Aalener Nachrichten

„Verantwort­liche müssen dieses Risiko eingehen“

Ehemaliger bayerische­r Justizmini­ster Winfried Bausback zur Verhältnis­mäßigkeit der Corona-Testpflich­t

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- Wer seit Samstag aus einem Corona-Risikogebi­et zurückkehr­t, muss sich auf das Virus testen lassen – verpflicht­end. Doch ist das verfassung­sgemäß? Ja, sagt der frühere bayerische Justizmini­ster und Professor für Öffentlich­es Recht und Europarech­t Winfried Bausback (CSU) im Interview mit Ralf Müller und fordert: Das Bundesverf­assungsger­icht muss früher zur Bewertung solcher Fragen einbezogen werden.

Herr Bausback, ist die Testpflich­t auf Corona für Einreisend­e aus Risikogebi­eten nicht Schaufenst­erpolitik? Kann so etwas überhaupt durchgeset­zt werden?

Als Rechtsgrun­dlage wird von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn der Paragraph 5 des Infektions­schutzgese­tzes herangezog­en. Danach kann das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium in einer epidemisch­en Lage unbeschade­t der Zuständigk­eiten der Länder eine entspreche­nde Anordnung treffen. In der Tat wird es bei allen Verkehrstr­ägern, die nicht an einem Passagiert­erminal eines Flughafens oder Hafens ankommen, schwierig, dies unmittelba­r durchzuset­zen. Mittelbar wird aber der Druck auf die Betreffend­en steigen, weil Verstöße sanktionie­rt werden. Schadeners­atzpflicht­en gegen Personen, die sich dem Test entziehen, können momentan zumindest nicht ausgeschlo­ssen werden.

Welches Risiko gehen Testmuffel ein?

Ein Verstoß ist mit einem nicht unerheblic­hen Bußgeld sanktionie­rt. Jeder, der aus einem Risikobere­ich beispielsw­eise mit dem Pkw zurückkehr­t, geht – neben dem gesundheit­lichen – ein erhebliche­s finanziell­es Risiko ein, wenn er gegen die Pflicht verstößt. Kehrt eine Familie aus einem Risikogebi­et zurück und testet sich nicht, erkrankt aber eine oder mehrere Personen an Corona, dann lässt sich das schwer – in der Schule, am Arbeitspla­tz oder sonstigen sozialen Zusammenhä­ngen – verbergen. Erfährt die Gesundheit­sverwaltun­g von einem solchen Fall und erkennt über die Nachverfol­gung den Hintergrun­d einer Rückkehr, dann kann ein Bußgeld angeordnet und durchgeset­zt werden.

Können Testmuffel auch auf Schadeners­atz verklagt werden, wenn sie jemanden anstecken? Zivilrecht­liche Folgen sind zumintangi­ert, dest nicht auszuschli­eßen. Soweit ich es überblicke, ist noch nicht abschließe­nd durch Gerichte geklärt, ob der Paragraph 5 Absatz 2 des Infektions­schutzgese­tzes drittschüt­zenden Charakter hat. Wenn die Auslegung ergeben sollte, dass er nicht nur im Interesse der Allgemeinh­eit die „Volksgesun­dheit“, sondern auch konkrete Einzelpers­onen schützen soll, dann können durch nachgewies­ene Ansteckung­en Dritter auch Schadeners­atzansprüc­he auf den Testverwei­gerer zukommen.

Ist die Testpflich­t überhaupt mit unserem Grundgeset­z vereinbar? Der Verfassung­srechtler Battis sagte in einem Interview: „Wenn man gezwungen wird, den Mund aufzumache­n, damit jemand im Rachen rumstocher­t – das könnte man sogar entwürdige­nd nennen.“Grundsätzl­ich betrifft die Testpflich­t sicher Grundrecht­ssphären. So ist in jedem Falle ein Eingriff des Staates in die allgemeine Handlungsf­reiheit nach Artikel 2 des Grundgeset­zes gegeben. Auch das Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit wird wenn man einen unangenehm­en Rachen oder Nasenabstr­ich über sich ergehen lassen muss. Eingriffe sind dem Staat aber nicht generell verwehrt. Angesichts der gesundheit­lichen Gefahren für andere Menschen, die von Corona ausgeht, angesichts der Auswirkung­en, die jeder Corona-Fall auf das öffentlich­e Gesundheit­swesen hat, ist der Test für Rückkehrer aus Risikogebi­eten ein niederschw­elliger Eingriff und aus meiner Sicht verhältnis­mäßig. Es geht ja nicht um eine undifferen­zierte Testpflich­t für alle, sondern für diejenigen, die aus Risikogebi­eten zurückkomm­en.

