Zwischen Aberglauben und Fortschritt
Arte-Dokudrama über Johannes Kepler, den Wegbereiter der Astrophysik, der ein Jahr in Ulm gelebt hat
(KNA) - Johannes Kepler (1571 - 1630) war ein Visionär, der Astronomie und Astrologie mit Physik kombinierte. Und das vor über 400 Jahren. Ein Dokudrama beleuchtet Leben und Forschung des so genialen wie unermüdlichen Mathematikers, der das Jahr 1627 in Ulm quasi im Exil verbrachte. In Ulm ließ er seine „Rudolphinischen Tafeln“drucken.
Irgendwann zeigt eine Computeranimation, wie die Planeten um den Feuerball Sonne kreisen: Es ist wie ein Tanz perfekt aufeinander abgestimmter Partner, wunderschön anzusehen. Man könnte ewig zuschauen. Durchaus ähnlich verhält es sich mit dem ganzen Dokudrama „Johannes Kepler – der Himmelsstürmer“, das Arte am 8. August um 20.15 Uhr ausstrahlt: Der Film schlägt schnell in seinen Bann, ist fesselnd und spannend, obwohl es um teils schwer erklärbare wissenschaftliche Phänomene geht.
Drehbuchautorin Susanne Utzt und Regisseur Christian Twente finden stets den richtigen Zugriff, um dem Zuschauer den weiten Bereich von Astronomie, Astrologie und Physik nahezubringen. In einer gut austarierten Mischung aus Spielszenen, den Einschätzungen zweier sehr eloquenter und lebendiger Expertinnen
(der Historikerin Ulinka Rublack und der Astrophysikerin Suzanna Randall) sowie Animationen, Bildern der modernen Raumfahrt und Archivmaterial gelingt den Filmemachern ein ebenso sinnlicher wie interessanter Einblick in Leben und Forschung des Mathematikers Johannes Kepler. Dazu skizzieren sie so knapp wie stimmig die gesellschaftlichen Gegebenheiten der Frühen Neuzeit, einer Welt zwischen Aberglauben und Fortschritt.
Der Film setzt ein im Jahr 1600, mit einer langen Kutschfahrt Keplers und seiner Frau Barbara. Der Protestant Kepler musste damals das katholische Graz verlassen und hatte eine Anstellung bei Tycho Brahe gefunden, dem Kaiserlichen Hofmathematiker in Prag. Die Zusammenarbeit mit dem aufbrausenden dänischen Adligen, der sich laut Historikerin Rublack „fast wie ein Renaissancefürst“benahm, war so schwierig wie fruchtbar. Denn Brahe – Motto: „Das hier ist mein Reich, und hier gilt mein Weltbild!“– war davon überzeugt, dass die Erde im Zentrum des Universums steht. Kepler hingegen war ein Anhänger der Lehren von Nikolaus Kopernikus. Er war sich sicher, dass die Sonne den Mittelpunkt des Kosmos bildet.
Dennoch schätzten die Männer einander: Während Kepler sich einen Ruf als so genialer wie unermüdlicher Mathematiker erworben hatte, war Brahe ein äußerst sorgfältiger astronomischer Beobachter. Nach Brahes Tod übernahm Kepler dessen Stellung als erster Mathematiker am Kaiserhof, forschte trotz der Intrigen seines Konkurrenten Tengnagel weiter.
Und fand schließlich die Prinzipien, die als erstes, zweites und drittes Keplersches Gesetz bis heute von grundlegender Bedeutung in der Astronomie sind. Eins davon ist die Erkenntnis, dass sich die Planeten auf Ellipsen und nicht, wie damals allseits angenommen wurde, auf Kreisbahnen bewegen. Eine Frage, an der sich Kepler lange die Zähne ausgebissen hatte, wie die Doku zeigt.
Christoph Bach spielt diesen Johannes Kepler überzeugend als besessenen Wissenschaftler, der alles – Gesundheit, Schlaf, und auch (wie damals üblich) Frau und Kinder – seiner Forschung unterordnet. Und der bei allem Forschereifer seinen tiefen Glauben an eine göttliche Ordnung niemals infrage zu stellen scheint.
Lena Drieschner wiederum gibt Barbara Kepler. Und wenn dem Film eines vorzuwerfen ist, dann ist das die höchst einseitige, extrem unsympathische Zeichnung dieser Frau. Barbara Kepler ist hier grundsätzlich unzufrieden, fordernd und mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu sehen, gewissermaßen eine Steilvorlage für jedes misogyne Klischee.
Dies bleibt aber tatsächlich der einzige Einwand gegenüber diesem so unterhaltsamen wie erhellenden Film, der zudem durch seinen unaufgeregten Off-Kommentar und seine ruhige Erzählweise gefällt. Ein auffallend hohes Niveau weisen auch die Inszenierung, die dramaturgische Konsistenz und die darstellerische Qualität der Spielszenen auf, was in derlei hybriden Filmformaten ja keineswegs selbstverständlich ist.