Bereit für den nächsten Schritt
Einst spielte sie in der Jugend des FV Ravensburg, nun möchte Nationalspielerin Giulia Gwinn beim FC Bayern mehr Verantwortung übernehmen
- Ein wenig unangenehm ist es Giulia Gwinn dann doch. Als Stadionsprecher Ralf Reimann die ehemalige Jugendspielerin des FV Ravensburg vor dem Freundschaftsspiel gegen den SC Freiburg über Lautsprecher in höchsten Tönen lobt, versteckt sich die Friedrichshafenerin fast peinlich berührt zwischen ihren Mitspielerinnen des FC Bayern München. „Giuli ist eher zurückhaltend“, sagt Vater Florian Gwinn, der mit einem großen Tross an Familienmitgliedern den 3:1-Testspielerfolg der Münchnerinnen in der Ravensburger CteamArena von der Tribüne aus verfolgt.
Von Zurückhaltung ist bei seiner Tochter auf dem Platz jedoch wenig zu sehen. Giulia Gwinn motiviert ihre Mitspielerinnen beim Warmmachen, eilt zu am Boden liegenden Teamkameradinnen, um zu sehen, ob sie sich schwerer verletzt haben, gibt Kommandos im Spiel. Sie geht voran. „Ich versuche schon, in eine Führungsrolle hineinzuwachsen und zu helfen, die neuen Spielerinnen zu integrieren“, sagt die 21-Jährige.
Auch wenn sie sagt, dass dieser Antrieb von ihr selbst komme und nicht vom Trainer vorgegeben werde, wird es FCB-Coach Jens Scheuer sicher freuen, dass seine Außenbahnspielerin diese Motivation mitbringt. Schließlich steckt der FC Bayern in einem Umbruch. Gleich acht Spielerinnen haben den Verein Ende Juni verlassen, darunter die Ratzenriederin Melanie Leupolz, die sich dem FC Chelsea in London angeschlossen hat. Acht Neue sind im Gegenzug gekommen. Diese müssen nun integriert werden. „Ich denke für die kurze Zeit, die wir im Training sind, funktioniert es schon recht gut“, sagt Giulia Gwinn. Die Nationalspielerin weiß aber auch, dass der Mannschaft nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, um zusammenzuwachsen. Schon in zwei Wochen steht das Viertelfinale der unterbrochenen Champions League gegen Titelverteidiger Lyon auf dem Programm.
Eine konstante Leistungsträgerin, die vorangeht, tut da sicher gut – auch wenn Gwinn bei ihrer Rückkehr ins Schussental auf dem Platz nicht alles gelingt. Nachdem sie vor einer Woche im Testspiel gegen den FC Zürich im Wangener Allgäustadion noch dreimal getroffen hatte, ist von der Nummer 7 auf der linken Außenbahn in Ravensburg zeitweise kaum etwas zu sehen – bis sie in der 60. Minuten erneut ihren Führungsanspruch unter Beweis stellt. Nachdem Viviane Asseyi im Strafraum gefault wurde, schnappt sich Gwinn ganz selbstverständlich den Ball, tritt zum Elfmeter an – und verschießt. SCF-Torhüterin Lena Nuding, mit der Gwinn zu Freiburger
Zeiten zusammengespielt hatte, erahnt die Ecke und pariert den Schuss mit einem starken Reflex. „Schon ein wenig ärgerlich“, kommentiert Gwinn die verpasste Chance auf einen Treffer in ihre „Heimspiel“nach Schlusspfiff. „Das ist der erste Elfer überhaupt, den sie verschossen hat“, sagt ihr Vater. „Dass das ausgerechnet hier passiert ist schade. Aber mir ist es lieber, sie verschießt den und nicht irgendeinen wichtigen.“
Es ist eben nur ein Testspiel. Und in dem tun sich am Sonntagnachmittag vor 355 Zuschauern in der CteamArena andere hervor – Lea Schüller etwa. Die Nationalspielerin, im Juli vom DFB-Pokal-Finalisten SGS Essen zum FC Bayern gewechselt, schnürt in ihrem ersten Spiel für die Münchnerinnen gleich einen Doppelpack (21./24.). Oder Freiburgs Lina Bürger, die den schönsten Spielzug der gesamten Partie mit ihrem Kopfballtreffer zum 2:1Halbzeitstand krönt (38.). Nach der Pause gibt es kaum noch Höhepunkte. Während von Freiburg nach vorne kaum noch etwas kommt, suchen die
Bayerinnen immer wieder den Abschluss. Mehr als das 3:1 durch Linda Dallmann springt aber nicht mehr heraus. Dennoch: „Ich denke, das war ein schönes Fußballfest für alle Beteiligten“, sagt Fabian Hummel, Manager des FV Ravensburg, der das Testspiel der beiden Bundesligateams eingefädelt und organisiert hat.
Giulia Gwinn stimmt ihm da zu. „Es war extrem schön, mal wieder hier zu sein“, sagt sie nach Schlusspfiff. Fünf Jahre spielte sie in der Jugend des FV Ravensburg – bei den Jungs. „Ich glaube, die Phase war sehr wichtig für ihre Entwicklung“, sagt Vater Florian Gwinn, der seine Tochter nicht nur ins Jugendtraining nach Ravensburg, sondern durch die ganze Welt begleitete. Dass sie nun den nächsten Schritt hin zu einer Führungsspielerin beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft gehen möchte, finde er gut. „Aber das braucht natürlich Zeit. Es wäre sehr schön, wenn sie bei der WM in drei Jahren eine tragende Rolle spielt.“Am eigenen Anspruch sollte es jedenfalls nicht scheitern.