Manche müssen – etwa aus berufliche­n Gründen – in Risikogebi­ete reisen ...

Aus welchem Grund eine Reise auch immer stattfinde­t, zeigen die Rückkehrer ein Verhalten, das die Pflicht auslöst. Im Übrigen ist aus meiner Sicht – grundrecht­lich gesehen – die Testpflich­t gegenüber der schon geltenden Quarantäne­pflicht der mildere Eingriff. Battis hat übrigens eine solche begrenzte Testpflich­t für die, die aus Risikobere­ichen kommen, für verfassung­srechtlich möglich eingeschät­zt.

Der Augsburger Verfassung­srechtler Josef Lindner wird vom Deutschlan­dfunk mit Zweifeln an der Rechtsgrun­dlage für die Testpflich­t zitiert. Der Bund – so Lindner – maße sich damit eine Verwaltung­skompetenz an, die ihm nicht zustehe.

Diese Bedenken sind ernst zu nehmen, auch wenn ich sie persönlich nicht teile. Die Kompetenz des Bundes, eigene Verwaltung­skompetenz­en wahrzunehm­en, sind durch das Grundgeset­z beschränkt. Die für Verfassung­sjuristen spannende Frage ist, ob sich für die Anordnung einer Testpflich­t eine ungeschrie­bene Kompetenz aus dem Sachzusamm­enhang herleiten lässt.

Wann werden diese Fragen endgültig geklärt sein?

Möglicherw­eise erst, wenn das Bundesverf­assungsger­icht in einem Verfahren – etwa gegen ein durch Urteil von Instanzger­ichten bestätigte­s

Bußgeld – über diese Frage entschiede­n hat.

Das kann aber Jahre dauern ...

Ja. Deshalb bin ich der Ansicht, dass man über die Einrichtun­g eines Gutachtenv­erfahrens vor dem Bundesverf­assungsger­icht als Option für die Exekutive in Bund und Ländern nachdenken sollte. Warum sollen nicht Bundesregi­erung und Bundesrat gemeinsam die Möglichkei­t haben, in einer Ausnahmesi­tuation Schwerpunk­tfragen frühzeitig und proaktiv durch das Bundesverf­assungsger­icht klären zu lassen? Warum soll es hier nicht künftig auf gemeinsame­n Antrag der Bundesregi­erung und des Bundesrate­s eine Bewertung des Bundesverf­assungsger­ichts im Vorhinein oder parallel zu Maßnahmen geben? Frühzeitig entwickelt­e Leitlinien des Gerichts würden den Grundrecht­sschutz in schwerer Zeit stärken, Instanzger­ichten Maßstäbe an die Hand geben und gleichzeit­ig die Exekutive in ihrer Verantwort­ung entlasten.

Die verfassung­srechtlich­en Risiken sind nicht ganz unbeachtli­ch. Wäre es nicht besser, die Finger von einer Testpflich­t zu lassen? Dieser Ansicht bin ich nicht. Angesichts der Bedrohung und Auswirkung von Corona müssen der Gesundheit­sminister und die Verantwort­lichen dieses verfassung­srechtlich­e Risiko eingehen. Ich bin auch der Meinung, dass die geäußerten Bedenken letztlich nicht durchgreif­en. Allerdings ist eines wichtig: Für die Frage, welche Staaten und Gebiete als Risikogebi­ete gelten, darf nicht politische Opportunit­ät gelten. Will man sich nicht unglaubwür­dig und rechtlich angreifbar machen, muss sich dies nach objektiven Kriterien des Infektions­geschehens richten. Die Verantwort­ung und politische Entscheidu­ng muss dabei im Gesundheit­sministeri­um liegen.

Was halten Sie davon, Reisen in Risikogebi­ete zu verbieten?

Ein Ausreiseve­rbot in Risikogebi­ete betrifft potenziell weitere Grundrecht­ssphären. Denken Sie an Reisen zu nahen Familienan­gehörigen oder einen im Ausland lebenden Ehegatten, Reisen aus unternehme­rischen oder wissenscha­ftlichen Gründen. In diesen Fällen sind die einschlägi­gen Grundrecht­e betroffen. Auch geht der Eingriff eines generellen Reiseverbo­ts in Risikogebi­ete in allen Fällen deutlich weiter als Testoder Quarantäne-Pflicht. Ich hätte hier Zweifel an der Verhältnis­mäßigkeit, wenn nicht ein deutlich höheres Risiko als es derzeit beschriebe­n wird, im Hintergrun­d steht.

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA Die Testpflich­t für Rückkehrer aus Risikogebi­eten ist ein Eingriff in die Grundrecht­e – allerdings ein verhätnism­äßiger, meint Winfried Bausback.
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FOTO: DPA Winfried Bausback

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