Der bessere „Fidelio“kommt aus Italien
Innsbrucker Festwochen Alter Musik trotzen Corona mit „Leonora“von Ferdinando Paër
- Was für ein beglückender Moment, als sich im Tiroler Landestheater der Vorhang hob zur Eröffnungspremiere der 44. Festwochen Alter Musik! Vorab hatte Betriebdirektorin Eva Maria Sens der Bundesregierung, dem Land und der Stadt für die Konzession gedankt, das Festival trotz Corona stattfinden zu lassen. Endlich dürfe nun „nach 152 Tagen Stille“auf dieser Bühne wieder musiziert und gespielt werden. Lange sei das ungewiss gewesen. Ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept soll Mitwirkende ebenso wie das Publikum vor der Pandemie schützen.
In nur zwei Monaten mussten enorme organisatorische Herausforderungen bewältigt werden. Umbuchungen von Karten und Anpassungen der Aufführungsbedingungen verlangten ein hohes Maß an Kreativität. Maskenpflicht und Abstandsregeln gelten beim Aufsuchen und Verlassen der reduzierten Plätze im Parkett und auf den Rängen. Farben an den Eingängen markieren getrennte Wege dorthin. Im Schachbrettmuster ist jeder zweite Sitz in den Reihen gesperrt. Am Eröffnungsabend der Festwochen ging diese Rechnung auf.
Als Alessandro De Marchi den Einsatz zur Ouvertüre gab, machte das schlagartig bewusst, wie lange man schon den Zauber live gespielter Musik vermisst hatte. Der in Stuttgart wohnende Dirigent und Cembalist hat vor zehn Jahren die künstlerische Leitung der Innsbrucker Festwochen Alter Musik von René Jacobs übernommen. Höhepunkte seiner Intendanz waren Ausgrabungen unbekannter Opern von Meistern wie Pergolesi, Porpora, Mercadante oder Broschi. Jetzt präsentiert er mit Ferdinando Paërs Oper „Leonora“ein weiteres zu Unrecht vergessenes Meisterwerk.
Paër wurde 1771 – ein Jahr nach Beethoven – in Parma geboren. Als gefragter Opernkomponist wirkte er in Neapel, Venedig, Wien und Dresden. Napoleon holte ihn nach Paris, wo er später den jungen Franz Liszt unterrichtete und 1839 starb. Seine „Leonora“wurde 1804 – ein Jahr vor Beethovens Erstvertonung desselben Stoffs – in Dresden uraufgeführt. Das Libretto basiert wie die „Fidelio“-Story auf einem französischen Textbuch von Jean-Nicolas Bouilly für den Komponisten Pierre Gaveaux. Dass die Innsbrucker Festwochen im BeethovenJahr ausgerechnet mit Paërs Zweiakter eröffnet wurden, ist kein Zufall.
Der reizvolle Vergleich mit „Fidelio“ging eindeutig zugunsten von Paër aus. Beethoven haderte einst auch nach drei Anläufen mit seinem „Sorgenkind“und hat danach keine Oper mehr komponiert. Während sich Regisseure bis heute mit dramturgischen Brüchen in „Fidelio“abmühen, sind bei Paër alle Figuren und Handlungsstränge plausibel entwickelt. In Innsbruck wird das Stück ohne Bühnenbild und Kostüme, aber „mit szenischen Interaktionen“präsentiert. Mariame Cléments minimalistischsuggestives Regiekonzept lebt von pantomimisch andeutender Personenführung.
Das historisch besetzte Festwochenorchester sitzt oben auf der Bühne. Davor bleibt zudem ausreichend Platz für das Gesangsensemble. Eleonora Bellocci beglaubigt ihre Mission als Fedele/Leonora mit strahlkräftig aufdrehendem Sopran. Paolo Fanale entpuppt sich in der Rolle Florestanos als nobler Aktivist und Traumtenor. Schade, dass er erst im zweiten Akt auftritt. Als Fedele, nach ihrem Pistolencoup von Rocco entwaffnet, allein mit ihm im Kerker zurückbleibt, artikuliert ein ergreifendes Duett der Eheleute blanke Wehrlosigkeit im Angesicht des Todes.
Marie Lys bezaubert als Marcellina mit mädchenhaftem Charme und klar leuchtendem Sopran. Bei ihr hat der basskräftig attackierende Luigi De Donato als Testosteronbolzen Gioachino zunächst wenig Chancen, kommt aber schließlich doch noch zum Zug. Renato Girolamo charakterisiert Rocco als Choleriker mit Polterbass und weichem Herz. Die Tenorpartie Pizarros meistert Carlo Alemanno bravourös. Nachdem Kresimir Spicer als Minister seinen voluminösen Tenor versöhnlich geltend macht, zeigt der Unhold sogar einen Anflug von Reue.
De Marchi entfaltet Paërs enorm theateraffine Musik mit Gespür für ihre ausdrucksstarke, oft virtuose Kantabilität ebenso wie für rhythmischen Drive, exquisite Farbmischungen und aufwühlende Dramatik. Auch Marcellina und den Buffa-Strang des Stücks, der bei Beethovens „Fidelio“von finalem Freiheitspathos erdrückt wird, hat Paër am Ende nicht vergessen. Passend zum Festwochenmotto „Und glücklich kehrt ewiger Gesang zurück“darf so zuletzt das ganze Ensemble ein ganz italienisches „Alle Menschen werden Brüder“anstimmen.
Weitere Vorstellung am 11. August; Informationen