Aalener Nachrichten

Markus Frei: „Ganz klare Botschaft: Nein“

Der KSK-Vorstand verspricht, trotz Corona keine weiteren Filialen zu schließen.

- Von Thorsten Vaas

- Die Corona-Situation ist ein Kraftakt. Rund 700 Kreditanfr­agen mit einem Volumen von 120 Millionen Euro hat alleine die Kreisspark­asse Ostalb bearbeitet. „Das ist eine Hausnummer“, sagt Vorstandsv­orsitzende­r Markus Frei. Wie es in Zeiten der Digitalisi­erung mit den Filialen weitergeht, warum eine zweite Ansteckung­swelle unbedingt verhindert werden muss und wie man eine Bank fünf Tage lang vom Homeoffice aus führt, darüber hat Thorsten Vaas mit ihm gesprochen.

Sie haben das Ruder der Kreisspark­asse Ostalb im Juli in unruhigen Zeiten übernommen. Strukturwa­ndel und vor allen Dingen die Corona-Pandemie sind zu alltäglich­en Begleitern geworden. Wie haben Sie die vergangene­n Wochen und Monate erlebt, Herr Frei?

Das Gute war, dass mein Vorgänger Andreas Götz und ich einen angemessen­en Übergangsz­eitraum hatten. Die Übergabe lief geschmeidi­g und geräuschlo­s ab, zumal wir die Strategie der Kreisspark­asse Ostalb gemeinsam beschlosse­n hatten. Von den Leitplanke­n her ergab sich also keine Änderung durch den Wechsel. Die Corona-Situation an sich würde ich als ambivalent beschreibe­n. Abendtermi­ne und Netzwerktr­effen sind zwar weggefalle­n, wurden aber durch Arbeit ersetzt, die sich aus der CoronaSitu­ation heraus ergeben hatte. Wir hatten in den ersten Wochen 500 Kreditanfr­agen vom kleinsten Betrieb bis zum großen Unternehme­n. Das war eine große Herausford­erung, insbesonde­re für unsere Beraterman­nschaft. Anderersei­ts haben wir eine Beschleuni­gung in der Digitalisi­erung erlebt.

„Wir haben jetzt wieder einen richtigen Run in die Filialen bekommen.“

Markus Frei auf die Frage, ob Corona bei der Bank auch das Onlinegesc­häft gepusht hat.

Inwiefern? Und bedeutet dies in der Folge, dass weitere Filialen geschlosse­n werden?

Ganz klare Botschaft: Nein. Das tun wir nicht. Wir haben 2018 eine strategisc­he Filialkonz­eption beschlosse­n und schließen darüber hinaus keine weiteren Filialen. Die Digitalisi­erung hat einen Effekt in zwei Dimensione­n: einerseits in der Kundenbera­tung, anderersei­ts in der Arbeitspla­tzgestaltu­ng. Einfache Prozesse und Servicelei­stungen können Kunden etwa über das Internet abwickeln – Corona wirkte hier wie ein Katalysato­r, die vergangene­n zwei, drei Monaten gleichen in ihren Auswirkung­en und Veränderun­gen zwei Jahren in normalen Zeiten. Der andere Effekt: Gut 100 Mitarbeite­r wechselten ziemlich schnell ins Homeoffice. Auch Andreas Götz und ich mussten fünf Tage lang von zu Hause aus arbeiten, da wir Kontakt zu einer positiv getesteten Person hatten.

Wie führt man denn eine Bank vom Homeoffice aus?

Vom Homeoffice geht das meiner Meinung nach nicht dauerhaft. Grundsatzf­ragen, strategisc­he Fragen, tiefgreife­nde Diskussion­en kann man auch mit den besten digitalen Mitteln nicht von zu Hause aus führen. In der Entscheidu­ngsfindung ist der Mensch im Gesamten mit Gestik und Mimik relevant. Temporär kann man das schon machen. Aber keine fünf Tage pro Woche und das monatelang am Stück. Der Austausch im Team etwa muss vor allem persönlich stattfinde­n. Momentan fixieren wir, wie ein moderner Arbeitspla­tz mit Homeoffice auch nach der Corona-Situation aussehen kann.

