Ohne Hilfe droht ein Bürgerkrieg
Die Teilnehmer der Geberkonferenz für Libanon standen am Sonntag vor einer besonderen Herausforderung. Sie mussten auf eine Katastrophe reagieren, die von der Politikerklasse des Landes verantwortet wird, dem jetzt geholfen werden soll. Die Apokalypse im Beiruter Hafen ist, daran gibt es keine Zweifel, das Resultat jahrzehntelanger Korruption und Habgier, die im Nahen Osten ihresgleichen sucht. Deshalb ist es nur allzu verständlich, wenn der libanesischen Regierung bei der Krisenbewältigung misstraut wird, so wie dies die meisten Libanesen tun. Sie verlangen einen radikalen Wandel, der zweifellos notwendig ist, aber nicht über Nacht herbeigeführt werden kann.
So unbefriedigend es sein mag: Für die internationale Staatengemeinschaft bleibt die Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab und sein System aus Filz und Vetternwirtschaft auch nach der Explosionskatastrophe in Beirut der erste Ansprechpartner. Millionen von Libanesen brauchen jetzt Hilfe zum Überleben. Es wäre fatal, wenn die libanesische Bevölkerung für ihre im höchsten Maße inkompetente Regierung bestraft würde. Und die Unterstützung des Libanons darf keine leere Floskel bleiben. Als Mittelmeer-Anrainerstaat sollte das kleine Land die besondere Aufmerksamkeit und Solidarität der Europäer erfahren. Es braucht großzügige und unbürokratische Millionenhilfen, um den Menschen in Beirut das Gefühl zu vermitteln, dass die Welt hinter ihnen steht und ein Interesse daran hat, ihre Heimatstadt wieder aufzubauen.
Denn die Gefahr ist groß, dass im Sog der völlig berechtigten Empörung nach den Explosionen im Hafen das kleine arabische Land zerbricht und es zu einem weiteren Bürgerkrieg kommt. Die Folge wäre eine neue Flüchtlingsbewegung, von der zunächst der EU-Staat Zypern, aber dann auch ganz Europa, betroffen wäre. Die geteilte Mittelmeerinsel liegt vom Libanon etwa genauso weit entfernt wie die italienische Insel Lampedusa von der libyschen Küste. Die Detonationen im Beiruter Hafen am vergangenen Dienstag waren auch in Zypern noch zu spüren.