Kommt der Mensch, gehen die Tiere
Seit vielen Jahrtausenden rotten wir Arten aus – heute schneller denn je
Das Muster scheint immer ähnlich zu sein: Kommen Menschen auf eine bisher unbesiedelte Insel und bleiben, sterben dort nach einiger Zeit vor allem die großen Tierarten aus, die bisher kaum Feinde hatten. Als sich 1638 die ersten Siedler auf Mauritius im Indischen Ozean niederließen, wurde ein „Dodo“genannter, einen Meter großer und wohl um die 15 Kilogramm schwerer Vogel aus der Familie der Tauben bereits 24 Jahre später zum letzten Mal lebend gesichtet. Kaum besser erging es dem eng verwandten Rodrigues-Solitär auf der 600 Kilometer entfernten Insel Rodrigues. 1691 wurden französische Hugenotten auf dem Eiland ausgesetzt, und irgendwann zwischen den 1730er- und 1760er-Jahren hatte der große Vogel das Zeitliche gesegnet. In beiden Fällen kommen Dürreperioden als alleinige Ursache für das Aussterben der beiden Riesentauben und einiger anderer großer Tiere offensichtlich nicht in Betracht, berichten Hanying Li von der Jiaotong-Universität im zentralchinesischen Xi’an, Ashish Sinha von der California State University im kalifornischen Carson und ihre Kollegen jetzt in der Zeitschrift Science Advances. Hatten diese Arten doch viel längere und schwerere Dürreperioden vor Ankunft der Siedler gut überstanden.
Das Gleiche gilt auch für die Insel Madagaskar, auf der in den letzten tausend Jahren nahezu alle schwereren Tierarten wie die menschengroßen Riesen-Lemuren und die mehr als eine halbe Tonne wiegenden Elefantenvögel ausgestorben sind. Das lenkt den Verdacht auf den Menschen als Verursacher des Artensterbens
auf den Inseln im Indischen Ozean. „Und das keineswegs nur dort, sondern auch auf sehr vielen anderen Inseln und auf den Kontinenten“, ergänzt Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth, der ebenfalls das Artensterben unter die Lupe nimmt.
Schon seit etlichen Jahren deuten Indizien auf die Menschheit und ihr Wirtschaften als zentralen Faktor beim Aussterben sehr vieler Arten wie Dodo, Europäischer Waldelefant, verschiedene Mammutarten oder Höhlenbären in den vergangenen Jahrtausenden hin. So liefert die Zahl der menschlichen Bewohner in einem Gebiet den besten Hinweis auf die Stärke von Artensterben in früheren Zeiten. „Je mehr Menschen es gab, umso mehr Tierarten verschwanden“, erklärt Roberto Rozzi, vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung HalleJena-Leipzig. Bereits die schiere Zahl der Menschen auf dem Planeten ist also ein großes Problem für die Ökosysteme und die Artenvielfalt. Solange die Bevölkerung wächst, steigt der Druck auf die Natur.
Allerdings ist dieser Druck keineswegs gleichmäßig verteilt. „So stellen Inseln gerade einmal fünf Prozent aller Landflächen der Erde, sind aber ein Hotspot der Biodiversität und gleichzeitig ein Epizentrum des Artensterbens“, erklärt Forscher Rozzi. Rund 40 Prozent der unmittelbar vom Aussterben bedrohten Arten leben dort, etwa 60 Prozent aller in historischer Zeit ausgestorbenen Arten waren einst auf Inseln zu Hause. Für diese traurige Bilanz gibt es triftige Gründe. So kennen etliche Arten wie der Dodo auf abgelegenen Inseln oft keine Feinde, die sie vom Boden aus angreifen, und verzichten daher auf entsprechende Verteidigungsmaßnahmen. Der RodriguesSolitär
und der Dodo konnten zum Beispiel nicht fliegen. Erreichen Menschen diese Eilande, werden die wehrlosen Tiere dann zur leichten Beute der Jäger.
Aus dem gleichen Grund fressen sich gerade auf Inseln von Menschen eingeschleppte Arten wie Ratten und Katzen oft schnell durch die Artenvielfalt. Dort verlieren auch viele Tiere ihre Heimat, wenn die neu angekommenen Siedler zum Beispiel die Wälder roden, um Weiden oder Plantagen anzulegen. Auf den Kontinenten und großen Inseln kann eine im Wald lebende Art dann in einem unversehrten Forst überleben. Auf kleinen Inseln aber sind rasch alle Bäume geschlagen und das letzte Refugium einer oft nur dort lebenden Art vernichtet.