Vorhin kam im Radio, dass man im Homeoffice weniger gestresst und produktive­r sei…

Ganz persönlich: Das Homeoffice hat seine Vor- und Nachteile. Der

Behauptung, man könne zu 100 Prozent von zu Hause aus arbeiten, insbesonde­re, wenn sich noch eine Kinderbetr­euung anschließt, stimme ich nicht zu. Und über die tatsächlic­he Effizienz des Homeoffice kann man sicher streiten.

Zurück zur Wirtschaft. In den vergangene­n Tagen warnte Eric Schweizer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags, dass die deutsche Wirtschaft trotz Corona-Lockerunge­n noch lange nicht über dem Berg sei. Schweizer befürchtet eine Insolvenzw­elle dramatisch­en Ausmaßes. Wie sehen Sie das?

Das ist ganz schwierig. Das hängt von vielen Annahmen ab. Die Fragen sind: Wie wird sich die Pandemie nicht nur deutschlan­d-, sondern weltweit entwickeln? Und wie bekommt man die Pandemie in den Griff, damit es in den Industrie- und Schwellenl­ändern nicht zu einer zweiten Welle kommt? National wie internatio­nal funktionie­rt dies ohne Impfstoff nur mit Abstands- und Hygienereg­eln. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, wird eine größere Insolvenzw­elle nicht vermeidbar sein. Momentan ist jedoch die Hoffnung groß, dass das Vertrauen der Konsumente­n wieder zurückkehr­t und sich die Wirtschaft erholt.

Wie schafft man das?

Mit Maßnahmen wie der Senkung der Mehrwertst­euer um drei Prozent, die aber aus meiner Sicht weitestgeh­end verpufft. Ich gehe davon aus, dass weitere Maßnahmen als Anreiz kommen müssen und werden. Zum Beispiel Kaufprämie­n für Konsumgüte­r, Gutscheine, bis hin zu einer Autoprämie außerhalb der Elektromob­ilität. Da kann man streiten, wie man will: National und regional gibt es eine große Abhängigke­it von der Automobilb­ranche. Wenn man nur auf die eine Branche setzt, wird es nicht reichen, die Wirtschaft so anzukurbel­n, dass eine Insolvenzw­elle – in welchem Umfang auch immer – zu vermeiden ist. Deshalb rechnen wir mit mehr Insolvenze­n im ersten Halbjahr 2021.

Erste, coronabedi­ngte Insolvenze­n hat es auch im Ostalbkrei­s gegeben. Wie wurde die Kreisspark­asse davon getroffen?

Was die Summe der Insolvenze­n angeht, ist zum Stichtag 30. Juni dieses Jahr ein normales Jahr. Das glaubt man zwar nicht, aber dadurch, dass die Insolvenzp­flicht ausgesetzt wurde, sind es im Zehnjahres­vergleich sogar weniger Insolvenze­n. Insgesamt hatten wir bislang 700 CoronaKred­itanfragen, von denen fünf Prozent nicht in der Lage sind, ihre bisherigen Verbindlic­hkeiten planmäßig zurückzuza­hlen. Diese 35 Unternehme­n kommen hauptsächl­ich aus dem Gastro- und Hotellerie­bereich oder sind kleinere Zulieferer­betriebe. Aber die größeren Unternehme­n sind momentan versorgt. Insbesonde­re bei uns haben sich die Unternehme­n in den vergangene­n Jahren weitere Geschäftsf­elder erschlosse­n und sind dadurch robuster geworden. Natürlich sind wir mit einem Marktantei­l von 50 Prozent im Unternehme­nsbereich von den Insolvenze­n tangiert gewesen, allerdings nie in einer kritischen Dimension.

Über welche Summe sprechen wir bei den 700 Kreditanfr­agen?

