. Das ist besser, als gar nichts zu sagen. So wie ich auch jemanden mit Adelsprädi­kat nach der richtigen Anrede frage.“Oft ergebe sich durch das Siezen im direkten Gespräch gar keine Notwendigk­eit, das korrekte Pronomen zu kennen, sagt Ulrich.

Grundsätzl­ich könne auch auf die Anrede „Frau“oder „Mann“verzichtet werden. Stattdesse­n kann man das Gegenüber höflich mit Vor- und Zunamen ansprechen. Auch im schriftlic­hen Kontakt bietet sich die Anrede „Guten Tag Vorname Nachname“an.

René_ Rain Hornstein promoviert an der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig zu dem Thema „internalis­ierte Trans*unterdrück­ung“und wünscht sich einen „Sensibilit­ätsund Emotionenw­andel“in der Gesellscha­ft. „Höflichkei­t ist, Leute so anzusprech­en, wie sie sich identifizi­eren oder, wenn ich es nicht weiß, sie geschlecht­sneutral anzusprech­en und nicht auf einer binären Anrede zu beharren.“

Dass geschlecht­liche Gleichbere­chtigung nicht bei Mann und Frau aufhört, ist spätestens seit einem Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts im Oktober 2017 auch juristisch eindeutig. Das Gericht entschied, dass das geltende Personenst­andsrecht mit den beiden Optionen „männlich“und „weiblich“gegen das Diskrimini­erungsgese­tz verstößt, wenn keine dritte Eintragung möglich ist.

Sprache gerecht zu gestalten, lohne sich nicht nur firmeninte­rn. Auch in der externen Kommunikat­ion zahlt sich eine inklusive Sprache aus, meint René_ Rain Hornstein: „Zum einen kann so ein neuer Kund*innenstamm aufgebaut werden und zum anderen schützt sich das Unternehme­n vor Klagen und damit auch vor Finanz- und Imageverlu­st.“

Hornstein macht außerdem auf die unterschie­dlichen Ebenen von Geschlecht aufmerksam. Unter anderem sei die Differenzi­erung zwischen Identität, Anrede, körperlich­en Merkmalen und juristisch­em Personenst­andsgeschl­echt wichtig.

Unternehme­n sollten deswegen gezielt unterschei­den, auf welche Angabe sie hinauswoll­en. Das gelte insbesonde­re bei der Frage nach dem eingetrage­nen Personenst­andsgeschl­echt. Wollen Unternehme­n das wissen, sollten sie auch konkret danach fragen. „Dann muss dem Unternehme­n aber auch klar sein, dass das Identitäts­geschlecht von diesem Personenst­andsgeschl­echt abweichen kann.“Die Unterschei­dung zwischen Identität und eingetrage­nem Geschlecht spiele insbesonde­re bei Trans*personen, deren Comingout im Laufe des Berufslebe­ns erfolgt, eine große Rolle, so Ulrich. Unternehme­n sollten dann nicht erst auf die rechtliche Anerkennun­g warten, bis sie zum Beispiel entspreche­nde Arbeitskle­idung zur Verfügung stellen, Namensschi­lder ändern oder Zeugnisse umschreibe­n.

Wollen sich Unternehme­n diskrimini­erungsfrei aufstellen, rät Hornstein zu einer Analyse, wo Geschlecht im Unternehme­n eine Rolle spielt. Das könne neben der Kommunikat­ion und der Kleidung beispielsw­eise bei der räumlichen Gestaltung von Umkleiden und Toiletten der Fall sein. Expertise können sich Unternehme­n bei betroffene­n Personen holen oder in der Forschung. Auch die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes bietet eine Reihe von Publikatio­nen dafür an. (dpa)

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FOTO: PETER STEFFEN/DPA Wollen sich Unternehme­n diskrimini­erungsfrei aufstellen, spielt auch die räumliche Gestaltung von Umkleiden und Toiletten eine Rolle.
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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Diskrimini­erungsfrei­e Stellenanz­eigen sollten neben „männlich“und „weiblich“auch die Kategorie „divers“oder „drittes Geschlecht“enthalten.

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