„Je größer ein Tier ist, umso eher wird seine Art ausgerottet“, nennt Forscher Rozzi einen weiteren Zusammenhang. Schließlich verlassen sich diese Großen gern darauf, keinen ebenbürtigen Gegner zu haben. Genau das aber ändert sich, wenn irgendwann der Mensch auf den Plan tritt. Diesen Mechanismus kennt Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth auch vom Festland: „Sobald der Mensch kam, starben fast überall die großen Arten aus.“
Das aber hat weitreichende Folgen: Als vor einigen Zehntausend Jahren die großen Pflanzenfresser wie Waldelefanten aus Europa verschwanden, veränderte sich das Ökosystem dramatisch. Gestalten diese Giganten mit ihrem Riesenappetit doch die Landschaft erheblich um. Das lässt sich bei den Elefanten in Afrika noch heute beobachten, wenn sie sich genüsslich durch die Landschaft fressen und so verhindern, dass ein dichter Wald aufkommt. Auch in Europa dürfte es daher in Zeiten von Waldelefanten und anderen großen Pflanzenfressern statt dichter Wälder viel offenere Landschaften gegeben haben, die eher einer Savanne mit einzelnen Baumgruppen wie der Serengeti ähnelten. „Nach dem Ende der letzten Eiszeit aber waren die Waldelefanten durch den Einfluss des Menschen verschwunden und in den von den Gletschern befreiten Gebieten entwickelten sich dichte Wälder“, fasst Steinbauer die Folgen zusammen.
Natürlich geht die Entwicklung des Lebens weiter, irgendwann entstehen neue Arten, die zumindest einen Teil der Lücken füllen, die von den ausgerotteten Arten hinterlassen wurden. „Allerdings rechnet die Evolution dabei in ganz anderen Zeitskalen als wir Menschen“, erklärt Steinbauer weiter. Bis solche neuen Arten entstehen, können Jahrmillionen vergehen. Wenn aber Arten rasch aussterben, während neue Arten nur langsam entstehen, ist die Entwicklung offensichtlich durchaus dramatisch. Und sie kann katastrophale Auswirkungen haben.
Auch wenn der Klimawandel in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen dürfte, sollten andere Einflüsse des Menschen auf die Artenvielfalt genau beobachtet werden. Als Alexander Zizka in Leipzig und seine
Kollegen die Risiken für die auch Bromelien genannten Aufsitzeroder Ananaspflanzen im tropischen Südamerika untersuchten, erwiesen sich 81 Prozent von ihnen meist durch Änderungen der Landnutzung als gefährdet. Nicht viel besser geht es nach seinen Analysen 4300 von weltweit 14 000 untersuchten Orchideen: Rund 30 Prozent aller Arten sind bedroht, oft sind Veränderungen der Landnutzung wie das Roden von Wäldern für Plantagen die Ursache, aber auch illegale Ernten gefährden diese Pflanzen.
Offensichtlich kommt die zweite Welle des von Menschen verursachten Massenaussterbens also stark ins Rollen. „Computersimulationen auf der Basis von Säugetierdaten zeigen, dass Australien und die Karibik bereits mitten in dieser Welle stecken“, erklärt Forscher Rozzi. Aber im Vergleich mit dem Aussterben von Europäischen Waldelefanten und Mammuts in der Steinzeit oder von Dodos, Riesenlemuren und Elefantenvögeln in den letzten Jahrhunderten gibt es einen wichtigen Unterschied: Inzwischen erkennen die Forscher, wie der Mensch diese Arten einst direkt oder indirekt ausrottete. „Dieses Wissen aber zeigt, dass wir gegen das derzeitige Aussterben etwas machen können“, weiß er. Zum Beispiel könnte man allein durch Renaturieren von 15 Prozent der Landflächen, die heute vom Menschen genutzt werden, 60 Prozent aller vom Aussterben bedrohten Arten retten, erklären Bernardo Strassburg vom Internationalen Institut für Nachhaltigkeit in Rio de Janeiro und seine Kollegen gerade in der Zeitschrift „Nature“. Die traurige Geschichte des Dodo, der Elefantenvögel und des Europäischen Waldelefanten muss sich also nicht zwangsläufig wiederholen.