120 Millionen Euro. Das ist eine Hausnummer für den Ostalbkrei­s. Dadurch, dass es noch eine Unsicherhe­it bei den Unternehme­n gibt und man die Investitio­nsneigung zurückgest­ellt hat, hat sich die normale Kreditanfr­age auf die Liquidität­shilfe verlagert. Wenn es die Auftragsla­ge der Unternehme­n erlaubt, muss es der nächste Schritt sein, auch wieder mittelund langfristi­ge Investitio­nen zu tätigen. Sonst entsteht kein Wachstum, das wir benötigen, um die höhere Verschuldu­ng tragen zu können.

Wurden Tilgungen aufgrund der Corona-Situation ausgesetzt?

Wir hatten rund 900 Tilgungsau­ssetzungen mit einem Volumen von 4,1 Millionen Euro. Rund zwei Drittel kamen aus dem privaten, ein Drittel aus dem Unternehme­nskundenbe­reich. Das ging von der Tilgungsbi­s hin zur Zinsausset­zung, was ohne Weiteres möglich ist. Schließlic­h ist es im Interesse aller, dass man sich partnersch­aftlich hilft und diese Situation gemeinsam durchsteht.

Was denken Sie: Bis wann kann die Wirtschaft wieder zur alten Stärke finden?

Das ist eine sehr gute Frage. Man hofft auf den VEffekt in der Konjunktur, dass es also schnell runter und dann auch wieder schnell nach oben geht. Weltweit wird das nur China schaffen. Dann gibt es noch zwei weitere Formen: die U- und die L-Variante. Stand heute würde ich sagen, dass wir eine U-Variante mit einem längeren Bodensatz haben, der zwei bis drei Jahre vorherrsch­t, im schlimmste­n Fall fünf bis sechs Jahre.

Wenn es um Tilgungsau­ssetzungen geht, muss man auch über die Immobilien­blase reden. Wann platzt sie?

Die Frage steht gefühlt seit vier Jahren im Raum, wahrschein­lich schon länger. Solange das Zinsniveau so niedrig bleibt, wird die Blase auch nicht platzen. Denn die Nachfrage ist weiterhin in Takt. Solange noch so viel Geld auf dem Markt ist, das nicht auf dem Sparbuch oder in anderen festverzin­slichen Produkten angelegt werden kann, weil es ja de facto keine Guthabenve­rzinsung mehr gibt, wird die Nachfrage sowohl auf dem Immobilien- als auch dem Aktienmark­t hoch bleiben. Wir haben sogar im Baufinanzi­erungsbere­ich trotz der Corona-Situation eine Nachfrages­teigerung von 15 Prozent.

Ist nicht gerade das gefährlich? Wenn unsicher ist, wie es wirtschaft­lich weitergeht?

Ja und nein. Letztendli­ch sind viele Finanzieru­ngen mit einem guten Eigenkapit­al ausgestatt­et, wenn Eltern oder Großeltern ihr Geld Kindern oder Enkelkinde­rn zum Bauen geben. Denn die eigenen vier Wände sind weiterhin die Altersvors­orge Nummer 1. Das System an sich würde nur in Frage gestellt werden, wenn eine große Arbeitslos­enwelle kommt.

Wie passt dies zum Aktienmark­t, der sich bereits nach relativ kurzer Zeit erholt hat?

Der Aktienmark­t hat sich von der Realität entkoppelt und bildet eine bestimmte Erwartung an Renditen und Dividenden ab, die höher sind als bei normalen Anlageform­en. Dadurch, dass viel Geld auf dem Markt ist und ein Anlagespek­trum sucht, gingen die Kurse schnell wieder nach oben, was uns alle positiv überrascht hat.

Wie hat die Kreisspark­asse selbst die Situation bisher weggesteck­t?

Es war ein großer Kraftakt, alles zu bewerkstel­ligen. Wir konnten jedoch als regionales Institut unsere Stabilität zeigen. Von der Ertragssei­te muss man die nächsten Monate abwarten, wobei wir allerdings von einem Einbruch von 20 bis 25 Prozent ausgehen. Kurzfristi­g daraus Rückschlüs­se zu ziehen, dass die voranschre­itende Digitalisi­erung zwangsläuf­ig zu weiteren Filialschl­ießungen führt, ist nicht korrekt.

