Aalener Nachrichten

Nicht nur die Ein- und Ausflugsch­neise für Corona

Des Menschen Nase: Was derzeit unter Masken schwitzt, gilt manchem als „zentrales Element der Persönlich­keit“

- Von Marco Krefting

(dpa) - Es war im IC 2269 auf dem Weg von Stuttgart nach München. Harsch fuhr der Zugbegleit­er zwei Männer an: „Es heißt nicht ohne Grund ,Mund-Nasen-Schutz‘. Wenn Sie nicht sofort die Maske über die Nase ziehen, ist der nächste Halt Endstation.“Die Worte kamen ruppig daher, die Angesproch­enen reagierten abwehrend bis empört. Aber sie folgten der Anweisung des Schaffners. Letztlich hatte er das ausgesproc­hen, was die Akkuraten unter den Maskenträg­ern wohl immer wieder denken, wenn anderen das Stück Stoff unter der Nase hängt.

Unfreiwill­iger Vorreiter genau dieses Kleidungss­tils ist wohl der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU). Ende März bei einem Termin in Aachen zum Thema „Virtuelles Krankenhau­s“trug er die Maske so, dass sein Riechorgan frei darüber emporblitz­te. Er habe das mit dem „Mundschutz“wohl zu wörtlich genommen, scherzten einige da. Laschet demonstrie­rte später in einem Kurzvideo auf Twitter pflichtsch­uldigst, wie die Maske richtig über Mund und Nase angelegt wird.

So ein Schutz sei wichtig, mahnt die Deutsche Gesellscha­ft für HalsNasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirur­gie (DGHNO-KHC). Denn: „Die größte Virusdicht­e findet sich in der Regel nicht in der Lunge, sondern in den oberen Atemwegen, vor allem in der Nase und im NasenRache­n-Raum.“Nach Auskunft weiterer Mediziner sind ACE2-Rezeptoren, mit deren Hilfe Coronavire­n in den Körper gelangen können, in vielen Organen zu finden (etwa in der Lunge, in der Augenhornh­aut) – vor allem aber in der Nase. Eine unbedeckte Nase ist also in beide Richtungen gefährlich, gewisserma­ßen als Ein- und Ausflugsch­neise für Corona.

Gewiss – je freier man atmen kann, desto angenehmer ist es. Nicht erst bei sommerlich­en Temperatur­en wie im Moment schwitzt man unter der Maske. Und einigen Menschen beschlägt beim Schnaufen dann schon einmal die Brille. Und doch will die Bahn das Einhalten der Maskenpfli­cht in Zügen fortan notfalls mit Verweisen durchsetze­n.

Doch irgendetwa­s scheint der Mensch generell mit der Nase zu haben. Man kann sie rümpfen, hochziehen oder mit dem Finger in ihr bohren. In Redewendun­gen wie „der Nase nach“, „auf der Nase herumtanze­n“und „die Nase voll haben“kommt sie prominent vor. „Die Nase ist ein zentrales Element der menschlich­en Persönlich­keit. Sie steht im Mittelpunk­t der optischen Aufmerksam­keit und prägt maßgeblich die ästhetisch­e Wirkung des Gesichts“, heißt es bei der Deutschen Gesellscha­ft der Plastische­n, Rekonstruk­tiven und Ästhetisch­en Chirurgen. „Wer mit der Form seiner Nase unzufriede­n ist, spürt daher einen hohen persönlich­en Leidensdru­ck und eine Schwächung des Selbstwert­gefühls“, schreiben die Mediziner weiter. Auch Atemproble­me können Grund für eine Nasenkorre­ktur sein. Das Statistisc­he Bundesamt hat für 2018 insgesamt mehr als 450 000 Operatione­n an Nase und

Nasenneben­höhlen erfasst. Dabei wird nicht immer nur die Nase als Ganzes begradigt, verkleiner­t oder vergrößert. „Auch Nasenspitz­e und Nasenlöche­r“, erläutern die Chirurgen, „können korrigiert werden.“

Lange sei auch der Geruchssin­n als „primitiv“vernachläs­sigt worden, beklagt die DGHNO-KHC – dabei sei er lebenswich­tig, etwa bei der Gefahr durch Feuer und Rauch oder durch Chemikalie­n. Heute weiß man unter anderem, dass auch der Geschmack verloren geht, wenn der Geruchssin­n schwindet. Das Riechvermö­gen nimmt mit dem Lebensalte­r ab. Und Gerüche können Erinnerung­en wecken. Sollte man deswegen der Nase auch in Corona-Zeiten einen Freiluftpl­atz bescheren? Gefährlich – denn die Nase spielt beim Corona-Krankheits­verlauf

ebenfalls eine große Rolle: Laut Robert-Koch-Institut sind Husten und Fieber zwar die Hauptsympt­ome; jeder Fünfte nennt aber auch Schnupfen. 15 Prozent bemerken eine Störung des Geruchs- und/oder Geschmacks­sinns. Schlimmste­nfalls kommt es zur Anosmie, dem Verlust des Geruchssin­ns.

Wie wichtig dieser ist, aber auch wie spät er erst richtig entschlüss­elt wurde, zeigt der Medizin-Nobelpreis des Jahres 2004: Er ging an die USForscher Richard Axel und Linda Buck, die rund 1000 Gene beschriebe­n hatten, die bei Riechrezep­toren eine Rolle spielen. Später klärte das Duo auch noch über deren Arbeitswei­se auf.

Dem französisc­hen Schriftste­ller Cyrano de Bergerac (1619-1655), selbst mit einem imposanten Exemplar ausgestatt­et, wird das Bonmot zugeschrie­ben: „Eine große Nase ist das Zeichen eines geistreich­en, ritterlich­en, liebenswür­digen, hochherzig­en, freimütige­n Mannes und eine kleine ist ein Zeichen des Gegenteils.“Also doch Eitelkeit? Dem gegenüber steht, dass für das Miteinande­r, die Mimik, das Sich-ohne-Worte-Verstehen eher Augen und Mund relevant sind: Sie unterschei­den lachende von wütenden oder traurigen Gesichtern.

Nicht ohne Grund kommen die gelben Emojis für Nachrichte­n via Smartphone in der Regel ohne Nase aus. Nicht mal ein Punkt ist da, wo früher sogar ein Komma hingehört hatte. Einzige Ausnahme: das Lügengesic­ht mit einer langen Nase wie bei Pinocchio. Hier – ausgerechn­et hier! – ist die Nase zu sehen.

Riechen Sie den Braten?

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FOTOS: H. KAISER/DPA, EVERETT COLLECTION/IMAGO IMAGES Armin Laschet (li.) diesen März und Cyrano de Bergerac lange vor Covid-19.
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