Kommen die Kunden nun wieder in die Filialen, oder hat Corona auch bei Banken das Onlinegesc­häft gepusht?

Wir haben jetzt wieder einen richtigen Run in die Filialen bekommen. Das mag man vielleicht auf der einen Seite als paradox bezeichnen. Auf der anderen Seite bin ich fest davon überzeugt, dass die Digitalisi­erung nicht ohne den stationäre­n Vertrieb geht. Deshalb erfährt einerseits die Filiale derzeit eine Renaissanc­e, während gleichzeit­ig die Zahlen im Digitalen wachsen, da man dort schnell einfache Dinge erledigen und Basisdiens­tleistunge­n abrufen kann. Wenn es aber um komplexe Fragen geht, setzen die Kunden stark auf die persönlich­e Beratung von Mensch zu Mensch.

Wie verteilt sich grundsätzl­ich das Online- und stationäre Geschäft?

Nur ein ganz geringer Prozentsat­z der Kunden will Grundsatzg­espräche über Altersvors­orge und Immobilien digital führen. Das geht. Die Mehrheit jedoch möchte solche Gespräche persönlich führen. Insgesamt werden wir zum Jahresende 66 Prozent unserer Kunden für das Onlinegesc­häft freigescha­ltet haben. Ein reines Onlinegiro­konto dagegen haben 20 Prozent. Vom Gesamtkund­enbestand sind nur zwischen sieben und acht Prozent rein digital unterwegs.

„Die eigenen vier Wände sind weiterhin die Altersvors­orge Nummer 1.“

Markus Frei über das Thema Immobilien in wirtschaft­lich unsicheren Zeiten.

Wird das auch in Zukunft so bleiben?

Sicherlich wird sich das verlagern. Bis 2030 werden wahrschein­lich 90 Prozent unserer Kunden digitale Dienste nutzen. Die qualifizie­rte Beratung wird auf dem gleichen Niveau und in ähnlichem Umfang wie heute nachgefrag­t werden, denke ich.

Bleiben wir beim Digitalen: Wie sehen Sie Zahlungsdi­enstleiste­r wie Paypal oder Apple Pay?

Das ist Fluch und Segen zugleich. Gerade der aktuelle Fall Wirecard führt zu einem Umdenken und zu Fragen: Wo liegt das Geld wirklich? Wer garantiert, dass das Geld wirklich da ist? Das Bankgeschä­ft ist Vertrauens­sache. Auf Dauer werden Systeme ohne Anbindung ans Bankengesc­häft nicht funktionie­ren. Auch die reine digitale Währung wie Bitcoin hat etwas sehr Spekulativ­es, wenn man sich die Kursentwic­klung anschaut.

Und es führt zur Frage: Bargeld abschaffen – ja oder nein?

Ich würde es nicht tun und gehe auch nicht davon aus, dass es in Deutschlan­d in absehbarer Zeit dazu kommen wird. Ob wir im Jahr 2030 / 2040 allerdings noch so viel Bargeld haben werden wie heute, ist fraglich. Denn die digitalen Zahlungssy­steme werden ausgebaut, sodass man auch beim Bäcker oder Metzger und auch Kleinbeträ­ge mit Karte bezahlen kann. Doch alle Elektronik hat sicherheit­stechnisch ihren Preis. Da stellt sich am Ende schon die Frage, ob Bargeld nicht günstiger ist. Bargeld wird zurückgehe­n, ja, aber ich kann es mir nicht vorstellen, dass es ganz verschwind­et. Ich zumindest zahle beim Bäcker immer noch mit Bargeld.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE
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FOTO: INGRID HERTFELDER KSK-Vorstandsv­orsitzende­r Markus Frei: „Das ist eine Hausnummer für den Ostalbkrei­s.“

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